ICCS 2022
Der vollständige Bericht zu ICCS 2022 ist erschienen am 22.2.2024:
Abs, H.J., Hahn-Laudenberg, K, Deimel, D., & Ziemes, J.F. (Hrsg.) (2024). ICCS 2022. Schulische Sozialisation und Politische Bildung von 14-Jährigen im internationalen Vergleich. Waxmann. DOI:10.31244/9783830998228
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Link zum Buch beim Waxmann Verlag (Open Access)Internationale Projektseite (englischsprachig)
Weitere Informationen und Aufnahme in den Infoverteiler: iccs@uni-due.de
ICCS 2022International Civic and Citizenship Education Study 2022
Ungleiche Startchancen für Teilhabe und Zusammenhalt – schulische Demokratiebildung kann mehr
Im Zentrum der gegenwärtigen globalen Krisen schwelt auch eine Bildungs- und Gesellschaftskrise, die den Zusammenhalt, die Solidarität und das Wertefundament der Demokratien weltweit gefährdet. Um den Bedrohungen zu begegnen, braucht es politisch kompetente, demokratieorientierte Bürger*innen – und eine Schule, die junge Menschen dabei unterstützt, ihren Platz in der Gesellschaft selbstbestimmt und verantwortungsvoll einzufordern.
In diesem Punkt lässt die International Civic and Citizenship Education Study (ICCS) 2022 hellhörig werden für die Situation an Schulen, aber auch für die Leistungsfähigkeit des Schulsystems, Schüler*innen bei der Entwicklung ihrer Rolle als Bürger*innen zu unterstützen. Bei der aktuellen Durchführung der Studie haben 24 Bildungssysteme weltweit teilgenommen, darunter 21 aus Europa samt der zwei deutschen Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Am 28. November wird ein erster Teil der Ergebnisse veröffentlicht. Ein zweiter Ergebnisteil folgt im kommenden Jahr am 22. Februar.
ICCS ist die einzige international vergleichende Studie zur politischen Bildung, die neben Ein-stellungen und Partizipationsabsichten auch politisches Wissen erfasst und dabei politisches Lernen und Sozialisationsprozesse an Schulen in den Blick nimmt. Die Leitung der Studie liegt in Deutschland bei Prof. Hermann Josef Abs (Universität Duisburg-Essen) und Prof. Katrin Hahn-Laudenberg (Universität Leipzig). Beide hatten bereits an der ICCS 2016 mitgewirkt.
Die Befragung in ICCS fand während der auslaufenden Corona-Pandemie und wenige Wochen nach dem Beginn des russischen Angriffs auf die Ukraine statt. Auch war es eine Zeit, in der „Fridays for Future“ für viele Schüler*innen noch den Erstkontakt zur Klimabewegung bildete. Die Signaturen dieser Zeit haben die Antworten der Schüler*innen ebenso geprägt wie deren schulische Erfahrungen.
Ausgewählte Ergebnisse zu ICCS 2022
Zentrale Ergebnisse ICCS 2022
Ungleiche Startchancen
Die Ergebnisse aus ICCS zeigen, dass Schüler*innen in Deutschlands Schulen sehr unterschiedliche Chancen haben, politisches Wissen zu erwerben: Im internationalen Vergleich ist das Niveau des politischen Wissens bei Schüler*innen in Deutschland leicht überdurchschnittlich, aber den deutschen Schulen gelingt es schlechter als den meisten anderen Bildungssystemen, trotz ungleicher Startchancen die Entwicklung politischer Kompetenzen für alle Schüler*innen gleichermaßen zu ermöglichen. Stattdessen verstärkt das Schulsystem die Ungleichheit der Chancen auf politisches Wissen und politische Beteiligung.
