Regierungsführung und politische Partizipation unter pandemischen Bedingungen

Kongressbericht 1: Regierungsführung und politische Partizipation unter pandemischen Bedingungen

von Katharina Kowalski

Der wissenschaftliche Kongress der DVPW 2021 deckte ein breites Spektrum an gesellschaftlichen Herausforderungen ab. Der Untersuchungsgegenstand wurde deshalb anhand des persönlichen Forschungsinteresses auf die Pandemie COVID-19 und ihren Einfluss auf die Regierungsführung und die politische Partizipation spezifiziert. Für die Bearbeitung der Forschungsfrage Wie hat COVID-19 die Regierungsführung und die politische Partizipation beeinflusst? wurden Panels ausgewählt, die die sich mit Fragen der Regierungsforschung und Partizipationsforschung beschäftigten.

Das Panel „Coronakratie. Demokratisches Regieren und Wählen in Zeiten der
Pandemie“ richtete die Aufmerksamkeit auf die gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen im Zuge der Corona-Pandemie für die Politik und Gesellschaft. Unter der Leitung von Julia Schwanholz (Duisburg-Essen) erfolgte in einem Roundtable-Format eine moderierte Diskussion zwischen den Teilnehmer:innen Karl-Rudolf Korte (Duisburg-Essen), Andrea Römmele (Berlin) und Claudia Landwehr (Mainz), die die Chancen und Risiken der Pandemie für die Demokratie und das politische System der Bundesrepublik Deutschland, sowie die Frage nach der Resilienz demokratischen Regierens im Spannungsfeld zwischen Freiheit, Gesundheit und Sicherheit, tiefgründig beleuchtet hat. Der Roundtable veranschaulichte wie COVID-19 die Regierungsführung und Regierungskommunikation beeinflusst hat, insbesondere sei eine Konkurrenz zwischen zwei Kommunikations- und Führungsstilen erkennbar. Ein Stil kennzeichnet sich durch eine Fehlertoleranz und die Herbeiführung von Veränderungen durch Wissen aus, wohingegen ein anderer Stil dadurch gekennzeichnet ist, dass Versuchungen des Autoritären nachgegeben wird. Die Diskutant:innen stellten fest, dass sich die technokratische Kommunikation während der Pandemie als problematisch erwiesen hat. Sie verlagerte den Streit von der Auswahl der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie hin zur Infragestellung der Bedrohungslage. Eine Fehlertoleranz sei jedoch essentiell für die Resilienz einer Demokratie und die Gefahren einer technokratischen Kommunikation dürften nicht missachtet werden. Darüber hinaus wurde diskutiert, wie die Pandemie den Wahlkampf und den Parteienwettbewerb beeinflusst hat. Die Diskutant:innen sind sich einig, dass man anhand der Erfahrungen mit COVID-19 aus den Fehlern lernen und bestimmte Instrumente und Wissen für die Zukunft generieren kann. So hat sich das kuratierte Regieren als funktionierendes Instrument in der Krise erwiesen und kann ebenfalls für künftige Krisen angewendet werden.

Im Panel „Bürger*innenbeteiligung in pandemischen Krisen: brauchen wir mehr digitale Partizipation?“ wurde unter der Leitung von Jonathan Seim (Düsseldorf) eine empirische und normative Bestandsaufnahme der Effekte der Pandemie auf die digitale Bürgerbeteiligung präsentiert. Norbert Kersting (Münster) veranschaulichte die Perspektive von Ratsmitgliedern auf die Zwangsdigitalisierung politischer Partizipation in verschiedenen Settings zwischen den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Niedersachen während COVID-19. Die Befunde weisen auf eine Beeinträchtigung des Wahlkampfs durch die Pandemie sowie einen Mangel an digitaler Infrastruktur, der die Partizipationsmöglichkeiten von Bürger:innen eingeschränkt hat. Kersting plädiert für eine „Blended Partiziptation“, eine Kombination aus Online und Offline-Teilnahme. Marc-Christian Schäfer, Fabian Lauterbach und David Zimmermann (alle wer denkt was GmbH) ermöglichten einen praxisorientierten Einblick in konsultative Bürgerbeteiligungsverfahren. Bedingt durch die Pandemie wurde eine unsicherheitsbedingte Zurückhaltung bei allen begleitenden Projekten der Bürgerbeteiligung im Jahre 2020 festgestellt, die zu einer Unterbrechung der Bürgerbeteiligungsverfahren geführt hat. Nichtsdestotrotz ist die Nachfrage und Forderung seit 2020 nach einer Kombination von Offline- und Online-Komponenten für Bürgerbeteiligung, je nach dynamischer Pandemielage, gestiegen. Demgegenüber hätte sich im Jahre 2021 die Durchführung der Verfahren zur Bürgerbeteiligung normalisiert.

