Chronik der Gesamthochschulgründungen in Duisburg & Essen

Einleitung
Ebenso wie die 2003 durch Fusion errichtete Universität Duisburg-Essen sind auch die 1972 erfolgten Gründungen ihrer beiden Vorgängereinrichtungen – der Gesamthochschulen Duisburg und Essen – im Zusammenhang der damaligen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen zu sehen.
Mehr zu den Hintergründen erfährt man hier:
Bildungspolitische Aufbruchstimmung in NRW
Gründung der Fachhochschulen 1971
Die Gesamthochschule als neuer Hochschultyp
Die Studienreform als Kern
Die Ereignisse im zeitlichen AblaufDas Gründungsjahr 1972
Die Pläne der Landesregierung wurden am 1. August 1972 konkret:
Insgesamt wurden fünf Gesamthochschulen errichtet in Duisburg, Essen, Paderborn, Siegen und Wuppertal (die heutige Fernuniversität Hagen wurde ebenfalls als Gesamthochschule gegründet, allerdings erst 1974).
Diese Seite wird 2022 regelmäßig mit neuen Inhalten gefüllt. Tagesaktuell werden hier Beiträge zu den wichtigsten Stationen aus dem Gründungsjahr der beiden Gesamthochschulen Duisburg und Essen vor 50 Jahren freigeschaltet.
Es lohnt sich also, regelmäßig reinzuschauen!
Januar 1972
DuisburgEine Hochschule für Duisburg?
Schon einmal – von 1655 bis 1818 – ist Duisburg Universitätsstadt gewesen. Anfang der 1970er Jahre bemühten sich Vertreter der Stadt an diese Zeit anzuknüpfen und wieder eine Volluniversität nach Duisburg zu holen.
Als das Jahr 1972 begann, waren diese Versuche bereits weitestgehend mit Erfolg gekrönt worden: Im Laufe des Jahres will die Landesregierung hier eine der fünf neuen Gesamthochschulen errichten.
Bild: Von der Stadt Duisburg veröffentlichtes Werbematerial (1970)
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EssenDie einzige Gesamthochschule mit Medizinstudium
In Essen hat man sich schon seit den 1960er Jahren um die Errichtung einer Universität bemüht. Die Stadt unterliegt aber im Standortwettbewerb zunächst gegenüber Bochum und Dortmund. Erst 1972 soll auch hier eine Gesamthochschule die Bildungslandschaft des Ruhrgebiets ergänzen.
Ein Alleinstellungsmerkmal der Essener Gesamthochschule ist die geplante Möglichkeit eines Medizinstudiums. Ermöglicht wird dies durch die Integration des Universitätsklinikums Essen der Universität Bochum. Ermöglicht wird dies durch die Integration des Universitätsklinikums Essen der Ruhr-Universität Bochum. Besonders die dortigen Professor:innen zeigen sich aber wenig begeistert von den Plänen der Landesregierung.
Bild: Plan des Standtplanungsamts Essen zur Standortfindung der Gesamthochschule Essen (1970)
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Duisburg24. Januar – Keine Hindernisse mehr für die Gesamthochschule Duisburg?
Stellvertretend für die SPD-Fraktion der Stadt Duisburg stellt Ratsherr Reinhard Bulitz am 24. Januar den kommunalen Haushaltsplan seiner Fraktion vor. Die noch in der Konzeption befindliche „Universität Duisburg“ fand nur nebenbei Erwähnung. Berichtet wurde aber u.a. „dass der Geländeerschließung in diesem Jahr nichts mehr im Wege steht.“
Tatsächlich sollte sich die Erschließung des Baugrundstückes im Laufe des Jahres zu einem Problem entwickeln, an dem die Duisburger Hochschule fast scheitert.
Bild: Reinhard Bulitz (1986, Stadtarchiv Duisburg)
Duisburg26. Januar – Ingenieursausbildung mit Tradition
Am 26. Januar 1972 wird mit Dipl.-Ing. Günther Engelhardt ein neuer Rektor für die Fachhochschule Duisburg gewählt. Dass Engelhardt eine äußerst kurte Amtszeit bevorsteht, ist ihm bewusst: Die gerade erst gegründete FH Duisburg soll bereits im Laufe des Jahres in der neuen Gesamthochschule Duisburg aufgehen.
Bild: Das heutige Gebäude BA am Campus Duisburg, ehemaliger Sitz der Fachhochschule (25.06.1973)
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Februar 1972
Duisburg01. Februar – Alte und neue Universität
Anders als in Essen kann man in Duisburg auf die Tradition einer „alten Universität“ zurückblicken. Obwohl diese 1818 geschlossen wurde, werden bereits vor Gründung der Gesamthochschule Duisburg Parallelen zwischen alter und neuer Hochschule gesucht.
Auch Prof. Helmut Schrey, Dekan einer Abteilung der Pädagogischen Hochschule in Duisburg, setzt sich in einem Vortrag anlässlich der am 1. Februar 1972 gestarteten „Duisburger Universitätstage“ mit der Beziehung zwischen der neuzeitlichen Universität und der kommenden Reformhochschule auseinander.
Bild: Plakat für die Duisburger Universitätstage 1972
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Düsseldorf01. Februar – Gesamthochschulen: NRW reformiert das Studium
Während in Duisburg die „Universitätstage“ beginnen wird es mit der juristischen Verankerung der geplanten Gesamthochschulen ernst. Am selben Tag beschließt das Nordrhein-Westfälische Kabinett einen ersten Entwurf des Gesamthochschulentwicklungsgesetzes (GHEG) in den Landtag einzubringen.
Der neue Hochschultypus soll Fachhochschule und Universität unter einem Dach vereinen, und doch mehr als die Summe seiner Teile sein.
