Agrarfinanzierung - eine komplexe Herausforderung, die nach integrativen Ansätzen der Entwicklungszusammenarbeit sucht

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Foto: Dr. Michael Hamp

Michael Hamp
13.9.2024

​Die Agrarfinanzierung als Teil der deutschen Entwicklungszusammenarbeit (EZ) steht aufgrund diverser Krisen (Umwelt, Klima, Konflikte etc.) sowie der Themen Armut, Hunger und Fehlernährung der besonders vulnerablen kleinbäuerlichen Familienbetriebe vor besonderen Herausforderungen. Aktuelle Ergebnisse des Forschungsprojekts „Wege aus Armut, Vulnerabilität und Ernährungsunsicherheit“ (AVE) am Institut für Entwicklung und Frieden liefern Empfehlungen, wie sich die Agrarfinanzierung verändern sollte. Die AVE-Studien identifizieren eine Reihe landes- und zielgruppenspezifischer und innovativer Lösungen für die Agrarfinanzierung (good practices) auf Basis der Länderbeispiele Kambodscha, Usbekistan, Sambia und Benin.

Die Kernbotschaft: Inklusive und nachhaltige Lösungen bei der Agrarfinanzierung sollten integraler Bestandteil einer nationalen Finanzinklusionsstrategie sein und im Fokus von Green Finance Programmen stehen. „Inklusiv“ bedeutet dabei, den Schwerpunkt auf vielfältige Finanzprodukte und Services für Arme und die ärmere, wirtschaftlich aktive ländliche Bevölkerung ohne Zugang zu formalen Finanzorganisationen zu lenken.

Landwirtschaftliche Kleinbetriebe als entwicklungspolitisch relevanter Schwerpunkt

Kleinbäuerliche Familienbetriebe mit weniger als 5 Hektar Nutzfläche, die laut Internationalem Fonds für landwirtschaftliche Entwicklung 45% der globalen Nahrungsmittel produzieren, können ihr Potenzial nicht ausschöpfen und absichern, ohne dauerhaft gesicherten Zugang zu Agrarkrediten, sicheren Ersparnismodellen, Risikoversicherungen, einem kostengünstigen und interoperablen Zahlungsverkehrssystem und anderen digitalen Innovationen. Agrarfinanzierung ist nur Teil der Lösung, insbesondere vor dem Hintergrund der Diversität der Zielgruppen und ihrer unterschiedlichen Bedürfnisse: Frauen, Jugendliche, ländliche Arme ohne Landtitel bzw. von der Subsistenz lebende Bäuer*innen und Landarbeiter*innen, transhumane und nomadische Hirten, Produzent*innen in formalen und nicht-formalen landwirtschaftlichen Wertschöpfungsketten (WSK), weiterverarbeitende Kleinst- und Kleinunternehmer*innen sowie Händler*innen und Zulieferer*innen. Für die entwicklungspolitische Zielerreichung ist entscheidend, dass die Agrarfinanzierung in das Instrumentarium der Ansätze ländlicher Entwicklung integriert ist, bzw. längerfristig Teil des ländlichen sozial-ökonomischen Systems wird.  

Zentrale Erkenntnisse der Länderstudien und Projektbeispiele:

1. Reduzierung der Überschuldung (Beispiel Kambodscha)

Eine hohe Dichte an Finanzdienstleistern (FD) und ein Überangebot an Krediten für kleine Betriebe stellen sicherlich einen Sonderfall dar. In Kambodscha aber hat die Entwicklung des Mikrofinanzsektors zu einem aggressiven Wettbewerb um Konsumenten geführt. Anstelle von Cash-Flow-Analysen zur Feststellung der Rückzahlungsbefähigung wurden von vielen FD Kredite selbst an die Ärmsten der Armen allein aufgrund des Besitzes eines Landtitels vergeben. Die Rückzahlungslast und Überschuldung von Kleinbäuer*innen haben sich deshalb dramatisch zugespitzt. Die Armutssituation hat sich für einen Teil der bäuerlichen Familien weiter verschärft, da sie zum Verkauf von Land und anderen Eigentums zur Tilgung von Kreditschulden gezwungen wurden. Hinzu kommt ein geringes Maß an Ersparnismobilisierung als Mittel zur Resilienzstärkung.