In den Ergebnissen aus ICCS 2022 wird auch der Einfluss der Krisen auf die politische Entwicklung von Jugendlichen deutlich: Zwar vertrauen noch etwa drei Viertel der Schüler*innen der Regierung, den Gerichten oder auch der Polizei, aber dieser Wert ist in Deutschland und international rückläufig. Geringer ist das Vertrauen in Institutionen, die den politischen Diskurs repräsentieren, so äußert etwa zwei Drittel der Schüler*innen ihr Vertrauen gegenüber dem Bundestag und die Hälfte allgemein gegenüber Parteien. Dieses Muster der Zurechnung von Vertrauen zeigt sich auf sehr unterschiedlichem Niveau auch in anderen Ländern. Insgesamt hat sich das Niveau des Vertrauens in Deutschland und international seit der letzten Befragung bei ICCS 2016 um 5-10% abgesenkt. Der Rückgang des Vertrauens ist insbesondere deshalb besorgniserregend, weil Vertrauen eine Ressource zur Bewältigung von Krisen und gesellschaftliche Transformationen ist.
Ressource Vertrauen rückläufig
Diese Krisenwahrnehmung hat sich seit ICCS 2016 verstärkt. Sieben von zehn Jugendlichen in Deutschland und international sehen 2022 im Klimawandel eine große Bedrohung für die Zukunft der Erde. Noch etwas höher liegen die Bedrohungswerte für Wassermangel und Umweltverschmutzung. Nur Kriegen und bewaffneten Konflikten werden in Deutschland von einer noch größeren Zahl Jugendlicher als bedrohlich wahrgenommen. Acht von zehn sehen hier eine große Bedrohung für die Zukunft der Erde.
Breite Verantwortungsannahme aber nur wenig Handlungsbereitschaft
Der Bedrohungseinschätzung folgend sehen acht von zehn Heranwachsenden Regierungen in der Verantwortung den Umweltschutz zu priorisieren. Daneben sehen sie sich selbst in der Pflicht, Nachhaltigkeit konkret umzusetzen. Allerdings berichtet nur ein deutlich kleinerer Anteil, fünf von zehn, in ihrem Kaufverhalten regelmäßig Umweltaspekte zu berücksichtigen. Damit unterscheiden sich die Schüler*innen in NRW und SH nicht wesentlich von ihren europäischen Altersgenossen. Hinsichtlich ihrer Bereitschaft, sich politisch einzubringen, liegen Schüler*innen in NRW und SH hingegen im europäischen Vergleich unter dem Durchschnitt, auch wenn die spezifische Bereitschaft zur Teilnahme an friedlichen Demonstrationen verglichen mit dem letzten Studienzyklus 2016 gestiegen ist.
Auffällig ist, dass Umweltmaßnahmen wie Mülltrennung und Energiesparen nach einer Befragung der Schulleitungen an deutschen Schulen seltener umgesetzt werden als im Mittel der europäischen Teilnahmeländer. Dies impliziert, dass die institutionelle Verankerung von Bildung für nachhaltige Entwicklung an deutschen Schulen auch durch aktives Vorleben von Umweltschutzmaßnahmen noch gestärkt werden könnte.
Politische Bildung und demokratische Schulentwicklung haben die Möglichkeit, nachhaltige Entwicklung und couragiertes Eintreten für die Demokratie anzustoßen. Allerdings stehen die dazu benötigten Werkzeuge noch nicht an allen Schulen in der gleichen Weise zur Verfügung, und auch ausgebildete Lehrkräfte, die den Werkzeugkasten kunstvoll nutzen können, fehlen in Deutschland seit langem: Etwa die Hälfte des sozialwissenschaftlichen Fachunterrichts wird von Lehrkräften erteilt, die nicht für das Fach ausgebildet wurden. Hier liegt eine große Herausforderung für die Fortbildung von Pädagog*innen und die Materialentwicklung.
Weitere Informationen zu ICCS
Methode, Design und Stichprobe
An ICCS 2022 nehmen in Deutschland Nordrhein-Westfalen (NRW) und Schleswig-Holstein (SH) teil. International sind es insgesamt 24 Bildungssysteme, davon 21 in Europa, 2 in Lateinamerika und eines in Ost-Asien.
