Kompromisskulturen

Internationaler Workshop„Kompromisse in pluralen Welten. Japan und Europa im Vergleich“

Am 7. und 8 März 2024 fand in Essen die Konferenz „Compromise in Plural Worlds“ statt, organisiert von Dr. Jan-Hendryk de Boer, Mariko Jacoby und Dr. Manon Westphal. Eingeladen waren Referent*innen aus Japan, Großbritannien, den Niederlanden und Deutschland aus Geschichtswissenschaft, Literaturwissenschaft, Soziologie und Politikwissenschaft. Leitfrage war gemäß dem kulturvergleichenden Ansatz des Projekts, welche Rolle Kompromisse in Japan zu verschiedenen Zeiten und in unterschiedlichen Konstellationen spielten. Über Kommentare der Projektbeteiligten und Vorträge der Postdocs des Projekts wurden vergleichende Blicke nach Europa geworfen. Dabei zeigte sich, dass auch in einer Gesellschaft, in der Konsens und Harmonie allgemein einen größeren Stellenwert haben als in denjenigen des modernen Europas Kompromisse notwendig waren, um gesellschaftliche Stabilität zu erzeugen. Allerdings unterscheiden sich die Voraussetzungen, unter denen Kompromisse hergestellt werden können. Auch der Stellenwert des Kompromisses und die Bedingungen, unter denen er Akzeptanz findet, variieren kulturell, allerdings auch historisch, denn die gegenwärtige gesellschaftliche Hochschätzung von Harmonie und Konsens prägte keinesfalls alle Phasen der japanischen Geschichte. Deutlich wurden auch die sozialen Probleme, die entstehen, wenn Kompromisse unerwünscht sind, da dann bestimmte Herausforderungen nur schwer bearbeitbar sind, wenn ein Einvernehmen darüber fehlt, wie dies zu geschehen habe.

Zum Programm

Hier finden Sie die Bildergalerie (Fotografin: Kirstin de Boer) sowie den Abschlussbericht zur Veranstaltung (Autor: Dr. Jan-Hendryk de Boer).

„Kompromisse in pluralen Welten. Japan und Europa im Vergleich“

„Compromise in Plural Worlds: Comparing Japan and Europe“

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„Kompromisse in pluralen Welten. Japan und Europa im Vergleich“Abschlussbericht zur internationalen wissenschaftlichen Veranstaltung

Am 7. und 8. März 2024 fand in Essen die internationale Tagung „Kompromisse in pluralen Welten“ statt. Ihr Ziel war es, agonale Konfliktlagen und kulturspezifischen Umgangsweisen damit in Japan und Europa vom Mittelalter bis in die Gegenwart vergleichend zu untersuchen. Veranstaltet wurde die Tagung vom Forschungsprojekt „Kulturen des Kompromisses“, finanziert wurde sie teilweise durch Tagungsmittel der DFG. Die Organisation lag bei Dr. Jan-Hendryk de Boer (Universität Duisburg-Essen), Mariko Jacoby (Universität Duisburg-Essen) und Dr. Manon Westphal (Universität Münster) sowie Elisabeth Haefs (Universität Duisburg-Essen).

Die Tagung hatte drei Ziele: Erstens sollte sie eine intensivere Zusammenarbeit zwischen Forscherinnen und Forschern aus Japan und Europa intiieren. Wegen des leistungsstarken japanischen Universitätssystems und wegen vieler geteilter Forschungsinteressen bietet sich eine solche Kooperation an, in den Geistes- und Sozialwissenschaften ist sie aber bislang häufig auf die einschlägigen Fächer wie die Japanologie, Ostasienwissenschaften oder (in geringerem Maße) die Globalgeschichte beschränkt. Die Veranstaltung sollte dezidiert diesen engen Fokus durchbrechen. Dazu wurden Vertreterinnen und Vertreter verschiedener Disziplinen von der Soziologie und Politikwissenschaft über die Geschichtswissenschaft bis zur Literaturwissenschaft eingeladen. Das Interesse der Gäste ebenso wie der Wissenschaftler:innen der Universitäten Duisburg-Essen, Münster und Bochum am Austausch auch über die Tagung hinaus war sehr groß, so dass zu hoffen ist, dass die Veranstaltung der Auftakt zu einer künftigen engeren Kooperation ist.