Bild: Gesamthochschulplanung der Landesregierung NRW
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Düsseldorf23. Februar – Rau wirbt für sein Reformprogramm
„Die Ziele der Studienreform, oft zitiert und oft ausgerufen – Chancengleichheit, Durchlässigkeit, Förderung der beruflichen Mobilität, Flexibilität –, können nach unserer Überzeugung nur durch ein neues Studiengangsystem verwirklicht werden, das die Grenzen der herkömmlichen Hochschularten überwindet.“
So stellt Wissenschaftsminister Johannes Rau bei einer programmatischen Rede vor dem Nordrhein-Westfälischen Landtag sein ambitioniertes Reformprogramm vor.
Anlass hierfür war die erste Lesung des Gesamthochschulentwicklungsgesetzes (GHEG). Nach Jahren der Planung sollte die viel beschworene Integrierte Gesamthochschule bald an fünf Standorten in NRW – in Duisburg, Essen, Paderborn, Siegen und Wuppertal – Wirklichkeit werden.
Bild: Plenarsitzung im Landtag am 23.02.1972. Am Rednerpult: Landtagsabgeordnete und spätere Wissenschaftsministerin Anke Brunn (SPD). (Bildarchiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, Fotografin: Eva Tüsselmann)
Duisburg23. Februar – Hochschulbau mit Hindernissen
Als „Hochschulfestung“ bezeichnete Gründungsrektor Prof. Helmut Schrey einmal die ursprüngliche Bauplanung für die Gesamthochschule Duisburg. Am 23. Februar werden diese Pläne der Öffentlichkeit präsentiert.
Dass der geplante Gebäudekomplex nie realisiert werden sollte, weiß zu diesem Zeitpunkt noch niemand der Anwesenden. Die Planer:innen von Kommune und Land hatten die Rechnung ohne einen auf dem Baugelände ansässigen Sportclub gemacht.
Bild: Modell der Baustufen I und II der Gesamthochschule Duisburg an Mülheimer und Lotharstraße (September 1972, Landespresse- und Informationsamt NRW)
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März 1972
Essen14. März – Die Konsolidierung der Essener Hochschullandschaft
Mit der konstituierenden Sitzung des Senats findet im März 1972 ein wichtiger Schritt zur Errichtung der im vorangegangenen Jahr gegründeten Fachhochschule Essen statt. Dabei soll es die Essener FH in wenigen Monaten bereits nicht mehr geben, sie ist als Gründungskern der kommenden Gesamthochschule vorgesehen.
Aber auch die Fachhochschule Essen entstand nicht aus dem Nichts. Tatsächlich kann die Ingenieursausbildung in der Ruhrgebietsstadt auf eine Geschichte zurückblicken, die schon im frühen 20. Jahrhundert begann.
Bild: Standort der Fachhochschule Essen an der Schützenbahn, heute Gebäude S-A und S-H der Universität Duisburg-Essen (ohne Datum)
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Duisburg14. März – Die Duisburger Hochschulplanung gerät ins Wanken
Die Gesamthochschule Duisburg soll entlang der Lotharstraße gebaut werden, darüber sind sich Land und Kommune einig. Damit dies gelingen kann, muss der alteingesessene Hockey- und Tennis-Club Raffelberg, dessen Sportstätten mitten auf dem zukünftigen Campus liegen, weichen.
Bisher ist das Konfliktpotential in der Standortplanung heruntergespielt worden. Das Angebot eines Ausweichgrundstücks an den Club soll eine für alle Betroffenen befriedigende Lösung herbeiführen. Am 14. März lehnt dessen Mitgliederversammlung den Alternativstandort allerdings einstimmig ab. Die Planung der Duisburger Gesamthochschule droht zu entgleisen.
Bild: Sportanlagen des Club Raffelberg an der Lotharstraße (15.05.1973)
April 1972
Düsseldorf22. April – Gründungsrektor:in gesucht
Noch vor Verabschiedung des Gesamthochschulentwicklungsgesetzes werden Stellen für Gründungsrektor:in, Gründungskanzler:in, Hochschullehrer:innen und wissenschaftliche Mitarbeiter:innen an den fünf neu einzurichtenden Gesamthochschulen ausgeschrieben.
Aus den Bewerber:innen wählt das Ministerium für Wissenschaft und Forschung die Gründungsrektor:innen aus. Berufen werden können diese allerdings erst mit dem Einvernehmen der überzuleitenden Einrichtungen – eine Klausel, die in Essen noch für Ärger sorgen wird.
Duisburg24. April – Mit dem Auto zum Studium
Voller Zuversicht, dass der Bau der Gesamthochschule schnell vorangetrieben werden kann, beschließt der Rat der Stadt Duisburg am 24. April den Bebauungsplan für das Hochschulgrundstück.
Bis zum Jahre 1980 soll die erste Aufbauphase abgeschlossen sein und 10.000 Studierenden Raum bieten. Kosten für Maßnahmen wie die Erweiterung der Straßenbahn, Straßenbau und der Verlagerung von Sportanlagen schätzt die Kommune auf über 10 Million Deutsche Mark ein. Besonders pendelnden Studierenden wollte man mit ca. 4.300 Stellplätzen entgegenkommen, ganze 1.500 davon sollten in Parkhäusern untergebracht werden.
Bild: Luftaufnahme der Abteilung Duisburg der Pädagogischen Hochschule Ruhr mit der eingeplanten Baufläche (ca. 1970)
Duisburg27. April – Eine Hochschule schaut fern
Am 27. April 1972 kennt man in Westdeutschland nur ein Thema: Das gegen Bundeskanzler Willy Brandt eingeleitete Misstrauensvotum.
Auch im Audimax der Abteilung Duisburg der Pädagogischen Hochschule Ruhr verfolgen Studierende und Dozent:innen live die Diskussion und Abstimmung im Bundestag, von der die Zukunft der Bundesregierung abhängt. Mittags steht schließlich fest, dass die von der CDU erhoffte Mehrheit gegen Brandts Ostpolitik nicht zustande gekommen ist.
