Auswirkungen von Covid19 auf die Demokratie und die Zivilgesellschaft
Kongressbericht 2: Auswirkungen von Covid19 auf die Demokratie und die Zivilgesellschaft
von Kevin Spallek
Der vorliegende Beitrag fokussiert sich auf die Auswirkungen der Covid-19 Pandemie auf die Demokratie und Zivilgesellschaft. Dementsprechend wurde im Vorfeld eine Forschungsfrage formuliert, die eine Auswahl der Panels entlang des persönlichen Forschungsinteresses innerhalb der Vergleichenden Politikwissenschaft ermöglichte. Einige einzelnen Beiträge eines Panels behandelten neben der Covid-19 Pandemie auch andere interessante Themen. Sie waren jedoch für das Forschungsinteresse nicht relevant und werden im Bericht nicht weiter berücksichtigt.
Aus studentischer Perspektive wird entlang der Forschungsfrage „Welche Auswirkungen hat die Covid-19 Pandemie auf die Demokratie und ihre Zivilgesellschaft?“ ein Eindruck von einigen politikwissenschaftlich relevanten Debatten vermittelt.
Das Panel „Zivilgesellschaft unter Druck: Covid-19 und die Folgen“ thematisierte in allen Beiträgen die Auswirkungen der Pandemie auf internationaler Ebene. Katja Levy (University of Manchester) stellte in ihrem Beitrag das bürgerschaftliche Engagement der chinesischen Diaspora in Manchester während der Pandemie vor. Der Beitrag präsentierte keine abgeschlossene Analyse, sondern ein Konzept der beabsichtigten Forschung. Die Forschungsfrage fokussierte den Einfluss der Covid-19 Pandemie auf die Beziehung zwischen chinesischen Gruppen außerhalb Chinas und den lokalen Regierungen, wie z.B. in England. Erwartet wurde, dass limitierte bis gar keine Kooperation stattfand, da auf beiden Seiten mangelndes Vertrauen und mangelnde Unterstützung für die chinesische Diaspora in England herrschen. Ruth Simsa (Wirtschaftsuniversität Wien) behandelte in ihrem Beitrag das Thema der staatlichen Indienstnahme der Zivilgesellschaft in Österreich. Simsa arbeitete heraus, dass es während der rechtspopulistischen Regierung von ÖVP und FPÖ in Österreich zu einer Diffamierung zivilgesellschaftlicher Aktivitäten von Seiten der Regierung kam. In Österreich fand eine populistische Modifikation der Zivilgesellschaft in einem klaren Muster und entsprechend der Theorie des „Civil Society Capture“ Modells statt und bildet damit einen Indikator für die Autokratisierung Österreichs. Das Ergebnis ergab, dass die Pandemie nicht für eine stärkere Verschlechterung der Kooperation zwischen Regierung und Zivilgesellschaft gesorgt hat, da diese bereits vor der Pandemie auf diesem schlechten Niveau war. Im letzten Beitrag untersuchte Stefan Toepler (George Mason University) die gespaltene Zivilgesellschaft in den USA. Zu Beginn bereitete er ein amerikanisches Krisen-Potpouri aus, das nicht nur Covid19 betrifft, sondern auch Rassismus und Polizeibrutalität, einen aufsteigenden rechten Flügel innerhalb der Republikaner und militaristischen Ethnonationalismus, die Erderwärmung und Naturkatastrophen, die politische Partizipation, die Politisierung von allem und zuletzt die Präsidentschaft und das fortgesetzte Wirken von Donald Trump. Ein Streben in den USA, diese Grundprobleme zu lösen, gibt es nicht und es werden weiter „Pflaster“ auf die Auswirkungen geklebt, wird im Ergebnis festgehalten. Zusätzlich zur Corona-Pandemie kommt hinzu, dass die Impfgegner (Anti-Vaxxer) in den USA durch Trump und die Republikaner ein politisches Sprachrohr haben und damit nicht auf die Straße müssen, da sie politische bereits repräsentiert und auch in den sozialen Medien präsent sind. In der anschließenden Diskussion teilte Christian Fröhlich eigene Erfahrungen der Pandemie im russischen Kontext, da eine zu diesem Thema vorgesehene Referentin nicht am Kongress teilnehmen konnte. Die Pandemie spielt in Russland so gut wie keine Rolle mehr. Sie ist weder in der Politik noch in der Zivilgesellschaft ein Thema. Dementsprechend schlussfolgerte Fröhlich, dass die besorgniserregenden Entwicklungen in Russland nicht auf Covid19 zurückzuführen sind.
