Task Force / Forschendes Lernen

 

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WS 2020/21 Seminar „Rating a People“:
Schlüsseldokumente, Schlüsselinstitutionen und Schlüsseltheorien: Chinas Sozialkreditsystem (Lia Musitz)

Blog

Im Wintersemester 2020/21 haben einige Teilnehmer des Seminars „Rating a People“: Schlüsseldokumente, Schlüsselinstitutionen und Schlüsseltheorien Chinas Sozialkreditsystems von Lia Musitz Beiträge zu ihren Recherchen über Chinas Sozialkreditsystem für diesen Blog verfasst.

Roman Helmedach
Isabella Spieler
Tugce Tütüncü
Aniela Tyborski

Warum akzeptieren Chinas Bürger das Sozialkreditsystem?

von Roman Helmedach

Einführung

Die Volksrepublik China strebt nach einem Sozialkreditsystem, welches die Bürger, die Unternehmen und andere Organisationen in China in Bezug auf ihre Kreditwürdigkeit und die Einhaltung von Gesetzen bewerten soll. Das Sozialkreditsystem soll dazu genutzt werden, gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Probleme zu lösen. 2014 hatte der Staatsrat einen Entwurf für den Aufbau eines Sozialkreditsystems in China veröffentlicht. Nach der Veröffentlichung haben viele Kommunalverwaltungen mit der Entwicklung von Sozialkreditsystem-Pilotprojekten an ihren Standorten begonnen. Diese Pilotprojekte legten den Schwerpunkt darauf, durch Anreize moralisches und gesetzestreues Verhalten der Bürger, der Unternehmen, der sozialen Organisationen und der Regierungsbehörden zu induzieren. Es wurde getestet, ob diese vertrauenswürdig handeln oder nicht. Bei nicht vertrauenswürdigem bzw. illegalem Verhalten folgten Strafen wie z.B. die Veröffentlichung der Namen auf einer Schwarzen Liste. Belohnungen waren z.B. ein leichterer Zugang zu staatlichen Dienstleistungen (Kostka 2019: S. 1566–1569).

Online-Umfrage zum Sozialkreditsystem

Es wurde eine Online-Umfrage in der Volksrepublik China in Zusammenarbeit mit einem Berliner Meinungsforschungsunternehmen durchgeführt. Die Fragen wurden in verschiedenen Apps und mobilen Webseiten angezeigt. Bei der Online-Umfrage konnte eine Gesamtstichprobengröße von 2209 Bürgern erreicht werden. Eine Frage war, wie sehr die Teilnehmer das Sozialkreditsystem in der Volksrepublik China befürworten. Auch wurden sie nach individuellen Merkmalen und persönlichen Überzeugungen wie z.B. Alter, Wohnort, Geschlecht, Einkommen, Bildungsgrad und politischer Einstellung gefragt. Ferner wurden die Teilnehmer nach ihrem Wissen über die Eigenschaften des Sozialkreditsystems befragt, z.B. wie die Bewertungen im Sozialkreditsystem berechnet werden und welche Informationen sie allgemein vom Sozialkreditsystem haben, und sie sollten Vor- und Nachteile der Funktionen des Sozialkreditsystems nennen (ibid: S. 1570–1573).

Ergebnisse der Umfrage geben ein besseres Verständnis für das Verhältnis der chinesischen Bevölkerung zum Sozialkreditsystem

48,9 % der Befragten insgesamt befürworteten stark, dass es ein Sozialkreditsystem in der Volksrepublik China geben soll. 31,1 % stimmten für ein Sozialkreditsystem, 18,7 % der Teilnehmer gaben eine neutrale Antwort, 0,8 % stimmten gegen ein Sozialkreditsystem und 0,6 % waren stark gegen ein Sozialkreditsystem in der Volksrepublik China.

Die starken Befürworter des Sozialkreditsystems waren auch jeweils am stärksten vertreten in den drei Altersgruppen (14–30 Jahre: 44,7 %, 31–50 Jahre: 52,8 % und 51–65 Jahre: 55,6 %) sowie bei den weiblichen (45,0 %) und den männlichen Teilnehmern (50,6 %).

Anders war es beim Bildungsgrad, hier wurden unterschiedliche Ergebnisse ermittelt. Die Befragten wurden in vier Gruppen eingeteilt mit hoher, mittlerer, geringer oder gar keiner Bildung. Bei den Teilnehmern mit hoher Bildung war die Mehrheit starke Befürworter eines Sozialkreditsystems (54,2 %), bei den Teilnehmern mit geringer Bildung und mit gar keiner Bildung hatte die neutrale Antwort den größten Anteil (35,3 % bzw. 56,5 %) (ibid: S. 1575–1578).

Gründe für diese Ergebnisse

Ein Grund, warum viele Bürger das Sozialkreditsystem in China stark befürworten, ist, dass das Sozialkreditsystem nicht als Instrument der Überwachung wahrgenommen wird, sondern als Vorteil, durch den die Lebensqualität der Bürger verbessert wird. Auch sollen institutionelle Lücken geschlossen werden. Zudem soll eine vertrauenswürdige und gesetzestreue Gesellschaft entstehen. Die Vorteile, die das Sozialkreditsystem mit sich bringt, werden als sehr attraktiv angesehen. Die Rechenschaftspflicht, von denen alle Bereiche betroffen sind, kann das Vertrauen und die Ehrlichkeit in der Gesellschaft fördern. Das Sozialkreditsystem gibt auch einen Anreiz in Form von Belohnungen, die für viele Menschen sehr ansprechend sind, wie z.B. die Möglichkeit, einen Bankkredit mit niedrigen Zinsen zu erhalten. Die Lebensmittelsicherheit kann durch die Rechenschaftspflicht ebenfalls gewährleistet werden. Probleme wie die Nichteinhaltung von Umweltvorschriften und Internetbetrug können beseitigt werden. Bei schlecht bewerteten Bürgern wird zudem ein zusätzlicher Abschreckungsmechanismus geschaffen, nicht mehr kriminellen Tätigkeiten nachzugehen, da die daraus resultierenden Folgen und Strafen schwerwiegend sind. Ziel ist es, den wahrgenommenen Mangel an Vertrauen in der Gesellschaft zu beseitigen. Abschließend sprachen sich dann auch 59 % der befragten Teilnehmer dafür aus, dass die Zentralregierung das Sozialkreditsystem in China verwalten soll (ibid: S. 1585f).