Bild: Studierende und Dozenten der PH verfolgen die Fernsehübertragung aus Bonn (27.04.1972, Rheinische Post)
Mai 1972
Düsseldorf09. Mai – Gesamthochschule oder Universität?
Die sprachliche Unterscheidung zwischen „Universität“ und „Gesamthochschule“ sorgt bereits 1972 für Verwirrung. In einigen Städten will man die kommenden Gesamthochschulen auch namentlich zu Universitäten machen.
Die Landesregierung nimmt gegenüber solchen Vorhaben eine ablehnende Haltung ein. Besonders die Essener Gesamthochschulleitung wird sich davon aber noch unbeeindruckt zeigen.
Bild: Bauschild der Gesamthochschule Duisburg und städtisches Straßenschild für die „Universität“ (15.06.1976)
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Duisburg16. Mai – Studierendenkooperation
Noch gibt es zwei Allgemeine Studierendenausschüsse in Duisburg. In Verhandlungen befinden sich aber bereits die AStAs der Fachhochschule Duisburg und der Duisburger Abteilung der Pädagogischen Hochschule Ruhr.
Am 16. März findet ein erstes gemeinsam organisiertes Konzert statt, auf der Bühne stehen die britische Bluesrockband Band „Steamhammer“ und die Gruppe „Golgatha“ aus Oberhausen.
Bild: Raum des – jetzt geeinten – AstAs der Gesamthochschule Duisburg im B-Trakt (Dezember 1974)
Düsseldorf18. Mai – Die Gesamthochschule wird Gesetz
Während der dritten und letzten Lesung des Gesamthochschulentwicklungsgesetzes (GHEG) im Landtag geraten die Regierungskoalition aus SPD und FDP sowie die in der Opposition befindliche CDU noch einmal aneinander.
Besonders das Schicksal der Deutschen Sporthochschule in Köln, welche nach dem GHEG Teil der Gesamthochschule Köln werden sollte, will man in der CDU-Fraktion nicht akzeptieren.
Schlussendlich wird der Gesetzesentwurf gegen die Stimmen der CDU verabschiedet. Die Gründung von fünf neuen Gesamthochschulen in Duisburg, Essen, Paderborn, Siegen und Wuppertal ist damit offiziell auf den Weg gebracht.
Bild: „Blick in den Plenarsaal während der Abstimmung über das Gesamthochschulentwicklungsgesetz (GHEG)“ (Bildarchiv des Landtags Nordrhein-Westfalen, Fotografin: Eva Tüsselmann)
Juni 1972
Essen12. Juni – Anleitung zur Hochschulgründung
Um bis zur Konstituierung des Gründungssenats eine fachkundige Beratung der Stadt Essen zu gewährleisten, wurde bereits im Frühjahr 1971 eine Hochschulberater:innengruppe ins Leben gerufen.
Am 12. Juni 1972 kann sie den an der Gründung der Gesamthochschule involvierten städtischen Gremien die „Stellungnahme der Hochschulberatergruppe der Stadt Essen“ an die Hand geben. In dem rund 52 Seiten umfassenden Heft finden sich u.a. Empfehlungen zum Ablauf der Gründungsphase, der interdisziplinären Vernetzung von Fachbereichen sowie ein theoretischer Ansatz zum Studium ohne Abitur für Personen, die das 25. Lebensjahr vollendet haben.
Duisburg15. Juni – Gründungsrektor und Gründungskanzler
Weniger als zwei Monate sind es noch, bis zur vorgesehenen Gründung der Gesamthochschulen am 1. August. Höchste Zeit also, die Spitzenämter der neuen Hochschulen zu vergeben.
Genau das macht das Ministerium für Wissenschaft und Forschung NRW Mitte Juni und gibt u.a. die Besetzung der Duisburger Rektorenstelle mit Prof. Dr. Helmut Schrey bekannt. Dr. Rudolf Baumanns wird erster Kanzler der Gesamthochschule Duisburg werden.
Bild: Senatssitzung der Gesamthochschule Duisburg, Baumann (rechts) und Schrey (zweiter von rechts) (Oktober 1975)
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Essen15. Juni – Der Gründungskanzler
Auch in Essen wird am 15. Juni 1972 ein Teil der Hochschulspitze besetzt. Mit Dr. Dieter Leuze wird aber zunächst nur der kommende Kanzler der Gesamthochschule Essen ernannt. Die Auswahl des Gründungsrektors läuft noch weiter.
Bild: Kanzler Dr. Dieter Leuze (ohne Datum)
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Essen19. Juni – Kanzler von Gnaden des Ministeriums?
Von der Benennung Dieter Leuzes als Gründungskanzler zeigt sich der Senat der Fachhochschule Essen wenig begeistert. Bereits in seiner konstituierenden Sitzung hat der Senat einen anderen Kandidaten als Kanzler ausgesprochen, weshalb man nun am 19. Juni 1972 gegen das Verfahren zur Prüfung des Kandidaten Protest einlegt.
Bild: Durchschlag eines Berichts vom Rektor der FH Essen an den Minister für Wissenschaft und Forschung NRW vom 23.06.1972
Essen21. Juni – Verunsicherung bei den Mediziner:innen
Die Gründung der Gesamthochschule (GH) Essen wird nicht überall herbeigesehnt. Besonders an den in Essen ansässigen Medizinischen Fakultäten der Ruhr-Universität Bochum (RUB) ist die kommende Überleitung zur GH mit Ängsten vor einem Verlust von Status und Privilegien verbunden.
Neben den Professor:innen sind auch die Vertreter:innen der Studierenden verunsichert. Sie befürchteten, die verfasste Studierendenschaft der Medizinischen Fakultäten würden nach Ausscheiden aus der RUB ihren Status als Körperschaft des öffentlichen Rechtes verlieren. Um eine Klärung des Rechtsstatus während der Übergangszeit herbeizuführen, stellen die Studierenvertreter:innen am 21. Juni die Mitarbeit im Fakultätsrat ein.
