Geschlechtergerechte Sprache
Fühlen Sie sich durch die vermeintlich geschlechtsneutralen Textgrafiken angesprochen? Bei welcher fühlen Sie sich mitgemeint?
Sprache ist Ausdruck des Bewusstseins. Sie beeinflusst maßgeblich unser Denken und das Bild, das wir uns von der Wirklichkeit machen. Sprache ist ein Produkt der Kultur. Sie spiegelt Norm- und Wertvorstellungen einer Gesellschaft wider.
Welches Bild haben Sie im Kopf wenn Sie den Satz hören: „Die Arbeitsbelastung von Chirurgen ist hoch.“ Sind die Personen männlich oder weiblich? Die Begründung für das „generische Maskulinum“ lautet: Frauen sind ja mitgemeint. Salopp formuliert: Eine männliche Fliege würde ja auch nicht zum Flieger. Personenbezeichnungen die das menschliche Miteinander betreffen haben jedoch sowohl eine weibliche und eine männliche Form. Also: Warum die weiblichen Formen unterschlagen?
Aus der Sprachforschung ist bekannt, dass sich Frauen bei der Verwendung männlicher Formen, z. B. durch Begriffe wie Professorenschaft, Politiker, oftmals nicht angesprochen fühlen. Die thematisierten Aspekte werden auch von Männern häufig nicht mit Frauen in Verbindung gebracht. So verschleiert eine ausschließliche Verwendung maskuliner Personenbezeichnungen, in denen Frauen lediglich mitgedacht werden, die Präsenz von Frauen. Unzutreffende Vorstellungen werden so auch begünstigt, z.B. technische Berufe seien nichts für Frauen.
Es gibt eine Vielzahl von Möglichkeiten Sprache geschlechtergerecht zu verwenden – wie etwa
- konsequent beide Formen wählen (Lehrer und Lehrerinnen)
- das Binnen-I (z. B. LehrerInnen)
- der Schrägstrich (Lehrer/in)
- der Unterstrich (Lehrer_in): Diese Schreibweise stammt aus der Queer Theory und soll auf die Vielfalt von Identitäten jenseits der Zweiteilung Frau/Mann verweisen. Mit der Leerstelle gilt es Raum für Menschen zu schaffen, die sich in Bezug auf ihr Geschlecht nicht festlegen wollen oder können.
- geschlechtsneutrale Bezeichnungen: z. B. Studierende, Reisende, zu behandelnde Personen (anstelle von PatientInnen), ärztlich Tätige
Dazu zählt nicht die berühmte Fußnote, die darauf verweist, dass aufgrund der „besseren Lesbarkeit“ eines Textes Frauen mitgemeint seien. Im Laufe der Lektüre gerät der Verweis eher in Vergessenheit. Mathematikprofessor Stephan Hußmann hat sich in seiner Dissertation für die weibliche Schreibweise entschieden – Männer seien hier konsequent mitgemeint. Dies widerspricht zwar einer geschlechtergerechten Schreibweise, setzt hingegen ein (frauen)politisches Statement.
Beispiele und Checklisten gibt es unter der Rubrik Arbeitshilfen hier auf dieser Seite.
Gisela Steins, Professorin für Allgemeine Psychologie und Sozialpsychologie der UDE diskutiert, zusammen mit Norbert Nothbaum, an einem Textbeispiel die oben genannten Möglichkeiten. Sowohl die Nennung beider Formen, also z. B. Ärztinnen und Ärzte, als auch das Binnen-I und der Schrägstrich machen ihrer Meinung nach den Text schwerfällig. Geschlechtsneutrale Bezeichnungen lassen sich nicht immer finden und lassen einen Text schnell fade, nach „Behördendeutsch“ klingen.
Lösungsvorschlag von Steins:
Die Stochastische Genuswahl
Hierfür ist eine Münze vonnöten. Immer wenn ein Substantiv auf eine gemischtgeschlechtliche Gruppe verweist, so Steins, soll der Münzwurf entscheiden ob die männliche oder weibliche Form Verwendung findet.
Der Vorteil: Sowohl Frauen als auch Männer werden sprachlich abgebildet, der Text erscheint weniger aufgebläht.
Im Beispiel von Steins und Nothbaum sieht es dann so aus:
Die medizinisch-praktische Ausgestaltung des Versicherungs- und Versorgungssystems in der Bundesrepublik Deutschland ist durch individualistische Begriffe geprägt wie „Therapiefreiheit“ oder „freie Ärztinnenwahl“, und das Verhältnis zwischen Ärztin und Patient wird mit dem Begriff „Arzt-Patientinnen-Verhältnis“ in eine sehr persönliche individuelle Beziehung gesetzt mit Betonung der Freiheitsgrade beider Beziehungspartner. Dabei wird eine relative Unabhängigkeit der Patientinnen und ihres Arztes von gesellschaftlichen Bindungen suggeriert. (...) Die Sozialmedizinerin muss mit ihrer Beratung und Begutachtung vermitteln zwischen der Medizinerin, die symptom-, befund- diagnose- und therapieorientiert vorgeht und dem rechtsanwendenden Juristen oder der Verwaltungsexpertin, die Krankheit im Blick auf die Rechtsfolgen, die gesetzlich aus diesem Zustand abzuleiten sind, betrachtet. (...) Mit diesem Begutachtungsergebnis wird gleichzeitig auch die Beratungsfunktion des Gutachters sowohl für die Erkrankte als auch für den Versicherer deutlich.