Kollektives Denken und kulturelle Unterschiede in der chinesischen Gesellschaft

Ein weiterer wichtiger Punkt, warum ein Sozialkreditsystem in der Volksrepublik China kein großes Problem darstellt, sind die kulturellen Unterschiede und das Denken der chinesischen Bürger im Gegensatz zum Westen. Ein wichtiger Begriff ist hier die politische Kultur. In China sowie in anderen ostasiatischen Ländern ist es der Staat, der für die moralische und juristische Bildung der Bürger verantwortlich ist. Außerdem gab es unterschiedliche Ideologien wie z.B. Konfuzianismus, Daoismus und Buddhismus, die Verhaltensweisen beschreiben und nach dem sich viele chinesische Bürger richten. Traditionell war es die Aufgabe des Staates, die Stabilität zu bewahren und die moralische Ordnung der Gesellschaft zu schützen. Der Staat vermittelt den Bürgern, dass das Interesse der Gruppe vor dem Eigeninteresse des einzelnen Bürgers Vorrang hat. Somit herrscht in der Volksrepublik China kollektives Denken. Die kollektiven Interessen sind mit der Moral verbunden. Somit ist es die Pflicht jedes einzelnen Bürgers, sich für das Kollektiv und die Interessen des Staates einzusetzen. Die Chinesen sehen den Staat daher als intimen Teil der Familie und behandeln ihn wie das Familienoberhaupt (Heberer 2020: S. 19ff).

Fazit

Das Sozialkreditsystem nimmt die Rolle als wichtiges Disziplinierungsinstrument des Staates ein. Eine gerechte, ehrliche und vertrauensvolle Gesellschaft soll dadurch entstehen. In der Volksrepublik China gab es in der Vergangenheit sehr viele Vertrauensmissbräuche wie z.B. Korruption. Die Bevölkerung sieht mit der Einführung eines Sozialkreditsystems in China die Chance, dass das Rechtsbewusstsein in der Bevölkerung gestärkt wird. Die Bestrafungen in diesem System sehen viele Bürger als Notwendigkeit, damit die Volksrepublik aus dieser moralischen Krise herauskommt (ibid: S. 57ff).

Chinas Sozialkreditsystem: Die Entwicklung einer Zweiklassengesellschaft?

von Isabella Spieler

Was ist das Sozialkreditsystem?

Am 14. Juni 2014 veröffentlichte der Staatsrat das Dokument Bekanntmachung des Staatsrates über die Veröffentlichung der Planung für den Aufbau des Sozialkreditsystems, welches über die herkömmliche Kreditwürdigkeitsprüfung hinausgeht. Aber neben der Kreditwürdigkeitsprüfung und der damit verbundenen Sicherheit, die Kredite auch zurückzahlen zu können, sollen auch soziale Probleme gelöst werden. Darunter fallen zum Beispiel die Stärkung des Vertrauens innerhalb der Gesellschaft, Bekämpfung der Korruption und eine Verbesserung der nationalen Sicherheit und des Umweltschutzes. Für die Umsetzung sollen Daten von Privatpersonen, Organisationen, Staatsbediensteten und Unternehmen gesammelt und durch Ratings bewertet werden. Diese Daten werden ebenfalls zwischen bestimmten Institutionen geteilt. Auf Grundlage dieser Rankings werden Belohnungen und Bestrafungen aufgesetzt, um einen Anreiz zu schaffen, den Regeln des Sozialkreditsystems zu folgen. Neben den finanziellen Aspekten spielen auch moralische Gesichtspunkte bei der Bewertung eine Rolle. Ursprünglich sollte es bis 2020 aufgebaut sein.

Eine der Pilotstädte, die Ansätze des Sozialkreditsystems entwickelten, ist Rongcheng (Provinz Shandong). Weitere Städte folgten und adaptierten zum Teil den Rahmen, den diese Stadt vorgab (Liu 2019).

Die Frage, die sich hier stellt, ist, ob sich durch die Bewertung der Beteiligten eine Zweiklassengesellschaft entwickelt, zwischen den Akteuren mit einer besseren Bewertung und den schlechter Bewerteten.

Woher kommen die Daten zur Bewertung?

Momentan arbeiten sowohl staatliche als auch private Akteure zusammen und teilen ihre Daten durch gemeinsame Plattformen mit dem Ziel, Daten von Privatpersonen zu sammeln, die für Regulierungen wichtig sind. Dies sind spezielle Firmendaten, wie zum Beispiel Zahlungsrückstände (Sutherland 2019). Neben der Sammlung der Daten stellt der Privatsektor auch die Technologie, die der Staat benötigt, um die Daten zu verarbeiten und zu analysieren (Liang et al. 2018).

Mit Hilfe von Datenbanken und Big Data sollen diese Daten gespeichert und verarbeitet werden. Es werden finanzielle Daten, zum Beispiel Steuern und Löhne, aber auch persönliche Daten wie Führungszeugnisse, Bildungsstand und Informationen aus den sozialen Medien gesammelt. Big Data verfolgt das Ziel, alles über jeden zu jeder Zeit festzuhalten, oftmals auch ohne das Wissen der Personen, von denen die Daten stammen. Das Sammeln der Daten wird durch Big Data allgegenwärtig (ibid).

Allerdings ist wichtig zu betrachten, dass sich die Sammlung der Daten verstärkt auf Unternehmen konzentriert anstelle von Privatpersonen. Um dies einmal mit Zahlen zu veranschaulichen: die National Credit Information Sharing Platform (NCISP) wird von der National Development and Reform Commission (NDRC) betrieben, die mit 45 weiteren Ministerien der Regierung zusammenarbeitet (Sutherland 2019). Hier werden sowohl öffentliche Daten, wie Lizenzen, verwaltet, als auch private Daten, wie Namen oder die Identifikationsnummern. Zur Zeit haben sie 400 Datensets, wovon 261 Sets Daten von Firmen beinhalten, 74 Sets von einzelnen Bürgern, 32 Sets von sozialen Organisationen und 33 von staatlichen Sektoren. Die meisten Daten stammen von der NDRC, aber auch verschiedene Ministerien wie das Ministerium für Technik und Informationstechnologie und das Ministerium für Transport liefern Daten an die NCISP (Liang et al. 2018).