Bild: Luftaufnahme des Essener Klinikgeländes (1980)
Essen23. Juni – Die ersten Wahlen
In den Gründungssenat der Gesamthochschulen müssen für jede überzuleitende Einrichtung zwei Hochschullehrer:innen, ein/e Studierende/r und jeweils ein/e wissenschaftliche/r und ein/e nichtwissenschaftliche/r Mitarbeiter:in gewählt werden. So sieht es das Gesamthochschulerrichtungsgesetz vor.
Noch während der beiden Wahltage läuft das Buhlen um die Stimmen an Pädagogischer Hochschule und Fachhochschule Essen mit Plakaten und Flugblättern weiter.
Den gewählten Mitgliedern des Gründungssenats sitzt eine gleiche Anzahl an vom Ministerium für Wissenschaft und Forschung ernannten Personen gegenüber. Einer Verwirklichung der in Studierendenprotesten oft geforderten paritätisch besetzten Gruppenuniversität wird an den Gesamthochschulen nicht nachgekommen.
Essen26. Juni – Gründungsrektor Peter Hartmann
Professor Peter Hartmann (1923-1984) soll an der Spitze der neuen Hochschule mitten im Ruhrgebiet stehen. Der Linguist mit einem Lehrstuhl an der Uni Konstanz kann Minister Rau von sich überzeugen, den Aufbau der Essener Gesamthochschule besser als die anderen Bewerber:innen voranzureiben.
Zur Bestätigung des neuen Rektors muss nur noch das Einvernehmen der überzuleitenden Einrichtungen eingeholt werden. Ein Formalitätsakt, so scheint es.
Bild: Prof. Peter Hartmann (Mitte) stellt sich Vertreter:innen der Pädagogischen Hochschule Ruhr Abteilung Essen und der Fachhochschule Essen vor (30.06.1972, Fotograf: Hermann Ewers)
Duisburg & Essen28. Juni – Die Gründungssenate
Viele Grundsatzfragen zur weiteren Entwicklung der Gesamthochschulen (GH) blieben zum Zeitpunkt ihrer Errichtung offen. Gerade den Senaten als zentralen Gremien fiel während der Gründungsphase eine wichtige Rolle zu.
Nach der erfolgreichen Durchführung der Senatswahlen an jenen Einrichtungen, die in die GHs übergeleitet werden sollten, konnten am 28. Juni die Mitglieder des Duisburger Gründungssenats bekanntgegeben werden.
Bild: Konstituierende Sitzung des Essener Gründungssenats vor anwesender Presse (01.08.1972)
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Juli 1972
Essen06. Juli – Die Medizinischen Fakultäten stellen sich quer
Bevor Peter Hartmann als Gründungsrektor der Gesamthochschule Essen bestätigt werden kann, muss das Einvernehmen der überzuleitenden Einrichtungen eingeholt werden.
Zur Vorstellung bei der Fachhochschule, der Pädagogischen Hochschule und beim Universitätsklinikum reist Hartmann eigens im Juni nach Essen. Seine Sympathien für Reformprojekte wie die drittelparitätische Besetzung der Hochschulgremien oder dem Studium ohne Abitur sichert ihm dort die Zustimmung der Studierendenschaft.
Allerdings kann der Linguist auf keine positive Resonanz zu diesen Plänen bei den Professor:innen der medizinischen Fakultäten hoffen. In einer gemeinsamen Sitzung der Fakultätsräte sprechen sie sich ohne Gegenstimmen dafür aus, Hartmann nicht als Gründungsrektor zu empfehlen.
Bild: Klinikum der Universität Essen-Gesamthochschule, Essen, in der unter anderem die Fachbereiche für Theoretische und Praktische Medizin untergebracht sind (1980)
Duisburg06. Juli – Beistand von der Landesregierung
Mit den Duisburger Problemen bei der Erschließung des Hochschulgeländes befasst sich mittlerweile sogar die Landesregierung.
Noch will sie an den bisherigen Bauplänen festhalten. In einer Kabinettssitzung sichert die Runde um Ministerpräsident Heinz Kühn Unterstützung für weitere Bemühungen zu, den Tennisklub Raffelberg in die Nähe des Duisburger Zoos zu verlegen.
Bild: Luftaufnahme des eingeplanten Hochschulgeländes mit Sportanlagen des Club Raffelberg (ca. 1980)
Essen18. Juli – Hartmann wirft das Handtuch
Das Ministerium für Wissenschaft und Forschung, aber auch die Studierendengremien wollen den reformwilligen Linguisten Peter Hartmann als Essener Gründungsrektor sehen.
Die Dozent:innen der medizinischen Fakultäten lehnen Hartmann aber einstimmig ab, und bei den Professor:innen der Pädagogischen Hochschule fällt die Akzeptanz ebenfalls gering aus. Aus diesen Gründen lehnt Hartmann die Übernahme der Leitung der neuen Gesamthochschule schließlich ab. Nur wenige Wochen vor Gründung der Gesamthochschule Essen steht diese damit wieder ohne Gründungsrektor:in da.
Bild: Peter Hartmann während seines Besuchs bei den zur Gesamthochschule überzuführenden Einrichtungen in Essen (Juli 1972)
Essen26. Juli – Ein neuer Gründungsrektor
Nach dem Ausscheiden Peter Hartmanns wird am 26. Juli die Stelle des Essener Gründungsrektors (vorerst kommissarisch) an Prof. Walter Kröll vergeben.