Am darauffolgenden Tag fokussierte sich das Panel „Roundtable: Politische Partizipation in der Pandemie: Unsicherheiten, Herausforderungen, Chancen“ auf gegenwärtige und zukünftige Herausforderungen und Chancen für die Partizipation während der Pandemie. Unter der Leitung von Priska Daphi (Bielefeld) und Martin Elff (Friedrichshafen) diskutierten Sigrid Baringhorst (Siegen), Kathrin Ackermann (Heidelberg), Oscar W. Gabriel (Stuttgart) und Swen Hutter (Berlin) in einem Roundtable-Format die diversen Veränderungen der Partizipation während COVID-19. Sie sprachen insbesondere Partizipationsformen, Digitalisierung und Beteiligung bestimmter gesellschaftlicher Gruppen an. Die Pandemie habe die Versammlungsmöglichkeiten und die Straßenöffentlichkeit beeinträchtigt, was zu einer Veränderung der Partizipation geführt habe. Politische Teilnahme habe sich in den digitalen Raum verlagert, was zu einer steigenden Hybridität von Partizipationsformen führte. In diesem Zusammenhang wurde die Schwierigkeit der Durchführung von Partizipationsformaten diskutiert und wie die Hybridität und Komplexität von Partizipation, die nicht über klassische Organisationen angeboten wird, erforscht werden kann. Entsprechend hätten sich bereits bekannte Trends wie die Informalisierung und Individualisierung von Partizipationsformen verstärkt. Die Diskutant:innen waren sich einig, die Veränderungen politischer Partizipation werden künftig beibehalten. Diesbezüglich wurden die Folgen einer Partizipation debattiert, die nur auf kurzfristige Lösungen einzelner Probleme ausgerichtet ist.

Schlussendlich thematisierte das Panel „Mehr denn je: Wir haben die Briefwahl!“ unter der Leitung von Thorsten Faas (Berlin) und Aiko Wagner (Berlin) empirische Befunde zum Format der Briefwahl sowie die Briefwahl im Kontext von COVID-19. Thorsten Faas (Berlin) und Aiko Wagner (Berlin) veranschaulichten in ihrem Beitrag die Wahlbeteiligung und Briefwahlnutzung bei der rheinland-pfälzischen Landtagswahl 2021 in Zeiten von COVID-19. Einerseits wurde kein Zusammenhang zwischen 7-Tage-Inzidenz und Briefwahlanteil festgestellt. Anderseits besteht ein Zusammenhang zwischen sinkender Wahlbeteiligung und einer erhöhten 7-Tage-Inzidenz. Zudem ging die Wahlbeteiligung in den Wahlbezirken weniger zurück, in denen die Briefwahl häufiger genutzt wurde. Der Beitrag schloss mit dem Fazit, dass keine stärkere Nutzung der Briefwahl in den Kreisen mit einer höheren 7-Tages-Inzides festgestellt wurde.

Rekapitulierend kann die Forschungsfrage Wie hat COVID-19 die Regierungsführung und die politische Partizipation beeinflusst? wie folgt beantwortet werden: Durch die Pandemie COVID-19 wurde die Regierungsführung und Regierungskommunikation beeinflusst. Dies offenbart sich einerseits durch die neu aufgetretene Konkurrenz zwischen zwei Kommunikations- und Führungsstilen sowie andererseits die gewachsenen Ansprüche an den Staat und seine Regierungsführung. Entsprechend erwies sich die technokratische Kommunikation während der Pandemie als problematisch für die Regierungsführung, die den Streit von der Auswahl der Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie hin zur Infragestellung der Bedrohungslage verlagert hat.

Hinsichtlich des Einflusses von COVID-19 auf die politische Partizipation wurde unter anderem auf die Beeinträchtigung des Wahlkampfs durch die Pandemie, einen Mangel an digitaler Infrastruktur, der die Partizipationsmöglichkeiten von Bürger:innen eingeschränkt hat, sowie auf eine pandemiebedingte Beeinträchtigung der Versammlungsmöglichkeiten und der Straßenöffentlichkeit  hingewiesen. Zudem wurde im Jahre 2020 eine Unterbrechung von Bürgerbeteiligungsverfahren beobachtet, wobei bereits ein Jahr später eine weitestgehende Normalisierung in der Durchführung von und Teilnahme an Verfahren der Bürgerbeteiligung verzeichnet wurde. Nicht zuletzt hat eine Verlagerung der Partizipation in den digitalen Raum stattgefunden, die zu einer steigenden Hybridität von Partizipationsformen führte. Gleichfalls haben sich bereits vorhandene Trends wie die Informalisierung und Individualisierung von Partizipationsformen verstärkt. Des Weiteren kann ein Einfluss auf die Prozesse von Massenmobilisierungen durch COVID-19 nicht ausgeschlossen werden. Schlussendlich wurde zwar eine erhöhte Briefwahlbeteiligung während der Pandemie verzeichnet, jedoch wurde keine höhere Briefwahl in den Kreisen mit einer höheren 7-Tages-Inzides festgestellt. Entsprechend besteht ein Zusammenhang zwischen sinkender Wahlbeteiligung und einer erhöhten 7-Tage-Inzidenz. Nichtsdestotrotz ist die Wahlbeteiligung in Regionen, in denen die Briefwahl mehr genutzt wurde, weniger deutlich gesunken.

Quellen:

Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft. 2021a. https://www.dvpw.de/wir/profil/ziele. Zugegriffen: 24. Oktober 2021.

Deutsche Vereinigung für Politikwissenschaft. 2021b. Kongress-Thema. https://www.dvpw.de/kongress/kongress-thema. Zugegriffen: 24. Oktober 2021.