Verschiedene Bewertungssysteme in China

Auch wenn ein einheitliches System geplant ist, gibt es bis jetzt verschiedene Systeme, die zum Teil von staatlichen Institutionen und zum Teil von Privatunternehmen stammen, da Privatunternehmen ebenfalls ihre Kunden bewerten und somit Daten liefern. Ein Beispiel hierfür ist Alibaba, welches damals die Tochterfirma Ant Financial gründet hat, um einen sicheren Zahlungsverkehr zu gewährleisten, welche daraufhin Sesame Credit entwickelte (Seidel 2018). Sesame Credit schließt sich mit verschiedenen Onlineplattformen zusammen, um ihre Nutzer zu bewerten, zum Beispiel mit Didichuxing, dem chinesischen Pendant zu Uber. Dadurch wird eine große Datenmenge aggregiert, durch die die Nutzer von Sesame Credit mit einem Punktesystem bewertet werden können. Dieses reicht von 350 bis 950 und wird von fünf Faktoren bestimmt. Der erste Faktor ist die Kreditvergangenheit, zum Beispiel wie man in der Vergangenheit Rechnungen bezahlt hat. Der Zweite beschreibt die „Erfüllbarkeit“, ob der Nutzer in der Lage ist, die vertraglichen Verpflichtungen, die durch den Kauf entstanden sind, zu erfüllen. Als Drittes fließen auch persönliche Merkmale, wie zum Beispiel die Handynummer und Adresse, mit ein. Viertens wird das Verhalten beschrieben und werden Vorlieben bewertet anhand der gekauften Produkte. Kauft jemand Videospiele, wirkt sich das negativ auf den Score aus im Vergleich zu jemandem, der Windeln kauft, da er als verantwortungsvolles Elternteil gilt. Somit wird auch das Kaufverhalten der Kunden beeinflusst. Diese Daten stammen vor allem von Käufen über Alibaba-Plattformen. Die fünfte Kategorie bezieht sich auf zwischenmenschliche Beziehungen, geprägt durch Online-Interaktionen, hierbei behauptet Alibaba allerdings, dass Social-Media-Postings diese Bewertung zur Zeit nicht beeinflussen (Botsman 2017). Ein hoher Score bringt der Person viele Vorteile, wie zum Beispiel kautionsfrei Hotels zu buchen oder Autos zu mieten. Ein Pendant zu Sesame Credit ist Tencent Credit, welches vom gleichnamigen Unternehmen Tencent stammt. Hier werden die Daten unter anderem auch von WeChat gesammelt (Ionos 2021). Auch die People’s Bank of China (PBOC), Chinas Zentralbank, hat ein Bewertungssystem eingeführt, das Credit Reference Center. Dieses Kreditsystem umfasst Privatpersonen und Unternehmen und erschien bereits 2006, wurde aber nach 2014 weiterentwickelt (Liu 2019). Es beinhaltet Finanzdaten, wie zum Beispiel die Anzahl der Kredite oder verspätete Zahlungen, sowie Regierungsdaten, wie Steuerzahlungen und Gesetzesverstöße. Weitere Aspekte, die die PBOC für die Bewertung nutzt, können hier weiter gelesen werden. Diese Daten stammen von anderen Kreditinstituten und werden auch nur in diesen Bereichen weitergegeben. Des Weiteren hat die PBOC auch Alibaba und Tencent damit beauftragt, Sozialkreditsystemmodelle zu entwickeln. Allerdings wurden hierfür 2017 nicht die Lizenzen verlängert, da das Kaufverhalten dadurch zu stark beeinflusst wurde (Liu 2019). Dennoch hat dies Alibaba und Tencent nicht daran gehindert, weiter ihre Bewertungssysteme auszubauen und für sich selber weiter zu nutzen.

Wie wird bewertet? Schwarze Listen

Die Justiz ist einer der ersten Institutionen des Sozialkreditsystems, welche sich für die Verwendung von Datenbanken und Blocklisten, auch genannt Schwarze Listen, entschied. Durch die weite Verbreitung privater Systeme wie Sesame Credit wird nicht selten fälschlicherweise angenommen, dass im öffentlichen Sozialkreditsystem jeder Bürger einen individuellen Punktestand erhält. Blocklisten sind allerdings das meistgenutzte Bewertungssystem. Dessen Verwendung legt eine Policy des Sozialkreditsystems von 2014 fest. So standen zum Beispiel bis Ende Juni 2019 27 Millionen Einwohner auf einer Blockliste, die zu Einschränkungen bei Flugreisen führt (Sun 2021). Zurzeit geben die NCISP und das National Enterprise Credit Information Publicity System Auskunft über die schwarzen Listen. Ein Eintrag kann dort bis zu fünf Jahre gespeichert sein und frühestens nach sechs Monaten gelöscht werden. Auch gibt es rote Listen, die Belohnungen beinhalten (Ionos 2021).

Allerdings gibt es auch hier nicht die eine Liste, da die Listen auf den verschiedenen Zuständigkeiten der Behörden basieren. Auch die Eintrittskriterien der Listen unterscheiden sich, so wird man zum Beispiel erst auf der Schwarzen Liste des Büros für Cyberspace genannt, wenn man online Gerüchte verbreitet, und für die Blacklist der Transportunternehmen gelten andere Kriterien. Diese führen auch verschiedene Bestrafungen mit sich. Die erste übergreifende Schwarze Liste wurde 2013 vom Obersten Volksgerichtshof eingeführt, auf welcher sich vor allem Schuldner wiederfinden. Sanktionen dieser Liste sind zum Beispiel ein Einkaufverbot bestimmter Güter. In den letzten Jahren haben der Oberste Gerichtshof und NDRC immer mehr miteinander zusammengearbeitet, um die Sanktionen zu verstärken. Aber auch Unternehmen und Regierungen auf Stadt-, Kreis- und Landesebene können auf den Listen stehen, so gibt es für die Regierungschefs ebenfalls Einschränkungen bei Reisen und beschränkte Kredit- und Investitionsmöglichkeiten für ihr Unternehmen (Liu 2019). Dennoch sind nationale Bewertungskriterien bis jetzt unbekannt (Ionos 2021).

Konsequenzen für Privatpersonen und Unternehmen

Wie man bereits im Abschnitt zur Datensammlung erkennen konnte, fokussiert sich das Sozialkreditsystem mehr auf Unternehmen als auf Privatpersonen. Bis jetzt ist auch unklar, ob jeder Verstoß Konsequenzen mit sich bringt. Laut Jeremy Daum ist es wahrscheinlich, dass erst ein strafrechtlicher Vorfall vorliegen muss (Ionos 2021).