Der gerade einmal 34 Jahre junge Physiker lehrt an der Ruhr Universität Bochum und steht damit den in Essen ansässigen Mediziner:innen nahe, welche bald von der Bochumer Hochschule zur Gesamthochschule Essen überführt werden. Auch aufgrund seiner Ablehnung der drittelparitätischen Besetzung kann die kommissarische Ernennung Krölls als Entgegenkommen des Wissenschaftsministeriums gegenüber den Essener Mediziner:innen gesehen werden.
Bild: Portraitaufnahme von Walter Kröll (20.03.1975)
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August 1972
Essen01. August – Essen feiert
Nach Monaten der Vorbereitung ist es am 1. August 1972 endlich soweit: In fünf Städten – Duisburg, Essen, Paderborn, Siegen und Wuppertal – werden die Gesamthochschulen gegründet!
Am gleichen Tag findet in Essen die erste Eröffnungsfeier statt. Mit dabei sind u.a. Ministerpräsident Heinz Kühn (SPD) und Wissenschaftsminister Johannes Rau (SPD). Begleitet wird das Zeremoniell von Studierendenprotesten gegen die neue Grundordnung: Die mit dem Projekt „Gesamthochschule“ verbundenen Reformabsichten werden schon zu Beginn als zu zaghaft kritisiert.
Bild: Ministerpräsident Heinz Kühn spricht bei der Gründungsfeier vor dem Auditorium (01.08.1972)
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Duisburg07. August – Duisburg feiert
Knapp eine Woche nach dem offiziellen Gründungsdatum wird auch in Duisburg die Errichtung der Gesamthochschule feierlich begangen. Anders als auf der Essener Veranstaltung ist Ministerpräsident Heinz Kühn (SPD) diesmal nicht persönlich zugegen. An der Gründungsfeier und der konstituierenden Sitzung des Senats nimmt aber Wissenschaftsminister Johannes Rau (SPD) teil.
Nicht zuletzt die anwesenden Vertreter:innen der Stadt Duisburg haben diesen Tag herbeigesehnt: Mit der Gründung der Gesamthochschule sehen sie ihre lang gepflegte Ambition, Duisburg endlich wieder zu einer Universitätsstadt zu machen, Realität werden.
Bild: Eröffnungsfeier der Gesamthochschule Duisburg, Bürgermeister Josef Krings am Rednerpult. In der ersten Reihe sitzen u.a. Johannes Rau (Dritter von rechts) und Gründungsrektor Helmut Schrey (Zweiter von rechts) (07.08.1972)
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Essen10. August – Gründungsrektor Kröll
Die Hochschullehrer:innen der medizinischen Fakultäten hatten bereits einen vorgesehenen Gründungsrektor zu Fall gebracht. Sorgen, das gleiche Schicksal wie sein Vorgänger zu erleiden, muss sich der kommissarische Gründungsrektor Walter Kröll nach dem 10. August 1972 nicht mehr machen:
Einstimmig sprechen sich die Professor:innen des gemeinsamen Fakultätsrats für Kröll aus. Widerstand kommt dafür dieses Mal aus der Studierendenschaft. Die AStAs der ehemaligen Essener Fachhochschule und der medizinischen Fakultäten sprechen Kröll u.a. aufgrund seiner unscharfen Haltung zur Paritätenfrage nicht das Vertrauen aus. Davon unbeeindruckt, nimmt der 34 Jahre junge Physiker die Berufung an.
Bild: Rektor Walter Kröll bei einer Podiumsdiskussion des Fachbereich 1 in den Räumen der Volkshochschule Essen an der Hollestraße (1973)
Duisburg14. August – Anliegerbedenken
Mehr als 20 Privatpersonen und Vereine reichten 1972 Bedenken und Anregungen zum städtischen Bebauungs- und Flächennutzungsplan für das zukünftige Gesamthochschulgelände in Duisburg ein.
Einsprüche der Anwohner gegen das Vorhaben, wie etwa das Zubauen von Grünflächen, steigende Verkehrsbelastung oder eine Abwertung der Umgebung durch das erhebliche Bauvolumen, wurden allerdings im August vom Stadtrat abgewiesen.
Bild: Gründungsrektor Helmut Schrey wird der Schlüssel zum Aufbau- und Verfügungszentrum übergeben. Im Vordergrund ist das Modell für die ursprüngliche Bauplanung zwischen Mülheimer Straße und Forsthausweg zu sehen (18.12.1974)
Essen18. August – Wohnung gesucht
Beim AStA der ehemaligen Fachhochschule Essen häufen sich im August die Anfragen nach Studierendenwohnungen.
Nach Abschluss des Ausbaus am Campus sollen in Essen mindestens 10.000 Personen studieren können, doch bereits vor der Gründung der Gesamthochschule finden nicht alle an Fach- und Pädagogischer Hochschule Eingeschriebenen auch eine ortsnahe Unterkunft.
Ein vom Land geförderter breiter Ausbau der Studierendenwohnheime soll Abhilfe schaffen, doch 1972 muss sich der AStA zunächst mit einem Aufruf an die Vermieter:innen der Stadt zur Meldung freier Wohnungen behelfen.
Bild: Schwarzes Brett an der Gesamthochschule Duisburg (Dezember 1974)
Essen29. August – Die Konrektoren
Auch einen Monat nach der Gründung der Gesamthochschulen gibt es noch Spitzenämter zu besetzten. Drei Konrektoren (heute Prorektor:innen) als Vorsitzende je einer ständigen Kommission (heute zentrale Hochschulgremien) werden am 29. August vom Essener Gründungssenat gewählt.
Zuständig sind die Konrektor:innen für die Aufgabenbereiche „Struktur-, Entwicklungs- und Haushaltsplanung“, „Studium und Lehre“ und „Forschung“. Ein Pendant zum heutigen Hochschulgremium für „Gesellschaftliche Verantwortung, Diversität & Internationalität“ existiert 1972 noch nicht.