Zweitens zielte die Tagung darauf, der Frage nachzugehen, welche Rolle Kompromisse in der japanischen Geschichte und Gegenwart im Vergleich zu Europa spielen. Die jüngere Forschung und nicht zuletzt die Arbeiten des Forschungsprojekts „Kulturen des Kompromisses“ an den Universitäten Duisburg-Essen, Münster und Bochum haben gezeigt, dass in Europa und Nordamerika Kompromisse seit Jahrhunderten, wenn nicht schon seit dem Altertum zu den zentralen Techniken gehören, um Konflikte zu regulieren. Die japanische Kultur gilt dagegen gemeinhin als auf Konsens und Harmonie orientiert. Wenn aber offener Konfliktaustrag unerwünscht ist, könnte der Kompromiss als kulturelle Technik eine weit geringere Rolle spielen als in Gesellschaften, in denen Auseinandersetzungen konflikthaft ausgetragen werden. Die Vorträge der Tagung spannten eine weite zeitliche Perspektive, vom japanischen Mittelalter bis in die Gegenwart. Zudem wurden unterschiedliche soziale Felder vom Recht (Prof. Ichiro Nitta, Prof. Dr. Yuki Sato, Prof. Dr. Makiko Hayashi) über Politik und Alltag (Dr. Hanno Jentzsch) sowie Diplomatie (Prof. Dr. Naoko Kumagai) bis zur Literatur (Ursula Gräfe, Dr. Nozomi Uematsu) betrachtet. Dabei wurden Ähnlichkeiten und Unterschiede deutlich. Offenbar spielt der Kompromiss als soziale Praxis auch in Japan eine Rolle, allerdings wird er seltener eingesetzt, zudem wird häufig nicht offen kommuniziert, dass es sich um einen Kompromiss mit Zugeständnissen aller Konfliktparteien handelte. Stattdessen entwickelten sich in allen diskutierten Feldern alternative Strategien, wie Konflikte vor der Eskalation entschärft oder Auseinandersetzungen in andere Wirklichkeitsbereiche, etwa die Literatur, verlagert werden können. Eine ideologische Orientierung an Einvernehmen und Harmonie erschwert die Konfliktlösung insbesondere dann, wenn diese Ideale der Wirklichkeit nicht entsprechen. Kompromisse bieten auch in Japan hier eine Möglichkeit, die Eskalation zu verhindern, dieser Weg ist aber häufig sehr voraussetzungsreich, wie zahlreiche der Vorträge nachwiesen.

Drittens sollte die Rolle des Kompromisses in Japan nicht für sich, sondern in einer vergleichenden Perspektive untersucht werden. Neben Einführungen durch die Leitung des Forschungsprojekts „Kulturen des Kompromisses“ (Prof. Dr. Ute Schneider, Prof. Dr. Ulrich Willems) und die Veranstalter:innen gaben Vorträge zur Geschichte des Kompromissbegriffs im Japanischen (Prof. Dr. Hiroshi Goto) und zu theoretischen Perspektiven auf den Kompromiss (Prof. Dr. Takemitsu Morikawa) den Diskussionen einen terminologischen und konzeptionellen Rahmen. Geplant war, dass jeder Vortrag durch Angehörige der Universitäten Duisburg-Essen, Münster und Essen kommentiert werden sollte, die an den verschiedenen einschlägigen Forschungsprojekten der Hochschulen mitwirken. Dieses Vorgehen hat sich sehr bewährt, weil so nicht nur die für Japan aufgezeigten Konstellationen zu den Zuständen in Europa in Beziehung gesetzt wurden, sondern so auch zusätzliche terminologische und konzeptionelle Angebote in die Diskussion eingeführt wurden. Der Abendvortrag zur Konfliktbeilegung im europäischen Mittelalter zur Zeit Karls IV. (Prof. Dr. Masaki Taguchi) sowie Projektpräsentationen der Postdocs des Forschungsprojekts „Kulturen des Kompromisses“, Dr. Manon Westphal, Dr. Jan-Hendryk de Boer, Mariko Jacoby, Dr. Karsten Mause und Dr. Stefan Zeppenfeld, setzten dies fort, indem sie die Spezifika des Umgangs mit Konflikten durch europäische Gesellschaften diskutierten. Dabei zeigte sich, dass in Europa Agonalität sehr viel häufiger offen ausgetragen und auch inszeniert wird als in Japan, was ein höheres Eskalationspotential bietet. Kompromisse sind dann eine, allerdings wiederum voraussetzungsreiche und in der Vormoderne nur eingeschränkt genutzte Möglichkeit, diese Agonalität zu bearbeiten. Dass dies selbst unter den Bedingungen moderner Demokratien nicht immer gelingt, hoben zahlreiche Beiträge hervor.

Die Ergebnisse der Tagung sollen in einem Band publiziert und damit in eine größere interdisziplinäre Diskussion eingebracht werden. Daneben werden die Eindrücke und Anregungen der Beiträge der Referent:innen in die weitere Arbeiten der „Kulturen des Kompromisses“ eingehen. Denn die Veranstaltung hat bewiesen, dass es sich lohnt, Kompromisse in Japan und Europa vergleichend zu erforschen. Es bleibt noch viel zu tun.