Für Privatpersonen können Vorteile in Form einer besseren Vergabe von Arbeitsplätzen bestehen, sowie ein erleichterter Zugang zu Krediten, schnellere Beförderung und eine Vergünstigung bei öffentlichen Verkehrsmitteln. Auch Unternehmen profitieren von leichteren Krediten sowie von einer Bevorzugung bei öffentlichen Ausschreibungen, von Steuervergünstigungen und weniger Kontrollen.

Nachteile hingegen sind ein erschwerter Zugang zu Krediten, ein Arbeitsverbot in bestimmten Sektoren, Nachteile bei Reisen und Visavergaben, erschwerter Zugang zu Sozialleistungen, Arbeitsverbote im öffentlichen Dienst und so weiter. Auch Unternehmen haben Probleme bei der Kreditvergabe, müssen aber auch mit verstärkter Inspektion der Waren rechnen, eine Verweigerung von Lizenzen und Genehmigungen und vermehrte und unangekündigte Kontrollen. Dies ist nur ein Ausschnitt von Vor- und Nachteilen, weitere können hier nachgelesen werden.

Wenn man die hier gelesenen Grundlagen sich einmal visualisieren möchte, kann man sich in diesem Video einen umfassenden Überblick über die angesprochenen Themen verschaffen. Hier erfährt man mehr Details über den geplanten Aufbau und die grundlegenden Aspekte. Der Inhalt dieses Beitrages wird hier noch mal veranschaulicht und visualisiert dargestellt.

Fazit und Kritik

Es ist zu berücksichtigen, dass das Sozialkreditsystem über die normale Kreditbewertung hinausgeht. Die Bürger Chinas kritisieren das Sozialkreditsystem kaum und akzeptieren es. Ob dies ihre wirkliche Meinung ist oder von der Angst vor Sanktionen herrührt, ist unklar. Allerdings wird auch aus der bisherigen Verteilung der gesammelten Daten deutlich, dass sich das Sozialkreditsystem verstärkt auf Unternehmen konzentriert anstatt auf Privatpersonen. Des Weiteren muss man auch bedenken, dass der Datenschutz in China eine andere Rolle einnimmt als in den westlichen Ländern (Ionos 2021).

Was meiner Meinung nach zu einem sehr großen Problem werden kann, ist die Entwicklung einer Zweiklassengesellschaft, welche sich sowohl auf den privaten, aber auch auf den kommerziellen Bereich auswirkt. Sesame Credit hat schließlich bereits bekanntgegeben, dass auch zwischenmenschliche Beziehungen einen Aspekt bei ihrer Bewertung ausmachen. Wenn die Regierung bei einer späteren Zusammenführung diverser Systeme das System von Sesame Credit mit übernimmt, kann dies zu einer Entwicklung einer Zweiklassengesellschaft führen. Grund hierfür ist, dass zum Beispiel bestimmte Bürger nur noch mit Bürgern eines gleichen Scores zusammen agieren möchten. Außerdem werden Personen mit einem schlechtem Score von bestimmten Angelegenheiten ausgeschlossen und dürfen bestimmte Käufe, Reisen bis hin zu spezifischen Jobs nicht mehr tätigen und haben zudem noch einen erschwerten Zugang zu Sozialleistungen. Somit sind sie womöglich in einer Abwärtsspirale gefangen.

Dieses Schema lässt sich auch auf Unternehmen übertragen. Unternehmen mit einer guten Bewertung werden bei Ausschreibungen oder Ähnlichem bevorzugt, wohingegen Unternehmen mit einer schlechten Bewertung Nachteile erfahren, wie Verweigerungen bei Lizenzen oder Ähnlichem. Dies führt dazu, dass besser bewertete Unternehmen bessere Möglichkeiten haben, im Wettbewerb zu bestehen und gefördert werden, wohingegen es schlechter bewerteten Unternehmen durch die Sanktionen erschwert wird, sich zu verbessern und mit anderen Unternehmen zu konkurrieren. Auch das Bewerten der Kunden nach den gekauften Gütern trägt dazu bei, dass bestimmte Unternehmen schlechter dastehen, einfach weil ihre Produkte zu einem schlechten Ranking führen. Dies alles hat auch zur Folge, dass Unternehmen, die einen guten Score haben, nicht mit Unternehmen zusammenarbeiten, die einen schlechten Score haben. Hinzu kommt, dass ein Eintrag auf der Schwarzen Liste, der eine schlechte Bewertung zur Folge hat, bis zu fünf Jahren dort gespeichert wird und sich dies dementsprechend lange auf die Personen oder Unternehmen auswirken kann.

Natürlich kann man hier anmerken, dass die Bewertung auch Vorteile mit sich bringen kann. Unternehmen wissen somit vorher, ob sich zum Beispiel der Partner an bestimmte Vereinbarungen hält. Jedoch frage ich mich hier, inwiefern dies nicht durch Gesetze und Verträge geregelt werden kann, ähnlich wie dies in anderen Ländern funktioniert. Auch frage ich mich, inwiefern bereits die Unternehmen bevorzugt werden können, die bereits mit dem Staat zusammenarbeiten und Technologien und Daten bereitstellen.

Alles in allem handelt es sich beim Sozialkreditsystem noch um ein unfertiges Konstrukt, in welches verschiedene Akteure involviert sind, die verschiedene Bewertungsmechanismen haben. Um aber das volle Ausmaß erkennen zu können, muss man die flächendeckende Fertigstellung des Sozialkreditsystems abwarten. Danach erkennt man erst, wie zentralisiert die verschiedenen Datenplattformen tatsächlich sind und inwiefern die staatlichen Akteure mit den privaten zusammenarbeiten und Daten austauschen. Auch die Schwerpunkte des Systems werden erst dann deutlich, wenn identifiziert werden kann, welche Bereiche am stärksten überwacht werden. Frühestens dann wird deutlich, ob sich eine Zweiklassengesellschaft entwickeln wird, eben durch den unterschiedlichen Zugriff auf Ressourcen und fehlende Zusammenarbeit zwischen den unterschiedlich bewerteten Akteuren. Auch wird dann erkennbar, ob schlechter bewertete Akteure in einer Abwärtsspirale gefangen sind, oder ob es bis dahin bestimmte Regelungen gibt, die dies verhindern.

Alles in einem bleibt es bis zur Fertigstellung des Sozialkreditsystems abzuwarten, ob die Bewertungen am Ende wirklich so stark in das Leben der Personen und Unternehmen eingreifen, so dass China am Ende womöglich eine Zweiklassengesellschaft entwickeln wird.