Bild: Duisburger Senatssitzung mit v. l. n. r. den Konrektoren Walter Confurius und Werner Schubert, Gründungsrektor Helmut Schrey, Gründungskanzler Rudolf Baumann und Konrektor Martin Fiebig (Oktober 1975)
September 1972
Duisburg01. September – Das erste Gesamthochschulsemester
Der 1. September ist der Startschuss für das erste Wintersemester an den Nordrhein-Westfälischen Gesamthochschulen.
Sowohl in Duisburg als auch in Essen ist der Alltag in Lehre, Forschung und Verwaltung von Improvisation geprägt. Gleichzeitig ist die Motivation aller Beteiligten, gemeinsam eine Reformhochschule neuen Typs zu gestalten, nie so hoch wie in diesen ersten Jahren.
Bild: Studierende auf dem Campus der Gesamthochschule Duisburg (1972)
Essen04. September – Rheinisch-Westfälische Universität Essen?
In der ersten Sitzung des Essener Gründungsrektorats wird u.a. die Namensgebung der neuen Gesamthochschule thematisiert. Einig ist sich das Rektorat, dass der Titel „Universität“ nicht fehlen dürfe.
Der Vorschlag, sich den Namen „Rheinisch-Westfälische Universität Essen – Gesamthochschule“ zu eigen zu machen, steht im Raum. Tatsächlich beginnt die Gesamthochschule Essen schon bald damit, sich selbst als „Universität Essen – Gesamthochschule“ zu bezeichnen. Das Ministerium für Wissenschaft und Forschung erkennt diese Bezeichnung nicht an, Gesamthochschulen und Universitäten sollen begrifflich nicht vermischt werden. Unbeeindruckt davon nennt sich die Gesamthochschule Essen trotzdem weiterhin „Universität“.
Bild: Kopie eines Schreibens an das Ministerium für Wissenschaft und Forschung mit von Ministerialangestellten durchgestrichenem „Universität Essen“ im Briefkopf
Essen21. September – Die ersten Vorlesungsverzeichnisse
Ende September erscheint das erste Vorlesungsverzeichnis der Gesamthochschule Essen, bereits einige Tage vorher konnte man auch in Duisburg das Vorlesungsverzeichnis für das Wintersemester 1972/73 den Studierenden bekanntgeben.
Beide Bände kommen äußerst schlicht daher, für die Einarbeitung der in späteren Jahrgängen vorhanden Bilddrucke und Karten ist im hektischen ersten Gründungsjahr offenbar noch keine Zeit. Lediglich eine Abbildung der beiden Stadtpatronen Essens - die heiligen Zwillingsbrüder Cosmas und Damian – schmückt die Titelseite des Essener Vorlesungsverzeichnisses.
Essen27. September – Folkwang und die Gesamthochschule
Der Weg zur heutigen Folkwang Universität der Künste ist lang und verzweigt – und er kreuzt sich mit dem der Gesamthochschule Essen.
Bereits 1971 wurde die Folkwangschule für Gestaltung – unter Protest – in die neu gegründete Fachhochschule Essen eingegliedert. Als die FH ein Jahr später in der Gesamthochschule Essen aufgeht, wird die einst eigenständige Fachschule zum Fachbereich 4 für Kunsterziehung und Gestaltung.
Auch für die Folkwangschule für Musik, Tanz und Sprache steht eine mögliche Eingliederung in die GH Essen zur Debatte, ihr Direktor spricht sich aber im September 1972 gegen einen solchen Schritt aus.
Letztendlich bleibt die Folkwangschule für Musik, Tanz und Sprache eigenständig. Erst 2007 gibt die Universität Duisburg-Essen die Studiengänge der ehemaligen Folkwangschule für Gestaltung an die Kunsthochschule ab, womit die bereits Anfang der 1970er gehegte Hoffnung auf eine Vereinigung der beiden Folkwangschulen endlich Wirklichkeit wird.
Bild: Gemeinsame Kritik und Besprechung von Arbeitsergebnissen an der Folkwangschule für Gestaltung (ca. 1960-61)
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Oktober 1972
Duisburg05. Oktober – Die Erstis kommen
Rund 600 Erstsemester kann die Gesamthochschule Duisburg für ihr erstes Wintersemester verzeichnen. Damit lag die Gesamtzahl der Eingeschrieben wie vom Ministerium für Wissenschaft und Forschung vorausberechnet bei ca. 3.500.
Für die nächsten Jahre will man bis zu 10.000 Studienplätze bereitstellen, tatsächlich wird diese Zahl allerdings aufgrund der langen Bauverzögerung erst 1984 erreicht.
Bild: Überfüllter Hörsaal im B-Trakt (Dezember 1974)
Duisburg09. Oktober – Das Provisorium
Ohne Hausmeister läuft an Hochschulen nichts. Das weiß auch der Rat der Stadt Duisburg und beschließt als Ersatz für die bald abzureißenden Hausmeisterwohnungen der Gesamthochschule das Haus an der Lotharstraße 62 zu kaufen.
Bei der erwarteten „kurzfristig erforderlichen Unterbringung der Hausmeister für eine Übergangszeit“ ist es aber nicht geblieben – noch heute befinden sich im Gebäude LI Hausmeisterwohnungen der UDE.
Bild: Ansicht vom L-Bereich des Campus Duisburg an der Lotharstraße (ohne Datum)
Essen21. Oktober – Abschied von einem Gründungsvater
Der Landtagsabgeordnete Hans-Joachim Bargmann (SPD) gehört zu den wichtigsten Wegbereitern der Gesamthochschule Essen. Als Vorsitzender des Kulturausschusses des Landtags und Dezernent für das Schul-, Hochschul- und Sportamt der Stadt Essen ist Bargmann maßgeblich daran beteiligt, die Weichen für eine Hochschulgründung in Essen zu legen.
Ihren Aufbau sollte er aber nicht mehr erleben: Am 21. Oktober kommt Bargmann bei einem schweren Autounfall, zusammen mit drei weiteren Angestellten des Hochschulamts Essen, ums Leben.