Erste Erfolge bei der Reduzierung der Überschuldungsproblematik sind nun zu verzeichnen. Zentrale Akteure des Finanzsektors, einschließlich der Zentralbank und verschiedener Assoziationen kambodschanischer FD haben einen National Framework for Sustainable and Responsible Inclusive Finance geschaffen. Neue Kreditregularien wurden geschaffen und ein Banking and Financial Sector Code of Conduct und ein National Client Protection Framework vereinbart.Mit dem Code of Conduct haben sich die Mitglieder der Assoziationen auf die Einführung ethischer Praktiken verständigt.

Unter den neuen Rahmenbedingungen unterstützt der Deutsche Genossenschafts- und Raiffeisenverband (DGRV) den genossenschaftlichen Spar- und Kreditsektor in einem Mehrebenenansatz - vom Genossenschaftsgesetz, über Qualifizierung von Verbänden und dem Aufbau eines landwirtschaftlichen Refinanzierungsfonds, bis zu den Primärgenossenschaften.

2. Finanzielle Alphabetisierung (Beispiel Usbekistan)

In Usbekistan ist der Finanzsektor im Wandel begriffen. Das Land hat sich geöffnet für internationale Geber, insbesondere für (i) die landwirtschaftliche Finanzierung, (ii) die Kleinbetriebs- und Mittelstandsförderung mit Fokus auf Jungunternehmer*innen, (iii) grüne und klimaresiliente Technogien für Kleinunternehmen, (iv) die Einführung von technologischen Innovationen und FinTech Unternehmen sowie (v) für den Verbraucherschutz und responsible finance (DISK). Vor allem die digitale Transformation hat einen großen Stellenwert im Bankensektor. Staatliche Sonderfinanzierungsprogramme für Dekhan Farmer (Kleinbauern), die gut 60% aller in der Landwirtschaft Tätigen ausmachen, führen zu einer verbesserten Versorgung mit Finanzdienstleistungen im ländlichen Raum. Hilfreich ist auch die Besicherung der von Geschäftsbanken ausgelegten Agrarkredite über den staatlichen Garantiefonds. Für eine potenziell flächendeckend sich verbessernde Finanzinklusion spielt vor allem die Qualifizierung der Kund*innen von FD eine wichtige Rolle. Die DISK trägt deshalb zur finanziellen Alphabetisierung für junge Kreditnehmer*innen bei als Schwerpunkt ihrer Arbeit in Usbekistan.

3. Kredit allein genügt nicht (Beispiel Sambia)

Die enge Zusammenarbeit zwischen Regierung und Privatsektor wirkt sich in Sambia positiv aus. Die National Financial Inclusion Strategy 2017-2022 stärkt den Finanzsektor mit vielen Akteuren und zahlreichen innovativen Lösungen bei der Agrarfinanzierung. Die sambische Regierung, mit Unterstützung des World Food Programme und der Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ), hat Klimarisikoversicherungen (Climate Risk Insurances) für Kleinbäuer*innen eingeführt. Außerdem fördert die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) die sambische Leasingfirma AgLeaseCo. Neben dem Leasing von Maschinen und Geräten bietet diese verschiedene Dienstleistungen für Landwirtschaftsbetriebe sowie Fortbildungsmaßnahmen an. KfW und GIZ konzentrieren sich dabei auf technische Beratung und Entwicklung der unternehmerischen Kompetenzen der Kund*innen von AgLeaseCo.

Ein Schwerpunkt der GIZ ist auch die Verbesserung von Finanzdienstleistungen entlang von WSK. Dies geschieht durch neue, insbesondere digitale Finanzprodukte, finanzielle und digitale Alphabetisierung, Farmer Business Simulation, Training of Trainers und vor allem durch eine enge Verzahnung mit Maßnahmen zur landwirtschaftlichen Produktionssteigerung (u.a. climate-smart agriculture).

Trotz begrenzten Internetzugangs der ländlichen Bevölkerung treibt die Privatwirtschaft innovative Lösungen durch digitale ländliche Finanzinitiativen voran. 2023 hat die Zentralbank die „go-cashless“-Digitalisierungskampagne ausgerufen. Kleinbäuer*innen als auch Beschäftigte in der Landwirtschaft sollen aus der neuen Sustainable Agriculture Financing Facility digitalisiert Betriebsmittelkredite über Agrodealer erhalten. Aus der Facility werden auch Versicherungen, finanzielle Alphabetisierung und Investitionen in WSK ermöglicht.