Chinas Sozialkreditsystem vs. Menschenrechte

von Tugce Tütüncü

China wird häufiger nachgesagt, sich nicht an Menschenrechte zu halten. Da sich die Technik in den letzten Jahren weiterentwickelt hat, scheint das Sozialkreditsystem Chinas die Menschenrechtsdebatte erneut aufzugreifen. Eines der offensichtlichsten Gründe dafür ist das darin integrierte Überwachungssystem. So kommt die Frage auf, inwiefern das chinesische Sozialkreditsystem gegen die Menschenrechte verstößt.

Das chinesische Sozialkreditsystem ist ein Ratingsystem, welches Bürger, Unternehmen und Regierungsstellen nach ihrer Vertrauenswürdigkeit einstuft. Dafür werden Schwarze und Rote Listen, die auf dem jeweiligen Kreditreport beruhen, genutzt. Um dies zu gewährleisten, werden eine große Menge an Daten gesammelt. Akteure, die in eine Schwarze Liste eingetragen sind, werden bestraft. Akteure, die in Roten Listen aufzufinden sind, haben gewisse Vorteile anderen gegenüber. Jedoch wird nicht zwangsweise jeder in eine Liste eingetragen. Somit gibt es ein dreifaches Rating bestehend aus Rotlisten, Schwarzlisten und keiner Listung (Liang et al. 2018).

Gleichzeitig experimentieren einzelne Lokalregierungen zudem mit einer Punktevergabe. Dies geschieht durch das Verteilen von Kreditpunkten bei vertrauenswürdigem Verhalten, welches auf der Einhaltung bestimmter Standards basiert. Die persönliche Punktanzahl, also die eigene Kreditwürdigkeit, wirkt sich auf das Leben von Individuen aus, indem eine hohe Kreditwürdigkeit bestimmte Vorteile mit sich bringt, während Personen mit einem niedrigen Rating sanktioniert werden. Dies dient dem Zweck der Beseitigung des moralischen Verfalls, gesellschaftlicher Instabilität und mangelndem Vertrauen in der chinesischen Gesellschaft (Løge 2019).

Aus westlicher Sicht scheint das Sozialkreditsystem die Implementierung der Menschenrechte in China zu verhindern. Es ist jedoch zwischen westlichen Annahmen der Menschenrechte und der chinesischen Interpretation davon zu unterscheiden. So wie China sich auf einen Sozialismus mit chinesischer Prägung stützt, hat Chinas Menschenrechtsbild teils auch eine dementsprechende Prägung. Dieses ergibt sich u.a. aus verschiedenen kulturellen und politischen Faktoren, die zur Bewertung der Menschenrechtsumsetzung in Bezug auf das Sozialkreditsystem Chinas mit herangezogen werden sollten.

Das Menschenrechtsbild

Die internationalen Menschenrechte wurden 1948 von der Generalversammlung der UNO durch die „Allgemeine Erklärung der Menschenrechte“ verkündet. Sie definiert die Menschenrechte auf Grundlage der Menschenwürde und verbindet bürgerliche, politische und soziale Rechte in einem Dokument miteinander. Somit bildet es das Fundament des internationalen Menschenrechtsschutzes. In diesem Dokument sind heutzutage bekannte Menschenrechte wie die Religionsfreiheit aufzufinden (humanrights.ch).

Bezogen auf die chinesische Definition von Menschenrechten hat laut Scheil (2017) der instrumentelle Charakter des chinesischen Rechtsstaats, welcher das Recht als Werkzeug der herrschenden Klasse versteht, eine prägende Auswirkung. Demnach decken sich die Interessen der Nation sowie der Bürger, sodass das Recht der Nation auf Wohlstand durch Wirtschaft im Vordergrund steht und die Bürger ein Recht als Teilhabe daran haben. Der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte zufolge hat das chinesische Allgemeinwohl eine höhere Priorität als das der Individuen (Internationale Gesellschaft für Menschenrechte). Gemäß Harro von Senger (2006) enthält das chinesische Menschenrechtskonzept u.a. individuelle, kollektive und soziale Aspekte. Im Vergleich zu dem des Westens, welches primär individuelle Menschenrechte betont, bezieht sich das kollektive Menschenrecht Chinas auf wirtschaftliche, kulturelle sowie politische Selbstbestimmung und Entwicklung. Laut der Masterarbeit Surveillance and Human Rights in the Digital Age: A Case Study of China’s Social Credit System (Løge 2019) zählen Konzepte wie Stabilität und kindliche Pietät, die aus dem konfuzianistischen Bild stammen, zu den Menschenrechten mit chinesischem Charakter dazu.

Das westliche Konzept von Menschenrechten ist jedoch nichts Neues für China. Der Meinung Harro von Sengers nach ist es sogar schwierig, etwas Chinesisches in Chinas offizieller Position über die Menschenrechte festzustellen. Gemäß Kristin Shi-Kupfer (2016) wurden 2004 Menschenrechte in die Verfassung aufgenommen. Laut der Vertragssammlung der Vereinten Nationen (treaties.un.org) hat China 1998 den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte unterschrieben. Allerdings wurden diese Rechte bis jetzt noch nicht implementiert. Demnach kann man davon ausgehen, dass China prinzipiell die westlichen Annahmen von Menschenrechten akzeptiert, für sich selbst jedoch Ausnahmen schafft.

Menschenrechtsbeispiele und die chinesische Umsetzung

Im Folgenden wird auf einige Menschenrechte und deren Umsetzung in China eingegangen, um zu demonstrieren, inwiefern das Sozialkreditsystem gegen Menschenrechte verstößt. Auf nationaler Ebene wird das Recht auf Privatsphäre, welches ein westliches Konzept darstellt, durch die Überwachung im großen Stil des Sozialkreditsystems verletzt, da der Hauptbestandteil von Überwachung die Datensammlung ist. China sammelt hier u.a. personenbezogene Daten. Damit Staaten dieses Menschenrecht einschränken können, müssen drei Hauptbedingungen vorhanden sein. Eine davon ist, Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, um den Missbrauch der gesammelten Informationen zu vermeiden. Jedoch gibt es in Chinas Fall kein System für die Anonymisierung dieser Daten. Somit kommt China dem Datenschutz in diesem Fall nicht nach (Løge 2019).