Bild: Trauerfeier für Hans-Joachim Bargmann (25.10.1972)
Essen24. Oktober – Vom Arbeiter- zum Hochschulviertel
Mit einem ersten Spatenstich beginnt Ende Oktober die Transformation des alten Essener Arbeiterviertels Segeroth zum Hochschulviertel.
Im Eiltempo werden bis 1977 mehr als 100.000 Quadratmeter Nutzfläche fertiggestellt. Noch heute bilden diese Gebäude den Kern des Campus Essen der Universität Duisburg-Essen.
Bild: Erster Spatenstich des Aufbau- und Verfügungszentrums, begleitet von Studierendenprotesten, die sich für einen besser an das westliche und nördliche Ruhrgebiet angebundenen Standort aussprechen (24.10.1972)
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Essen25. Oktober – Das Bargmann-Haus
Das Aufbau- und Verfügungszentrum (AVZ) soll nach dem tragisch infolge eines Autounfalls verstorbenen SPD-Politiker Hans-Joachim Bargmann benannt werden. Das beschließt der Essener Gründungssenat nur einen Tag nach dem ersten Spatenstich des AVZ. Mit der Widmung des Neubaus will man die Verdienste des Landtagsabgeordneten um die Hochschulgründung in Essen würdigen.
Im Laufe der Zeit wird der Namenszusatz „Bargmann“ fallengelassen, heute ist das erste am Campus Essen fertiggestellte Gebäude unter der Bezeichnung „R12“ bekannt.
Bild: Baubeginn des Westflügels des Bargmann-Hauses (1973)
November 1972
Essen01. November – Universität Essen
Im Essener Gründungsrektorat bleibt die Frage der Namensgebung weiterhin Thema.
Rektor Kroll will die gerade erst aus der Taufe gehobene Gesamthochschule am liebsten zur „Albert-Schweitzer-Universität – Gesamthochschule Essen“ machen. Am Ende einigt sich die Runde allerdings auf den neutraleren Namensvorschlag „Universität Essen – Gesamthochschule“.
Vom Ministerium für Wissenschaft und Forschung wird diese Namensgebung später abgelehnt werden. 1973 folgt ein Beschluss der Hochschulleitung, sich ungeachtet davon nach innen und außen als Universität zu bezeichnen: Besonders in den medizinischen Fachbereichen kann man sich mit dem Begriff „Gesamthochschule“ nicht anfreunden.
Bild: Ausstellungsstand der „Universität Essen“ Gesamthochschule (ohne Datum)
Essen08. November – Studierendenprotest in Essen
Schlechte materielle und personelle Ausstattung, zu wenig Studierendenwohnungen, eine mangelhafte Umsetzung der Studienreform: die Liste der vorgebrachten Vorwürfe von über 1.000 protestierenden Studierenden und Schüler:innen gegen die Verhältnisse in Essen sind lang.
Noch bevor es nachmittags zum Protestieren auf die Straße geht, findet die erste Vollversammlung der Studierenden seit Gründung der Gesamthochschule statt. Bereits einen Tag vorher wählt der von Dozierendenmangel und Überfüllung besonders stark betroffene Fachbereich Sozialwesen seine Vertreter:innen für die Fachbereichsversammlung.
Bild: Wahlen des Fachbereichs Sozialwesen der GH Essen in der damaligen Volkshochschule Essen (07.11.1972)
Duisburg13. November – Duisburg streikt
Während man in Essen zum Protestieren auf die Straße geht, versuchen sich Duisburger Studierende mit einem Warnstreik Gehör zu verschaffen.
Anlass ist die vom Wissenschaftsministerium geplante Einführung einer neuen Rahmenprüfungsordnung für Fachhochschulstudiengänge, welche sich auch auf die neuen Gesamthochschulen auswirken würde.
Ein befürchteter Anstieg des Leistungsdrucks treibt zunächst die betroffenen Studierenden der Ingenieur- und Wirtschaftswissenschaften dazu, alle Tätigkeiten niederzulegen. Am 14. November schließt sich aber auch die Studierendenschaft der ehemaligen Pädagogischen Hochschule dem Warnstreik solidarisch an.
Bild: Einen medienwirksamen Höhepunkt fand der Streik mit der "Grabsteinniederlegung" anlässlich des ersten Spatenstichs für das Aufbau- und Verfügungszentrum (15.11.1972)
Duisburg15. November – Baubeginn unter Protestrufen
An den anderen vier neuen Gesamthochschulstandorten sind die ersten Spatenstiche schon gefeiert worden, erst im November folgt auch Duisburg.
Die Aushebung für das heutige Gebäude LE wird nicht nur von Schaulustigen Anwohner:innen, sondern auch von protestierenden Studierenden zahlreich besucht. Angetrieben werden die Demonstrant:innen von der Angst, die Gesamthochschule würde eine „Universität 2. Klasse“ werden, der mangelnden materiellen und personellen Ausstattung und der geplanten Einführung einer verschärften Rahmenprüfungsordnung für Fachhochschulstudiengänge.
Finanzminister Hans Wertz (SPD) zeigt sich von „Aufhören! Aufhören!“-Sprechchören unbeeindruckt und erwidert: „Lasst euch mal was Neues einfallen. Singt doch mal.“
Bild: Erster Spatenstich für das Duisburger Aufbau- und Verfügungszentrum durch NRW-Finanzminister Wertz (15.11.1972)
Essen27. November – Streik auch in Essen
Nach einem Warnstreik in Duisburg entscheiden sich auch über 2.000 Essener Studierende bei einer Urabstimmung dafür, in den Streik zu treten.