Das Panel „Demokratie in der Pandemie I. Corona als Auslöser/Verstärker demokratischer Erosion?“ griff die Thematik im deutschen Kontext auf. Susanne Pickel (Universität Duisburg-Essen) untersuchte die Bevölkerungseinstellungen aus Ost- und Westdeutschland zu Covid-19, gesellschaftlichem Zusammenleben und politischer Unterstützung. Die Analyse kam zu dem Ergebnis, dass die Verschwörungsgläubigkeit ein dezidierter Feind der demokratischen und politischen Kultur ist und durch Corona-Verschwörungstheorien einen zusätzlichen Schub erhält. Auf der anderen Seite gehören Führersehnsucht und der Glaube an Verschwörungen unmittelbar zusammen und befördern eine positive Einstellung zur Autokratie. In ihrem Fazit hielt Susanne Pickel fest, dass das höhere Maß an persönlicher Betroffenheit durch die Corona-Pandemie und ein stärkerer verschwörungstheoretischer Hintergrund, der der Pandemie zugeschrieben wird, dazu führt, dass Bürger:innen eher zu demokratieschädlichen Einstellungen und politischem Verhalten neigen. Dadurch wird Corona eine Erkrankung der Bürger:innen, die auch die Demokratie infizieren kann. Der darauffolgende Beitrag von Marius Busemeyer (Universität Konstanz) betrachtete die Auswirkungen der Pandemie auf den Sozialstaat und stellt die Frage, wie die Krisenperformanz des deutschen Gesundheitssystems bewertet wird. Seine Analyse ergab, dass es einen positiven Zusammenhang zwischen politischem Vertrauen und der Performanz-Wahrnehmung gibt. Busemeyer kam zu dem Ergebnis, dass sich sowohl die Wahrnehmung der Performanz des Gesundheitssystems als auch das politische Vertrauen während der Pandemie verschlechtert haben. Im letzten Beitrag des Panels thematisierte Markus Kasseckert (Universität Magdeburg) die Beschleunigung der Demokratie in Krisenzeiten. Er zeigte, dass Krisen als Situationen von Zeitknappheit „Stunden der Exekutive“ sind, da sie eine hohe Reaktionsfähigkeit voraussetzen. Die Analyse kam zu dem Schluss, dass die Corona-Pandemie als Brennglas den schon vor ihr postulierten Bedeutungsverlust der Parlamente verstärkt.
Das dritte Panel hieß „Politik und soziale Ungleichheit: Die Covid-19-Pandemie als demokratiepolitische Herausforderung“. Der erste Beitrag von Christine Löw (Universität Frankfurt/Main) brachte die Coronapandemie mit postkolonialem Feminismus und Necropolitics in Indien zusammen. Die Analyse ergab, dass Frauen in Indien zur körperlichen Arbeit während der Pandemie genötigt werden, was social distancing unmöglich macht und zu einem frühen Sterben der Frauen in Indien führt. Ayse Dursun, Verena Kettner und Birgit Sauer (alle Universität Wien) nahmen eine geschlechterkritische Perspektive auf die öffentliche Bearbeitung der Covid-19 Krise in Österreich ein. Sie kamen zu dem Schluss, dass die öffentliche Anerkennung der bezahlten Care-Berufe oder der Familienpflege zuhause in Österreich allmählich schwindet. Nikolas Wasser (Universität Campinas Brazil) beschäftigte sich mit Brasilien und der Corona-Krise. Brasilien zählt zu den von der Pandemie an den schwersten betroffenen Ländern. Die Pandemie wirkt sich besonders auf die Geschlechtergerechtigkeit und insbesondere auf schwarze Frauen aus, die den größten Teil der Gruppe der Frauen in der Hausarbeit repräsentieren und unter mangelhaften und unsicheren Arbeitsbedingungen leben.
Insgesamt gab der DVPW-Kongress aus studentischer Perspektive einen sehr guten und informativen Überblick über den aktuellen Stand der Forschung in der Politikwissenschaft. Der Kongress zeigte, auf wie vielen verschiedenen Ebenen die Pandemie Einfluss auf die Demokratie und ihre Zivilgesellschaft nimmt. Die Panels ermöglichten einen Einblick über die Auswirkungen von Covid19 auf Deutschland, Europa und Länder auf der ganzen Welt, sowie auf ganz spezielle Bevölkerungsgruppen innerhalb dieser Länder. In allen Beiträgen und Panels war deutlich zu erkennen, dass die Pandemie eine große Herausforderung und Bedrohung für die Demokratien und Zivilgesellschaften darstellt. In den Panels wurden weitere mögliche Indikatoren dargestellt, die die demokratische Erosion im Zusammenspiel mit Covid19 weiter verstärken können und die Bedrohung und Herausforderungen, die damit einhergehen, nochmal unterstreichen. Hinsichtlich der Forschungsfrage „Welche Auswirkungen hat die Covid-19 Pandemie auf die Demokratie und ihre Zivilgesellschaft?“ kann folgendes festgehalten werden: Die Pandemie ist kein Auslöser, sondern Verstärker der bereits fortschreitenden demokratischen Erosion. Die durch die Pandemie verstärkte Verschwörungsmentalität ist ein treibender Faktor und dezidierter Feind der demokratischen und politischen Kultur in der Zivilgesellschaft, wie Prof. Dr. Susanne Pickel beispielweise herausstellt. Zusätzlich wird durch die Beiträge deutlich, dass bereits benachteiligte Gruppen, wie die Frauen in Indien und Brasilien durch die Pandemie noch schwerer betroffen sind als andere (zivil-)gesellschaftliche Gruppen. Hinsichtlich der Auswirkungen auf die Demokratie wird vor allem in Ländern, die bereits autokratischen Tendenzen zeigen deutlich, dass diese Tendenzen durch die Pandemie weiter verstärkt werden. Die Beschleunigung demokratischer Prozesse, um der Pandemie entgegenzuwirken, wird zum Brennglas der Erosion der Demokratie, in der vorhandene Probleme weiter in den Fokus rücken. Die Einschränkungen und Maßnahmen führen zu einer Negativspirale sowohl in der Zivilgesellschaft als auch für die Demokratie selbst, wo sich die verstärkt fokussierten Probleme der Demokratie und die Auswirkungen der Einschränkung der Zivilgesellschaft wechselseitig negativ beeinflussen.