In Bezug auf das Recht der Nichtdiskriminierung und Gleichberechtigung ist anzumerken, dass Minderheiten in China bereits systematisch diskriminiert werden, dies aber durch das Sozialkreditsystem allgemein verstärkt werden könnte. Laut der oben genannten Masterarbeit kann Überwachung selbst in erster Linie durch die Methode der Datensammlung und ferner in der Datenanalyse und Benutzung diskriminierend sein. Zudem besteht gemäß dem Büro des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas und dem Büro des Staatsrates (2016) die Möglichkeit, durch das Sozialkreditsystem zu bestimmen, wo man beschäftigt werden kann und an welchen Schulen Kinder eingeschrieben werden dürfen. Allerdings ist solch eine Sippenhaft durch die Bestrafung der Kinder von Schwarzgelisteten per Strafgesetzbuch (1997) in China untersagt. Laut Artikel 3 werden nur tatsächliche Straftäter bestraft. Somit verstößt China hier gegen die eigenen Gesetze sowie das Menschenrecht von Gleichheit vor dem Gesetz.

Als nächstes schauen wir uns Beispiele aus dem Sozialkreditsystem der Lokalregierung von Rongcheng an. Bezogen auf das Recht der freien Meinungsäußerung werden Personen gemäß den Kreditprüfungsstandards der Stadtregierung Rongchengs (2019) 50 Punkte abgezogen, wenn sie negative Informationen mithilfe des Internets verbreiten. Hier anzumerken ist jedoch, dass die Meinungsfreiheit in China per Gesetz nicht so ausgelegt ist, wie man diese im Westen kennt. Laut dem Cybersicherheitsgesetz der Volksrepublik China (2017) sind öffentliche Meinungsäußerungen, die die soziale Ordnung gefährden, untersagt. Dementsprechend unterstützt das Sozialkreditsystem in Rongcheng diesen Menschenrechtsverstoß und könnte auch dazu führen, dass die ohnehin nicht vorhandene Implementierung der Menschenrechte in China umso stärker verhindert wird.

Gegen das Recht, dass niemand der Beeinträchtigungen seiner Ehre und seines Rufes ausgesetzt werden darf, wird durch die Maßnahmen in der Stadt Rongcheng verstoßen. Die sogenannten Schwarzen Listen, mit „nicht vertrauenswürdigen“ Personen, werden öffentlich bereitgestellt und können dementsprechend zum Schaden des Rufes von Individuen führen (Rongcheng 2019).

Das Recht auf Sicherheit im Falle von Arbeitslosigkeit und Krankheit o.ä. durch unverschuldete Umstände wird teilweise durch das Sozialkreditsystem in Rongcheng unterstützt, indem gemäß dem bereits erwähnten Dokument der Kreditprüfungsstandards der Stadtregierung Rongchengs die Misshandlung von Familienmitgliedern oder Nichterfüllung von Unterstützungspflichten mit –50 Punkten bestraft wird. Hier wird auch anhand der Betonung von familiären Beziehungen der kulturelle und soziale Aspekt des chinesisch geprägten Menschenrechtsbilds deutlicher. Zudem ist dies in Chinas Strafgesetzbuch in Artikel 260 und 261 verankert. Dort ist die Rede von Freiheitsstrafen bei Misshandlung oder Verstoß gegen die Unterstützungspflicht gegenüber Familienmitgliedern. So fördert das Sozialkreditsystem in diesem Fall das erwünschte Verhalten, die Durchsetzung der Gesetze Chinas und eine teilweise Implementierung dieses Menschenrechts.

Gemäß demselben Dokument wird das Recht auf Bildung durch das Sozialkreditsystem in Rongcheng ebenfalls gefördert, indem Bestrafungen in Höhe von –50 Punkten für Eltern, die ihren Erziehungs- und Bildungsverpflichtungen gegenüber ihren Kindern nicht nachkommen, bevorstehen.

Man erkennt also, dass das Sozialkreditsystem auf nationaler sowie regionaler Ebene in China bereits vorhandene Menschenrechtsverletzungen weiter fördert bzw. auch legitimieren könnte. Menschenrechtsverletzungen, die durch das Sozialkreditsystem auftreten, sind jedoch nicht allein spezifisch auf das Sozialkreditsystem zurückzuführen. Vielmehr unterstützt das Sozialkreditsystem die bereits vorhandenen Menschenrechtsverletzungen in China, welche primär durch das Gesetz entstehen. So besteht die Gefahr, dass die Implementierung von Menschenrechten in China weiter hinausgezögert werden kann. Gleichzeitig zeigt sich, dass die primäre Aufgabe des Sozialkreditsystems auch darin besteht, die Einhaltung der Gesetze Chinas zu gewährleisten und in der Gesellschaft zu verankern.

Die Sicht der chinesischen Bürger

Zur Bewertung des Sozialkreditsystems Chinas in Hinblick auf Menschenrechte spielt die Auffassung der chinesischen Mehrheit eine Rolle. Das Ziel des Sozialkreditsystems, das Vertrauen zu stärken und die Herausforderungen der technologischen Entwicklung und Modernität zu bewältigen, wird von vielen Chinesen unterstützt. Grund hierfür ist, dass durch die Wirtschaftsentwicklung und den dadurch einhergehenden besseren Lebensstandard in China auch Betrug und Verbrechen zugenommen haben (Løge 2019).

Die Veröffentlichung der Schwarzen Listen und das damit verbundene Shaming stellt für die Mehrheit der Chinesen kein Problem dar. Praktiken des Shamings sind in China weit verbreitet, obwohl sie gegen Menschenrechte verstoßen. Sie zeigen sich als effektiv, da in der chinesischen Kultur ein großer Wunsch nach dem Erhalt von Harmonie in Beziehungen verankert ist, wohingegen im Westen ein größerer Wert auf die Rechte der Personen gelegt wird (Mac Síthigh und Siems 2019).

In Bezug auf die Meinungsäußerung gibt es in China viele Fälle, wo der Ausdruck unerwünschter Kritik bestraft wurde. Jedoch ist es möglich, unter bestimmten Voraussetzungen gewisse persönliche Ansichten zum Ausdruck zu bringen. Diese beinhalten die Aufrechterhaltung des Maoismus basierend auf Marxismus und Leninismus, die Aufrechterhaltung der Führung der Kommunistischen Partei Chinas, der demokratischen Diktatur des Volkes und der führenden Rolle des Sozialismus (Clarke und Feinermann 1995).

Dementsprechend ist das Sozialkreditsystem für chinesische Bürger keine allzu große neue Einschränkung der Menschenrechte, da diese in China schon seit längerem nicht vollständig ausgelebt werden können. Basierend hierauf lässt sich sagen, dass das Sozialkreditsystem für die meisten Chinesen eher positiv konnotiert ist.