In jedem Teilnahmeland werden Daten zum Schulsystem gesammelt sowie repräsentative Stichproben aus den folgenden Gruppen gezogen:
- Schüler*innen der achten Jahrgangsstufe;
- Lehrpersonen an den teilnehmenden Schulen;
- Schulleitungen der teilnehmenden Schulen;
Die Verfahren zur Konstruktion der Erhebungsinstrumente, ihrer Adaption in den Teilnehmerländern, sowie die verwendeten Methoden der Stichprobenziehung, Datenerhebung Skalierung und Gewichtung werden im Zusammenhang der IEA (International Association for the Evaluation of Educational Achievement) beständig weiterentwickelt und international überwacht. Eine Einführung in die Methodik von ICCS enthält der nationale Berichtsband. Weitere Informationen zum vorangegangenen ICCS-Zyklus können dem Technical Report zu ICCS 2016 und dem internationalen Bericht zu ICCS 2016 entnommen werden.
Leitung und Durchführung der Studie
ICCS ist eine Studie der IEA, deren Standards für die Konzeption, Durchführung und Auswertung insgesamt leitend sind. Die IEA hat den Australian Council for Educational Research (ACER) in Verbindung mit dem Laboratorio di Pedagogia Sperimentale (ROMA TRE) als internationales Studienzentrum für ICCS eingesetzt. Dort laufen die Arbeiten zur Entwicklung von Befragungsinstrumenten und konkreten Verfahren zusammen.
Auf der nationalen Ebene wurde die Universität Duisburg-Essen als Studienzentrum benannt. Das nationale Studienzentrum koordiniert die Kommunikation gegenüber dem internationalen Zentrum, gegenüber der EU und dem BMBF. Die Datenerhebung und Datensatzerstellung werden durch die IEA-Hamburg durchgeführt.
Um der interdisziplinären Themenstellung von ICCS gerecht zu werden, hat sich auf der nationalen Ebene weiterhin ein Konsortium gebildet. Das Konsortium vereinigt insbesondere die schulpädagogische, politikdidaktische und psychometrische Expertise; es besteht aus:
- Prof. Dr. Hermann Josef Abs (Sprecher des Konsortiums, Schulpädagogik, Universität Duisburg-Essen)
- Jun.-Prof. Dr. Katrin Hahn-Laudenberg (Demokratiepädagogik, Universität Leipzig)
- Prof. Dr. Goldhammer (Technology based Assessment, DIPF – Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation, Frankfurt a. M.)
An der operativen Umsetzung des Projekts in Deutschland arbeitet ein Projektteam, welches am nationalen Studienzentrum der Universität Duisburg-Essen (UDE) sowie an der Universität Leipzig (UL) angesiedelt ist:
- Prof. Dr. Hermann Josef Abs (UDE, Leitung des ICCS-Studienzentrums, National Research Coordinator für NRW und stellvertretend NRC für SH)
- Jun.-Prof. Dr. Katrin Hahn-Laudenberg (UL, National Research Coordinator für SH und stellvertretend NRC für NRW)
- Dr. Daniel Deimel (UDE, National Data Manager für NRW und stellvertretend NDM für SH)
- Dr. Johanna Ziemes (UDE, National Data Manager für SH und stellvertretend NDM für NRW)
- M.A. Rukiye Ates (UDE, Junior Researcher)
- M.A. Igor Birindiba Batista (UL, Junior Researcher, bis 09/2023)
- M.A. Beatriz Matafora (UDE, Junior Researcher)
- M.A. Nina Welsandt (UDE, Junior Researcher)
Meilensteine
2019 | Entwicklung des konzeptionellen Rahmens und der Instrumente |
2020 |
Pilotierung und Beginn des Feldtests zur Studie
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2021 |
Auswertung Feldtest, Vorbereitung Hauptstudie
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2022 |
Erhebungsphase zur Hauptstudie, Erstellung des Datensatz
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2023 |
Analyse und Veröffentlichung der Ergebnisse; Veröffentlichungstermin 28. November
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2024 |
Veröffentlichungstermin Teil 2: 22. Februar
Rückmeldung an Schulen und Bereitstellung des Forschungsdatensatz
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Förderung
Die Studie wird in Deutschland gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und international auch von der Europäischen Union (EU) finanziell unterstützt.
