Abteilung für die Geschichte des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit

Aktuelle Forschungsprojekte

Prof. Dr. Benjamin Scheller

DFG-FOR 2600: Ambiguität und Unterscheidung: Historisch-kulturelle Dynamiken

Unterscheidungen strukturieren und ordnen unsere Welt. Das gilt auf ganz grundlegender Ebene, indem wir etwa einen Gegenstand vom Rest der sinnlichen Erfahrungswelt unterscheiden. Das gilt aber insbesondere in den sozialen Beziehungen, in denen Menschen beispielsweise nach ihrem Geschlecht oder ihren religiösen oder ethnischen Zugehörigkeiten mit zuweilen erheblichen Konsequenzen unterschieden werden. Aus solchen Unterscheidungen werden Ordnungen des Sozialen aufgebaut. Doch immer wieder gerät die Differenzierungstätigkeit in Situationen, in denen eine Unterscheidung zwar aufgerufen, jedoch nicht konsistent angewendet werden kann. Solche Situationen der Ambiguität untersucht die seit 2019 von der DFG geförderte Forschergruppe 2600 „Ambiguität und Unterscheidung. Historisch-kulturelle Dynamiken“.

 

Prof. Dr. Benjamin Scheller

Teilprojekt der DFG-FOR 2600: Das Meer der Neuchristen: Mobilität und Ambiguität konvertierter Juden und ihrer Nachkommen im Adriaraum des Spätmittelalters (14. bis frühes 16. Jahrhundert)

In den Jahren um 1292 traten im Königreich Neapel verfolgt von der Inquisition tausende von Juden zum Christentum über. In Apulien sind die konvertierten Juden, aber auch ihre Nachkommen bis mindestens Mitte des 16. Jahrhunderts unter Bezeichnungen wie „Neofiti“ (von griechisch: „Neophytos“ = „Neugepflanzter“), „Christiani Novi“ bzw. „Cristiani Novelli“ belegt. Auch Generationen später wurden die Nachkommen der Konvertiten also als Abkömmlinge von Juden und Neuankömmlinge in der christlichen Gesellschaft markiert und damit als Personengruppe mit einer ambigen religiösen Identität.

Prof. Dr. Benjamin Scheller

Die Geburt des Risikos: Kontingenz, Kalkül und kaufmännische Praxis im Mittelmeerraum des Hoch- und Spätmittelalters

Neue Formen des Handels stellten die Kaufleute des Mittelmeerraumes ab dem 12. Jahrhundert zunehmend vor die Frage, wie mögliche Schäden zurechenbar, beherrschbar und kalkulierbar gemacht werden konnten. Es entstanden das Konzept des Risikos und neue Praktiken, die mit diesem operierten. Wichtig war die Versicherung, die allerdings auch eine Wette sein konnte – bisweilen eine auf Leben und Tod. Die Geschichte des Risikos im Mittelalter erscheint als Rationalisierung mit teilweise irrationalen Folgen. Der Versuch, Unsicherheit in Sicherheit zu transformieren, brachte neue Unsicherheiten hervor.

Prof. Dr. Benjamin Scheller

'da man kein Kleid anziehen darf, das aus Leinen und Wolle gewebt ist': Ambiguität, Toleranz und das Ende der religiösen Pluralität des Mittelalters

Seit dem 12. Jahrhundert häuften sich in Europa Verfolgungen und Vertreibungen von religiösen Minderheiten. Gleichzeitig kam es vermehrt zu Konversionen zum Christentum. Konvertiten galten vielfach als Personen mit ambiger religiöser Identität. Die Vertreibungen des Spätmittelalters müssen vor diesem Hintergrund auch als radikale Versuche gesehen werden, unscharf gewordene Grenzen zwischen Christen und Nicht-Christen wieder klar zu ziehen.

Dr. Christian Hoffarth

Körper im Kulturkontakt. Bild und Bedeutung des menschlichen Körpers in Begegnungen fremder Kulturen im Spätmittelalters

Das Projekt geht der Frage nach, welche Funktionen und Bedeutungen Körpern und Körperlichkeit in Berührungen europäischer und außereuropäischer Kulturen im Spätmittelalter zukamen und welche Wirkung die in ihnen gewonnenen Körpererfahrungen auf europäische Körperbilder zeitigten. Den Ausgangspunkt bildet die These, dass die Körpererfahrungen spätmittelalterlicher europäischer Fernreisender sowie deren Diskursivierung allmählich die Vorstellung einer kollektiven europäischen Körperidentität hervorbrachten und somit den Boden bereiteten für die kolonialistische Maxime von der Überlegenheit des europäischen über den anderen Körper.

Dr. des. Franziska Klein

Die Konvertiten des Königs. Fürsorge als Vorsorge im (spät)mittelalterlichen England

Im Jahr 1232 gründete Heinrich III., König von England, am Rande Londons eine Fürsorgeeinrichtung ganz besonderer Art. Seine domus conversorum diente als Zentrum der Beherbergung, Versorgung und des Unterrichts von zum Christentum konvertierten Juden aus dem ganzen Land. Sah die historische Forschung hierin bislang vor allem eine Institution zur Missionierung der englischen Juden, so gilt es heute, diese These auf Basis neuer Überlegungen grundlegend zu hinterfragen. Heinrichs Vorgehen wird hierbei als Beispiel für Schadensabwehr durch Vorsorge verstanden. Der Schaden, den es abzuwehren galt, bestand in einer möglichen zukünftigen Uneindeutigkeit der Identität der Konvertiten.

Franzisca Scheiner M.A.

Die Commenda – Ein riskantes Unternehmen

Im 12. und 13. Jahrhundert hatte Genua einen der aktivsten Häfen der Mittelmeerregion, wobei nahezu alle von Genua ausgehenden Handelsfahrten mit Hilfe einer sogenannten Commenda finanziert wurden. Ein entscheidendes Novum der Commenda lag in der Verschiebung des finanziellen Risikos vom reisenden Händler auf einen ortsfesten Kapitalgeber. An diese Ausgangslage anknüpfend wird die zentrale Forschungsfrage des Dissertationsprojektes sein, ob die genuesischen Investoren bereits bestimmte Investitionsstrategien verfolgten, die es ihnen erlaubten, ihre Geschäftsrisiken zu reduzieren.

Gion Wallmeyer M.A.

Strategien der Inszenierung von Kreuzzugs-Experten an den lateineuropäischen Herrscherhöfen des späten 13. und frühen 14. Jahrhunderts

Die Zeit nach dem vollständigen Verlust des Outremer im Jahr 1291 markierte den Beginn einer Phase ausgedehnter Kreuzzugsplanungen an den Höfen lateinisch-christlicher Herrscher. Diese Planungstätigkeit bildete den Fokalpunkt für die Aktivität zahlreicher Kreuzzugsberater, welche mit Denkschriften für ihre teils riskanten, teils konservativen Rückeroberungsprojekte warben. Im Rahmen des Forschungsprojektes wird untersucht, wie diese Ratgeber ihre Expertise kommunikativ inszenierten, um an den Höfen kreuzzugsinteressierter Herrscher Gehör zu finden. Auf diese Weise sollen die normativen Bedingungen der Möglichkeit einer derartigen Expertenkultur im Kontext der Wissensgeschichte des Spätmittelalters rekonstruiert werden.