4. Tradition und Innovation (Beispiel Benin)

Die immer größer werdenden Herausforderungen für die Landwirtschaft zeigen sich in Benin. Diese schließen Klimarisiken bei gleichzeitig fortschreitender Entwaldung und abnehmender Bodenqualität mit ein. Daneben fehlen eine produktive Infrastruktur (weniger als 2% der Nutzfläche ist bewässert) und Lagerkapazitäten. Der Organisationsgrad von WSK (filières) ist auf niedrigem Niveau. Der Zugang zum Internet für die ländliche Bevölkerung und damit zu mobilen Finanzdienstleistungen ist sehr eingeschränkt. Gleichwohl ist die Dichte der Finanzdienstleister auch im ländlichen Raum hoch. Dies ist insbesondere auf die Dachorganisation der Sparkassen und landwirtschaftlichen Kreditgenossenschaften (Faitière des Caisses d‘Épargne et de Crédit Agricole Mutuel) mit 1,8 Millionen Kund*innen und das Netzwerk von Dorfkassen (Réseau National des Caisses Villageoises d’Epargne et de Crédit Autogérés) zurückzuführen. KfW und GIZ zielen auf die nachhaltige Versorgung kleinbäuerlicher Betriebe mit Finanzdienstleistungen durch technische Innovation. Dazu zählen Cashflow-basierte Darlehen, effizientere Kredit Scoring Verfahren, flexible Rückzahlungsmodalitäten, Finanzierung von WSK, ein der Ersparnismobilisierung förderliches Einlagensicherungssystem, und digitale Zahlungsoptionen. Seit 2024 unterstützt auch der DGRV die finanzielle und digitale Alphabetisierung und verbesserte Verbraucherinformation über lokale Radiostationen.

Ausblick

Die weitere Entwicklung der Agrarfinanzierung wird nicht zuletzt davon abhängen, welchen Stellenwert die Entwicklungszusammenarbeit dem Thema beimisst. Die globalen Herausforderungen sind immens. Klimakrise, Welternährungs- und Armutssituation verlangen die weitere Schwerpunktsetzung auf Förderung nachhaltiger Ernährungssysteme und Agrarfinanzierungskonzepte. Die Länderstudien zeigen, dass großes Potenzial in der partnerschaftlichen Kooperation besteht - beispielsweise zwischen DGRV und Deutscher Sparkassenstiftung für Internationale Kooperation (DSIK). Dadurch können ländliche Finanzinstitutionen und deren Verbände gestärkt, Banken, Spar- und Kreditgenossenschaften sowie Mikrofinanzinstitutionen organisatorisch aufgebaut und interne Prozesse, Produkte und -Dienstleistungen automatisiert werden. Schließlich ist es unerlässlich, die systematische Qualifizierung (finanzielle und digitale Alphabetisierung) der Kund*innen voranzutreiben. Dem Engagement des Privatsektors bei der Entwicklung innovativer Lösungen müssen rechtliche und regulative Spielräume (sandboxes) gegeben werden.

Die Key Take-Aways zeigen, dass die instrumentelle Bedienung des Agrarkredits keine nachhaltig positive Wirksamkeit hat. Vielmehr sind differenzierte Finanzdienstleistungen unterschiedlicher FD, finanzsystemische Ansätze und die Integration von Agrarfinanzierung in die Entwicklungspolitik zur Armutsminderung und Ernährungssicherung nötig. Dies wird klar, wenn man den Nexus von produktiver Nutzung von Finanzen, financial education und technical skills, Einkommenssteigerung, Eigenkapitalbildung, responsible finance und Verbraucherschutz, Stärkung der Resilienz gegenüber Risiken und Verbesserung der Lebensstandards (einschließlich sozialer Transfers) in den Blick nimmt.

Autor

Dr. Michael Hamp ist Experte für landwirtschaftliche Entwicklung und ländliche Finanzierung. Er arbeitete im Bereich Finanzsystementwicklung und Klein- und Mittelstandsförderung für die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) u.a. in Indonesien und Namibia und anschließend für den International Fund for Agricultural Development (IFAD) als Global Lead Rural Finance, Value Chain and Enterprise Development.