Zur Lösung durch einander Verstehen

Es zeigt sich, dass Menschenrechte durchaus subjektiv betrachtet werden können und China ein etwas abgewandeltes Menschenrechtsbild im Vergleich zum Westen vertritt. Dieses ist von Chinas Geschichte sowie Kultur geprägt. Dementsprechend lohnt es sich, auf die Gegebenheiten des Landes und der Kultur zu achten. Möchte man die Motive des Verstoßes gegen Menschenrechte verstehen, spielen diese Kriterien und die Betrachtung der Einstellung sowie der Lebenslage der Gesellschaft eine Rolle.

Aus westlicher Perspektive verstößt das Sozialkreditsystem klar gegen Menschenrechte, und laut Kristin Shi-Kupfer verstoßen Chinas Gesetze von sich aus teilweise dagegen. Folglich ist diese Menschenrechtsdebatte um das Sozialkreditsystem tiefgründiger. Hauptsächlich ist das Sozialkreditsystem nur ein Mittel zum Zweck. Jedoch sollte nicht allein die westliche Perspektive als Bewertungsstandard gesehen werden. Es ist durchaus plausibel, dass chinesische Bürger gar nicht den Eindruck haben, durch das Sozialkreditsystem zu sehr eingeschränkt zu werden. Dies könnte primär dadurch begründet werden, dass die Ziele des Sozialkreditsystems von einem ehrlichen Umgang und Schaffung von Vorteilen mit den Wünschen der Bevölkerung größtenteils übereinstimmen (Kostka 2019).

Gleichzeitig ist es nicht verwerflich, an einem gesetzlichen Rahmen für das Sozialkreditsystem zu arbeiten, wo Menschenrechte etwas mehr in den Vordergrund gerückt werden. Dadurch dass sich das Sozialkreditsystem weiter negativ auf die Implementierung der internationalen Menschenrechte in China auswirken kann, ist es aus dieser Perspektive kritischer zu betrachten. Andererseits liegt das größere Problem in Chinas Menschenrechtsdebatte bei den chinesischen Gesetzen selbst. Die durch Chinas Gesetze aufkommenden Menschenrechtsverletzungen können durch das Sozialkreditsystem verstärkt werden. Es scheint, dass Menschenrechtsverletzungen in China durchaus legitimiert sind, wenn diese für ein besseres Allgemeinwohl sorgen. Folglich sollte auch die Frage aufkommen, inwiefern man gegen die Menschenrechtsverstöße durch chinesische Gesetze vorgehen soll. So ist es stets angebracht, um Konflikte zu lösen, sich auszutauschen und zu versuchen, die andere Seite zu verstehen. Hier ist dies nicht anders.

Was unterscheidet das chinesische Sozialkreditsystem von anderen Ratingsystemen?

von Aniela Tyborski

Die Technologie beeinflusst immer mehr unsere Welt. Ein Beispiel dafür ist das von der chinesischen Regierung eingeführte Sozialkreditsystem (SKS). In westlichen Medien wird das System oft mit dystopischen Science-Fiction-Szenarien verglichen. Aber ist das System uns wirklich so fremd? Ist das System in seiner Art wirklich einzigartig? Was unterscheidet das Sozialkreditsystem von anderen Systemen und macht es besonders? Auf diese Fragen wird im folgenden Blogeintrag eingegangen.

Was ist das Sozialkreditsystem?

Um einen Vergleich zu anderen System zu schaffen, muss man sich zuerst mit der Wirkungsweise des SKS auseinandersetzen. Das chinesische Sozialkreditsystem ist ein online betriebenes Rating-System, welches 2014 angekündigt und bis Ende 2020 vollständig im ganzen Land verbreitet werden soll (Staatsrat 2014). Das System überwacht und kontrolliert das Verhalten der Menschen durch eine Ansammlung von persönlichen Daten aus allen sozialen Bereichen mithilfe von staatlichen und öffentlichen Institutionen. Jede Person wird anhand eines Ratings oder einer Punktzahl bewertet. Gewünschtes Verhalten wird belohnt und unerwünschtes Verhalten bestraft. Laut Jeremy Daum kann das System in drei übergreifende Komponenten zerlegt werden: Eine Finanzkreditberichterstattungkomponente, um die Rückzahlung der Kredite zu bewerten; eine administrative Durchsetzungskomponente, in welcher „Schwarzlisten“ und Strafvereinbarungen für Gesetzesbrüche erstellt werden; und eine moralische Erziehungskomponente, wo Werte wie Aufrichtigkeit und Vertrauen vermittelt werden sollen (Daum 2019). Das Ziel ist, die chinesische Bevölkerung durch eine totale Überwachung zu mehr Aufrichtigkeit im sozialen Leben und zu politischer Loyalität zu erziehen (Staatsrat 2014).

Gemeinsamkeiten zwischen dem Sozialkreditsystem und anderen Systemen

Bei einem Sozialkreditsystem kommt es zu einer Bewertung der Fähigkeiten, des Charakters oder der Motivation der beobachteten Personen. Eine Bewertung tritt in vielen sozialen Kontexten auf und definiert, wie man in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Sie trägt zum Ansehen der Menschen bei. Ratingsysteme beruhen auf quantitativen und qualitativen Bewertungen, also auf Überlegungen und Erfahrungen. Dabei basieren diese Systeme selten auf mathematischen Modellen. Dies verursacht, dass das Urteil von den Rating-Bewertern situationsbedingt ist, und dadurch nicht als präzise angesehen werden kann (Crouhy, Galai and Mark 2001). Dies kann man beobachten bei der Auswahl von Handelspartnern. Man wählt einen Geschäftspartner aus, indem man seine Zuverlässigkeit, sein Angebot oder seinen Service bewertet. Die Bewertung entscheidet dann über den Ruf und Erfolg des Unternehmens. Bei Bewerbungsprozessen bewertet der Arbeitgeber die Motivation oder die Erfahrung der potenziellen Arbeitnehmer. Auch bei der Verteilung von Studienplätzen werden die Studenten anhand ihrer erbrachten Leistungen und ihres Notendurchschnitts bewertet.