Literatur: Nothbaum, Norbert; Steins, Gisela (2010): Nicht sexistischer Sprachgebrauch: die stochastische Genuswahl, in: Steins, Gisela: Handbuch Psychologie und Geschlechterforschung, Wiesbaden: Verlag für Sozialwissenschaften. Online im internen Netz der UDE verfügbar unter: www.springerlink.com
Lesen Sie auch den Klassiker: Pusch, Luise F. (1990): Das Deutsche als Männersprache, Suhrkamp-Verlag
Rechtliche Grundlagen
Universität Duisburg-Essen: Zentraler Rahmenplan zur Gleichstellung
Die Universität Duisburg-Essen (UDE) versteht die Verwirklichung von Chancengleichheit von Frauen und Männern als Qualitätsmerkmal und wichtiges Kriterium für die Entwicklung der Hochschule. Die sprachliche Gleichbehandlung von Frauen und Männern ist dabei ein wichtiger Bestandteil der Gleichstellung. So heißt es in der Präambel des Zentralen Rahmenplans zur Gleichstellung der UDE, dass "die Texte, die die von der Universität veröffentlicht werden (z. B. dienstlicher Schriftverkehr, Mitteilungen, Ordnungen, Konzepte, Projektbeschreibungen, Berichte, Protokolle, Broschüren, Homepage)" in einer geschlechtergerechten Sprache zu formulieren sind. Es besteht die Möglichkeit eines entsprechenden Weiterbildungsangebots. Link: https://www.uni-due.de/imperia/md/content/zentralverwaltung/verkuendungsblatt_2019/vbl_2019_35.pdf
BRD: Bundesgleichstellungsgesetz
Die sprachliche Gleichbehandlung von Männern und Frauen in den Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Bundes und im dienstlichen Schriftverkehr ist im Bundesgleichstellungsgesetz § 1 verbindlich geregelt. Verbindliche Regelungen für die sprachliche Gleichbehandlung von Frauen und Männern auch an der Hochschule sind im Landesgleichstellungsgesetz des Landes NRW (LGG) im § 4 festgelegt. Dort heißt es:
"Gesetze und andere Rechtsvorschriften sollen sprachlich der Gleichstellung von Frauen und Männern Rechnung tragen. Im dienstlichen Schriftverkehr ist auf die sprachliche Gleichbehandlung von Frauen und Männern zu achten. In Vordrucken sind geschlechtsneutrale Personenbezeichnungen zu verwenden. Sofern diese nicht gefunden werden können, sind die weibliche und die männliche Sprachform zu verwenden."
NRW
Seit 1993 ist geschlechtergerechte Sprache gemäß eines Runderlasses des Justizministeriums (1030 - II A. 325, vom 24. März 1993), in der Amts- und Rechtssprache verpflichtend.
Arbeitshilfen zur geschlechtergerechten Sprache
"Ausgesprochen Vielfältig", Diversitätssensible Kommunikation in Sprache und Bild, Eine Handlungsempfehlung der Koordinierungsstelle zur Förderung der Chancengleichheit an sächsischen Universitäten und Hochschulen, 3. durchgesehene und ergänzte Auflage (2018).
Checkliste für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit des BMFSFJ , Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (2005).
"Geschlechtergerechte Sprache. Handreichung", hg. v. Gleichstellungsbüro der RWTH Aachen (2019).
"Geschlechtergerecht in Sprache und Bild" Leitfaden der Freien Universität Berlin, hg. von der Zentralen Frauenbeauftragten der FU Berlin (o.J.).
"Gleichstellung von Frau und Mann in der Rechtssprache" Leitfaden des Justitzministeriums des Landes Nordrhein Westfalen (2008).
"Leitfaden gendergerechte Sprache", Ludwig Maximilians Universität München (LMU) (2011).
"Leitfaden geschlechtergerecht in Text und Bild", Universität Zürich (2018) .
"ÜberzeuGENDERe Sprache" Leitfaden für eine geschlechtersensible und inklusive Sprache, hg. von der Gleichstellungsbeauftragten der Universität zu Köln, 5. überarbeitete und erweiterte Auflage, (2017).
Linktipps
Ein Blogeintrag zu Einwänden gegen geschlechtergerechten Sprachgebrauch. Der Autor favorisiert übrigens den Gender Gap anstelle des Binnen-I oder Begriffen wie "Studierende": http://blog.adrianlang.de/?p=848
Bildnachweis
Münze: Dieses Werk stellt eine Abbildung einer durch die Europäische Zentralbank (EZB) herausgegebenen Währungseinheit dar. Das graphische Design ist durch die EZB urheberrechtlich geschützt, „darf [jedoch] ohne vorherige Genehmigung der EZB verwendet werden [...], solange Reproduktionen in der Werbung oder in Illustrationen nicht mit echten Banknoten verwechselt werden können.“ (EZB/2003/4 und EZB/2003/5 vom 20. März 2003)