Archiv Kritische Pädagogik - Hans-Jochen Gamm

Die Arbeitsgruppe Allgemeine Pädagogik baut seit Frühjahr 2014 ein Archiv auf, in dem die im Nachlass versammelten Materialien des 2011 verstorbenen Erziehungswissenschaftlers Hans-Jochen Gamm in systematischer Weise zusammengestellt werden. Die Sammlung dient einerseits der Dokumentation seiner Arbeitsweise durch die Eröffnung eines Einblicks in sein umfangreiches Arbeitsinstrumentarium. Andererseits kann das Archiv wesentliche Grundlagen für weiterführende wissenschaftsgeschichtliche, erziehungswissenschaftliche und bildungstheoretische Forschungsarbeiten zur Verfügung stellen, die am erziehungswissenschaftlichen Theoriemodell Hans-Jochen Gamms ansetzen.

 

Pädagogik als humanes Erkenntnissystem aufzubauen und gemäß sich verändernden gesellschaftlichen und politisch-ökonomischen Bedingungen weiterzuentwickeln – dies war ein zentrales Lebensprojekt Hans-Jochen Gamms. In diesem Kontext entstand ein Oeuvre, das Pädagogik nicht etwa als geschlossenes Lehrgebäude, sondern als grundlegendes Prinzip der Analyse und Veränderung einer unzulänglichen gesellschaftlichen Wirklichkeit des Menschen entwickelt. Dieses Projekt ist auf die Erforschung der Bedingungen individueller und kollektiver Emanzipation sowie auf die Ermittlung der Gründe ihrer nachhaltigen Verhinderung gerichtet. Grundlagenarbeiten, in deren pädagogischen Kern Materialismus und Humanismus eine unlösbare Verbindung eingehen, markieren das Lebensprojekt: Aggression und Friedensfähigkeit in Deutschland (1968), Kritische Schule (1970), Das Elend der spätbürgerlichen Pädagogik (1972), Allgemeine Pädagogik (1979), Das pädagogische Erbe Goethes (1980), Materialistisches Denken und pädagogisches Handeln (1983), Pädagogische Ethik (1988), Pädagogik und Poesie (1991), Standhalten im Dasein (1993), Deutsche Identität in Europa (2001), Lernen mit Comenius (2008), Pädagogik als humanes Erkenntnissystem. Das Materialismuskonzept in der Erziehungswissenschaft (2012).

Allerdings erschöpft sich das Oeuvre Hans-Jochen Gamms nicht in erziehungswissenschaftlicher Forschung und Theoriebildung. Es geht weit über die Disziplin Erziehungswissenschaft hinaus, umfasst anthropologische Studien, Arbeiten zum Judentum,  historische Untersuchungen zum deutschen Faschismus, sprachgeschichtliche Forschungen zum mecklenburgischen Dialekt etc. Die vielfältigen Forschungsgebiete drücken sich in den Titeln der entsprechenden Monographien aus: Einführung in die Grundfragen des Judentums (1959), Der braune Kult. Das Dritte Reich und seine Ersatzreligion (1962), Der Flüsterwitz im Dritten Reich (1963; überarbeitete und erweiterte Ausgabe 1990;1993), Anthropologische Untersuchungen zur Vaterrolle (1965), Sachkunde zur Biblischen Geschichte (1965), Pädagogische Studien zum Problem der Judenfeindschaft (1966),  Umgang mit sich selbst. Grundriß einer Verhaltenslehre (1977), Das Judentum. Eine Einführung (1979; korrigierte Ausgabe 1981; Neuausgabe: 1994), Die Mecklenburger. Geschichtliche Elemente des niederdeutschen Charakters (1998). Deutsche Identität in Europa (2001).

 

Zu den im Archiv zusammengestellten Materialien gehören:

-  die Arbeitsbibliothek sowie ein umfassender Karteienapparat – Materialien, die das Arbeitsinstrumentarium des Erziehungs­wis­sen­schaft­lers darstellten

-  handschriftliche Manuskripte zu Vorlesungen und Seminaren

-  hektographierte Vorlesungsskripte

-  Entwürfe zu Artikeln und Aufsätzen

-  Planungsskizzen und unveröffentlichte bzw. unvollendete Manuskripte, die für Buchpublikationen bestimmt waren

-  Materialien, die in einem direkten Bezug zu den Werken von Hans-Jochen Gamm gehören (Utensilien aus der privaten Sammlung speziell mit Bezug zu den Studien über Pädagogik und Nationalsozialismus, Zeitungsausschnitte, Berichte)

- die Monographien Hans-Jochen Gamms.

 

Geplant ist darüber hinaus, auf der Basis einer bereits erstellten, vollständigen Bibliographie der Schriften Hans-Jochen Gamms seine Beiträge inklusive Rezensionen in Zeitschriften und Sammelbänden in einen chronologischen Zusammenhang zu stellen und (wieder) für Studien zugänglich zu machen. Weiterhin soll diejenige Sekundärliteratur beschafft werden, die für das Verständnis des Werkes von Hans-Jochen Gamm in seinen verschiedenen Schaf­fens­pha­sen wichtig ist (zu nennen sind hier theologisch-religiös bestimmte  frühe Arbeiten, Studien im Rahmen einer geistes­wissenschaftlich-hermeneutischen Pädagogik, die Forschungsarbeiten zum deutschen Faschismus, Theoriearbeiten zur Grundlegung einer Kritischen Pädagogik auf der Basis des Historischen Materialismus („Pädagogik als humanes Erkenntnissystem“) sowie die bildungs­- und erziehungstheoretischen Untersuchungen zu Goethe, Nietz­sche, Comenius u.a.). Auch die von Hans-Jochen Gamm verwendete erziehungswissenschaftliche Fachliteratur, die aufgrund von Umstrukturierungsprozessen an der Herkunftsuniversität momentan nicht zur Verfügung steht, soll mittelfristig in das Archiv eingestellt werden.