Eine weitere Gemeinsamkeit ist die Institutionalisierung und Formalisierung des Systems. Methoden und Verfahren werden zur Zusammenstellung von Daten und zur Bestimmung von Rankings festgelegt. Das SKS verwendet unter anderem ein Scoringsystem, welches man in lokalen Pilotprojekten wie in Rongcheng beobachten kann. Dieses System sowie manche andere Bewertungssysteme bedienen sich eines numerischen Ausdrucks, welcher durch einen Zahlenwert oder durch eine vordefinierte Skala kategorisiert wird. Dies erleichtert nicht nur die Bewertung von Personen, sondern man erhält dadurch auch eine Objektivität, die durch einen Wert gekennzeichnet wird. Heutzutage findet man in vielen Bereichen vordefinierte Skalen, welche einen numerischen Wert und Ordnung aufweisen. Ein sehr bekanntes Beispiel findet man im Schulsystem. Schüler werden durch einen numerischen Wert in Prüfungen bewertet und einer Notenskala von 1 bis 6 zugeteilt. Auch bei Produktbewertungen findet eine Beurteilung statt, welchen den Käufer über die Qualität des Produktes informiert.

Zusätzlich basiert das SKS auf Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT). Dazu gehören unter anderem Radio, Fernsehen, Smartphones, Computer und Netzwerke, Satellitensysteme. IKT-basierte Ratingsysteme werden auch in Einstufungen von Bewerbern, Zuweisung von Kredit-Scores oder bei der Bewertung von Rückfallrisiken verwendet.

Darüber hinaus ist das SKS nicht nur auf IKT angwiesen, seine Entwicklung findet vor dem Hintergrund zunehmender Überwachungstechnologien statt. Durch die Anwendung von Kameras oder Geolokalisierungs-Tracker können nützliche Informationen gesammelt werden, wodurch man einzelne Personen anhand ihres Verhaltens in der Vergangenheit bewerten kann und zukünftige Aktionen antizipieren und steuern kann. Die Funktionsweise dieser Systeme lehnt sich an die Erfassung personenbezogener Daten an, die durch KI-Technologien automatisiert wurden. Eigene Beispiel dafür sind Ebay, Uber und Airbnb im „Sharing Economy“-Bereich (Lagioia and Sartor 2019). Von jedem, der auf Ebay seine Produkte verkauft, wird ein Ranking über die Schnelligkeit beim Versand oder Kommunikation beim Verkauf erstellt. Auch bei Uber werden sowohl Fahrer wie auch Mitfahrer gegenseitig mit Punkten bewertet, was die Qualität der Fahrt bestimmen lässt.

Zudem macht das SKS gebrauch von „Schwarzlisten“, wo sich Personen und Unternehmen befinden, welche gegen das Gesetz verstoßen haben und denen dadurch gewisse Rechte genommen werden. Dies findet man auch in Hintergrundüberprüfungen und Flugverbotslisten in den USA. Auch in Israel ist dieses System in Gebrauch. Passagieren werden Codes zugewiesen, welche ein Teil des Sicherheitssystems sind (Mac Síthigh und Siems 2019).

Unterschiede des SKS im Vergleich zu anderen Systemen

Ein wichtiger Unterschied ist, dass das CSKS von der chinesischen Regierung getragen wird und nicht von Privatunternehmen. In westlichen Ländern sind es oft Unternehmen, welche aufgrund des „Überwachungkapitalismus“ unter Anwendung von technischen Mitteln personenbezogene Daten verwenden, um Informationen über die Neigungen und Verhaltensweisen von Nutzern zu sammeln und sich daraus einen Vorteil bei der Erwirtschaftung beschaffen (Zuboff 2018). Ein Beispiel für solche Unternehmen sind unter anderem Facebook, Microsoft oder Amazon, welche auch durch öffentliche Rankings und Bewertungen die Nutzer kategorisieren.

Es gibt auch in westlichen Ländern Bewertungssysteme, die von der Regierung gegründet wurden. Ein Beispiel ist das PRISM-System der US-Regierung, wo Daten aus der Telekommunikation und privaten Unternehmen, wie Youtube, Apple oder Google gesammelt werden, um Informationen und übermittelte Daten zu überwachen (Murse 2019).

Jedoch ist das chinesische System viel umfassender und durchdringender als in den westlichen Ländern, da das System nur einen Teil der Überwachung darstellt. Zensur im Internet wie auch die Entwicklung eines fortgeschrittenen Gesichtserkennungssystems sind zwar kein Teil des SKS, jedoch könnte eine mögliche Verbindung des privaten Systems mit dem Ranking der Regierung zu einer Verfolgung von Menschen in Städten führen und das System anfällig für Missbrauch und Menschenrechtsverletzungen machen (Kobie 2019).

Was an dem SKS noch speziell ist, ist dass das System nur eine Bewertung liefert, die auf Daten basiert, die alle Aspekte des Verhaltens abdecken sollen. Daten aus verschiedenen Plattformen werden gesammelt und dann in einer zentralisierten Dateninfrastruktur erfasst. Außerdem wird das Rating auf finanzielle, politische, juristische und soziale Bereiche ausgedehnt, was ein wichtiger Unterschied zu anderen westlichen System ist, da diese sich grundsätzlich auf den kommerziellen Bereich konzentrieren oder auf das „Individuum“, da sie sich auf eine Rolle der Person fokussieren (z.B. Rolle des Verbrauchers, Arbeitnehmers, Spielers).

Zusätzlich wurde das System durch eine autoritäre Regierung entwickelt und umgesetzt. Obwohl das System von konfuzianischen Traditionen und Moralen geleitet wird, kann das System auch durch politische Ziele und Kontrolle des Staates angetrieben seien. Die Asymmetrie von Informationen zwischen Dateninhaber und Bevölkerung wird durch die Zentralisierung der Infrastruktur für die Datenerfassung und -bewertung verstärkt. Dadurch wird auch die Möglichkeit, die Regierung zur Rechenschaft zu ziehen, verringert (Lagioia and Sartor 2019).

Fazit

Das chinesische Sozialkreditsystem besitzt viele Elemente, die auch in anderen Systemen Anwendung finden. Zum Beispiel Unternehmen wie Facebook oder Microsoft bedienen sich Mechanismen, welche auch im chinesischen System vorzufinden sind. Informationen werden gesammelt und für eigene Zwecke verwendet. Was das SKS jedoch von anderen Bewertungssystemen unterscheidet, ist die Einbindung der Regierung. Durch den Vergleich des Sozialkreditsystemes mit anderen Bewertungssystemen kann man erkennen, dass das System an sich einzigartig, aber auch nicht realitätsfremd ist. Somit ist das SKS vergleichbar, auch mit unseren Bewertungssystemen.

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