Grußwort Prof. Dr. Boos-Nünning
Ursula Boos-NünningZur Absolventen- und Absolventinnenfeier des Förderunterrichts
Ein Grußwort
Wenn ich an den Förderunterricht zu Beginn meiner Tätigkeit an der (damaligen) Universität – GHS-Essen (1981) zurückdenke, tauchen in meinem Gedächtnis die Namen von Dr. Johannes Meyer-Ingwersen, Dr. Rosemarie Neumann und Dr. Claudia Benholz auf, die – stets hochschulpolitisch unterstützt von Prof. Dr. Karl-Dieter Bünting – auf der Basis einer ganz spezifischen Konzeption hervorgehend aus Forschungsprojekten zum Bilingualismus 1973/74 mit zunächst 20 Schülerinnen und Schülern den Grundstein legten. Als zuständig für den Bereich Migrationspädagogik und vor allem als Leiterin des über drei Fachbereiche ausgerichteten IMAZ (Institut für Migrationsforschung, Ausländerpädagogik und Zweitsprachendidaktik) war ich lange Jahre in Aktivitäten und Fragen des Förderunterrichtes eingebunden, sowohl in Fragen der Konzeptionsentwicklung als auch in die stets neuen Bemühungen zur Sicherung der Finanzierung aber auch bei der Lösung alltagsbezogener Probleme in der Universität gefragt, mir prägnant in der Erinnerung in Form von Diskussionen mit Kollegen und Kolleginnen, die sich durch die jungen Menschen, die nachmittags die Seminarräume belegten nicht motiviert sondern gestört fühlten. Hinzu kamen wichtige strukturelle Entscheidungen wie die Einrichtung des Faches Turkologie dessen Etablierung an der Universität Essen durchaus in Zusammenhang mit dem Förderunterricht gesehen werden kann.
Ich habe mich gefreut, dass ich für den 46. Jahrestag des Förderunterrichtes eine Rede hätte halten dürfen; die Umstände bringen es mit sich, dass ich mich nunmehr an einem schriftlichen Grußwort versuche mit der Hoffnung, Sie, liebe Absolventinnen und Absolventen und Sie, liebe Förderlehrerinnen und Förderlehrer, dennoch zu erreichen.
Der Förderunterricht war und ist etwas Besonderes. Sein Konzept ist nach wie vor auf das primäre Ziel der Förderung von Chancengleichheit im Bereich der Bildung ausgerichtet; ein Ziel, von dessen Realisierung wir auch heute noch weit entfernt sind.
Gerade Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund brauchen Hilfe, um die Anforderungen von Schule im Hinblick auf die Bewältigung der Hausaufgaben und um das Nachbereiten des in der Schule Gelernten leisten zu können. Der Förderunterricht ist deutlich mehr und etwas Anderes als Hausaufgabenhilfe und Nachhilfe:
- er setzt bei dem Kenntnisstand unter Ermittlung der Wissenslücken des Schülers oder der Schülerin an und aktiviert deren Begabungsreserven;
- er ist auf eine langfristige Förderung ausgerichtet und nicht auf kurzfristige Bewältigung der Hausaufgaben oder auf das Lernen für die nächste Klassenarbeit;
- er schafft die Voraussetzungen für qualifizierte Bildungsabschlüsse;
- er verbindet (deutsch)sprachiges und fachliches Lernen und
- er setzt an der Zwei(Mehr)sprachigkeit der Schülerinnen und Schüler an und behandelt diese als ein Potenzial.
Sich darauf beziehend gehören Förderung in der deutschen Sprache bei Einbeziehung der muttersprachlichen Fähigkeiten, eine weitreichende Repressionsfreiheit und ein weitgehendes Unterstützungsangebot bei schulischen und sozialen Konflikten und Beratung und Begleitung bei Fragen der Schullaufbahn zu den pädagogischen Grundsätzen des Förderunterrichtes. Es ist ein ungeheurer Erfolg, dass das Konzept auf so viele andere Universitäten übertragen wurde.
Mit diesen Aussagen habe ich Ihnen, liebe Absolventinnen und Absolventen nichts Neues gesagt; Sie wussten es, aber Sie wissen auch, dass diese pädagogischen Grundsätze in den Bildungseinrichtungen nicht selbstverständlich sind.
Sie werden jetzt in die reale Welt entlassen: in ein Studium oder in eine Ausbildung. Ich würde gerne schreiben: Seien Sie zuversichtlich, Sie können mit Ihrem Wissen und Ihren Abschlüssen auf gleiche Chancen wie einheimisch Deutsche rechnen. Aber die Welt ist nicht so wie Sie und ich sie uns wünschen: Untersuchungen weisen auf eine Diskriminierung bei der Aufnahme einer Berufsausbildung und bei der Aufnahme eines Studiums und vor allem beim Studienerfolg hin. Aber immer mehr Studierende mit Migrationshintergrund sind – wie es eine Untersuchung im Titel führt – unwahrscheinlich erfolgreich. Der Förderunterricht hat Ihnen nicht nur Hilfe bei der Schullaufbahn geboten; er hat Sie – so meine Hoffnung und meine Zuversicht – auch in der Persönlichkeit so stark geprägt, dass Sie -unterstützt durch Ihre Familie und Ihr soziales Umfeld- die neuen Bewährungen bewältigen können. Und Sie können weiterhin auf Kontakte zu und Hilfen von Ihren Förderlehrerinnen und Förderlehrern und dem Förderbüro bauen, etwa bei der Beratung bei der Wahl Ihres Studiums oder bei der Unterstützung bei Studienbeginn, praktisch z.B. bei der Beantragung eines Stipendiums, emotional, wenn Sie mit den Gegebenheiten der neuen Universität nicht klarkommen.
Ihre Förderlehrerinnen und Förderlehrer und das Team, das den Förderunterricht begleitet, sind damals wie heute für Sie wichtige Bezugspersonen, die nicht nur Wissen und Handlungskompetenz vermitteln und Ihnen -falls notwendig- bei der emotionalen Verarbeitung schulischer Schwierigkeiten geholfen haben, sondern auch mit den Eltern in ihrer Muttersprache sprechen konnten. Die Förderlehrkräfte haben Ihnen viel gegeben, sie haben aber auch von Ihnen viel bekommen: Einen ganz anderen Blick auf Schülerinnen und Schüler und ihre Lernsituation, einen Zugang zu Unterricht in zwei(mehr-)sprachiger Lebenssituation, auf spezifische didaktische Zugänge u.v.m..
Liebe Förderlehrkräfte, liebe Mitarbeitende im Förderbüro: Sie sind der Kopf und das Herz des Förderkonzeptes und Ihnen gilt meine Hochachtung und mein Dank.
Ein besonderer Dank gilt Ihnen aus einem anderen Grund: Im Förderunterricht gab es -anders als in einem Teil des Bildungsbereiches aufgrund der Coronamaßnahmen- kein Bildungs- und Lernmoratorium und es wurde lernen nicht auf den familiären Raum delegiert. Ihre Bildung und Unterstützungsangebote hatten keine Pause, sondern alle Aufgaben wurden weitergeleistet – und sogar mehr: Den Schülerinnen und Schülern und ihren Familien wurde die Möglichkeit eröffnet im Rahmen des Online-Förderunterrichtes auch persönliche Anliegen (Ängste wegen der Epidemie, Unsicherheiten, Schwierigkeiten wegen fehlender Kontakte) anzusprechen.
Liebe Absolventinnen und Absolventen: Nehmen Sie die Erinnerung an dieses Engagement mit in Ihre neue Bildungsphase und seien Sie „unwahrscheinlich erfolgreich“.