Veröffentlichungen des Arbeitsbereichs im Kontext von ICCS (Auswahl)
Ziemes, J. F. & Abs, H. J. (2024). Individuelle und schulische Sozialisationsbedingungen von Vertrauen in politische Institutionen. In: Zeitschrift für Pädagogik(70), 199–215.
Matafora, B. C., Ziemes, J. F. & Abs, H. J. (2023). A multilevel analysis of factors influencing teenagers’ identification with Europe: the effects of migration and learning opportunities. In: Comparative Migration Studies, 11(25).
Deimel, D., Hahn-Laudenberg, K., Ziemes, J.F. & Abs, H.J. (2022). Civic Education and Social Interactions at School as Drivers of Intended Electoral Participation: Similarities and Differences in Four European School Systems. In: Education, Citizenship and Social Justice. DOI: 10.1177/17461979221114549
Deimel, D.; Abs, H.J. (2022). Local Characteristics Shape the Intended Political Behaviours
of Adolescents. In: Social Indicators Research 162:619–641. DOI: 10.1007/s11205-021-02852-y
Gutzwiller-Helfenfinger, E.; Abs, H.J.; Göbel, K. (eds.) (2022). The Challenge of Radicalization and Extremism. Integrating Research on Education and Citizenship in the Context of Migration. Leiden: Brill. DOI: 10.1163/9789004525658_000
Abs, H.J. (2021). Options for developing European strategies on citizenship education. In: European Educational Research Journal 55 (2), 329-347. DOI: 10.1177/1474904121994418.
Matafora, B., Hahn-Laudenberg, K., & Abs, H. J. (2021). Assessing the National Identity and Sense of Belonging of Students in Germany with Immigration Backgrounds. Journal of Social Science Education, 20(2), 47-69. DOI: dx.doi.org/
Deimel, D.; Hoskins, B.; Abs, H.J. (2020). How do schools affect inequalities in political participation: compensation of social disadvantage or provision of differential access? In: Educational Psychology 40 (2), S. 146–166. DOI: 10.1080/01443410.2019.1645305.
Hahn-Laudenberg, K.; Abs, H.J. (2020). Schule als Kontext für die Entstehung von supranationaler politischer Unterstützung bei 14-Jährigen in Europa. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 23 (6), S. 1125–1147. DOI: 10.1007/s11618-020-00976-4.
Ziemes, J. F.; Hahn-Laudenberg, K.; Abs, H.J. (2020). The impact of schooling on trust in political institutions – Differences arising from students' immigration backgrounds. In: Learning, Culture and Social Interaction 26, S. 100429. DOI: 10.1016/j.lcsi.2020.100429.
Ziemes, J.F.; Abs, H.J. (2020). Welche schulischen Bedingungen sind geeignet, um Toleranz zu fördern? In: Die Deutsche Schule 2020 (2), S. 159–177. DOI: 10.31244/dds.2020.02.04.
Ziemes, Johanna; Hahn-Laudenberg, Katrin; Abs, Hermann Josef (2019). From Connectedness and Learning to European and National Identity : Results from Fourteen European Countries. Journal of Social Science Education. 18(3), S. 5 - 28. DOI: https://doi.org/10.4119/jsse-1144
Abs, H.J; Hahn-Laudenberg, K. (Hrsg.) (2017). Das politische Mindset von 14‐Jährigen. Ergebnisse der International Civic and Citizenship Education Study 2016. Münster: Waxmann. DOI: 10.25656/01:15487
Berichtsband 2016
Der vollständige nationale Berichtsband zu ICCS 2016 ist bei Waxmann als Buch und als Download erhältlich:
http://www.waxmann.com/buch3737
Hermann Josef Abs & Katrin Hahn-Laudenberg (Hrsg.) (2017). Das politische Mindset von 14-Jährigen. Ergebnisse der International Civic and Citizenship Education Study 2016. 368 Seiten, Münster (Waxmann).
ISBN 978-3-8309-3737-1
URN: urn:nbn:de:0111-pedocs-154780