Mit der Niederlegung des Studiums vom 27. November bis zum 5. Dezember verschärft sich der Streit um die Gestaltung einer neuen Rahmenprüfungsordnung für Fachhochschulstudiengänge weiter. Forderungen wie etwa die unbeschränkte Wiederholbarkeit von Prüfungen oder die paritätische Besetzung von Prüfungsausschüssen können allerdings nie durchgesetzt werden.
Im gleichen Zeitraum werden auch andere Nordrhein-Westfälische Hochschulen bestreikt, in Duisburg entscheidet sich die Studierendenschaft allerdings diesmal gegen eine Teilnahme.
Bild: Gruppenfoto des AStA der Gesamthochschule Essen (1973)
Düsseldorf28. November – Schlichtungsversuche
Nach Beginn des Studierendenstreiks in Essen versucht Wissenschaftsminister Rau noch einmal seinen Standpunkt zur strittigen Rahmenprüfungsordnung für FH-Studiengänge darzulegen. Im direkten Dienstgespräch trifft er dazu Gründungsrektor Kröll und Detlef Jobst als Vertreter der Studierenden.
Gestreikt wird zunächst trotzdem weiter, erst am 7. Dezember wird der Vorlesungsstreik als beendet erklärt.
Bild: Diskussion am Rednerpult zwischen Wissenschaftsminister Rau und dem Sprecher des Duisburger AStA Schön (22.10.1975)
Dezember 1972
Duisburg05. Dezember – Keine Lösung in Sicht
Kurz vor Ende des Jahres 1972 ist noch immer keine Lösung für die Bauplanung der Duisburger Gesamthochschule in Sicht. Erneut erreicht der Disput mit dem Sportclub Raffelberg sogar die Landesregierung.
Diese unterstützt einen Ersatzstandort für die „Raffelberger“ im Moning-Gelände an der Stadtgrenze zu Mülheim. Aber auch dieses Angebot bringt keine Einigung im Streit um den begehrten Standort für die Duisburger Hochschule.
Die zu Anfang des Jahres 1972 noch unscheinbar wirkende Problematik wird am Ende das Aus für die ursprüngliche Bauplanung bedeuten. Um der Gesamthochschule Duisburg doch noch ein angemessenes Zuhause zu geben, wird 1978 mit dem Bau der heute so markanten Rundbauten („Keksdosen“) begonnen.
Bild: Luftaufnahme des Duisburger Hochschulgeländes an der Lotharstraße (ca. 1979)
Essen08. Dezember – Bauprobleme – nicht nur in Duisburg
Auch in Essen muss man sich Sorgen um den Zeitplan für den Hochschulbau machen.
Vor versammelter Presse kündigt Gründungsrektor Kröll eine Bauverzögerung für das Bargmann-Haus – dem Kernstück der neuen Hochschule – an: Statt wie geplant zum Wintersemester 1973/74 wird frühestens im Februar 1974 mit einer Fertigstellung zu rechnen sein.
Schlussendlich kann das Bargmann-Haus tatsächlich wie angekündigt bezogen werden. Während sich der Ausbau der Gesamthochschule Duisburg bis in die Mitte der 1980er Jahre hinschleppen wird, bleibt man in Essen von weitreichenden Bauproblemen verschont.
Bild: Baubeginn des Westflügels des Bargmann-Hauses (1973)
Düsseldorf15. Dezember – Forschungsschwerpunkte
Alle Rektoren und Kanzler der fünf neuen Gesamthochschulen (GH) in einem Raum: So ein Treffen findet zum ersten Mal Mitte Dezember auf Einladung des Ministeriums für Wissenschaft und Forschung (MWF) in Düsseldorf statt.
Nach einer ausgiebigen Begrüßung durch die Ministerialbeamten wird den Rest des Tages die Bildung von Forschungsschwerpunkten an den GH besprochen. Damit beginnt ein Prozess, der zwei Jahre später abgeschlossen sein wird.
Am Ende gehören u.a. „Geschichte und Religion des Judentums“ und „Erfassung, Ausbreitung, Minderung und Kontrolle von Verunreinigung und Lärm“ zum Duisburger Profil. Essen hat mit acht Themen die meisten Schwerpunkte. Dazu gehören etwa: „Partizipation, Sozialisation und Kommunikation“ oder „Umwelt und Gesellschaft“.
Bild: Johannes Rau, Gründungsrektor Helmut Schrey 32. v. l.) und Gründungskanzler Rudolf Baumann (4. v. l.) auf der Eröffnungssitzung des Duisburger Gründungssenats im August. Beim Treffen der Rektoren und Kanzler war der Minister für Wissenschaft und Forschung nicht anwesend
Essen17. Dezember – In einer Hand
30 Millionen Deutsche Mark Haushaltsentlastung: Dieses Geschenk macht das Land NRW der Stadt Essen, als es die Trägerschaft für die Städtischen Klinken (heute Universitätsklinikum Essen) übernimmt. Die Unterschrift der Übergabeverträge am 17. Dezember wird von Vertreter:innen der Stadt und des Ministeriums für Wissenschaft und Forschung entsprechend mit Sekt gefeiert.
Zuvor existiert eine geteilte Trägerschaft: Die Medizinischen Fakultäten werden vom Land getragen, das Klinikum von der Stadt Essen. Ab dem 1. Januar 1973 befinden sich beide zum ersten Mal in einer Hand.
Bild: Postkarte mit Blick auf die Städtischen Krankenanstalten
Duisburg18. Dezember – Universität Duisburg
Debatten zur Namensgebung der neuen Gesamthochschulen (GH) gibt es nicht nur in Essen. In Duisburg greift bereits vor der GH-Gründung die Lokalpresse den Namen „Mercator-Universität“ auf.
Auch der Stadtrat will das Prestige einer „Universität“ nicht missen und spricht im Dezember eine Empfehlung zur Umbenennung in „Niederrheinische – Universität Duisburg“ aus. Das Wissenschaftsministerium will aber die Grenzen zwischen Gesamthochschulen und Universitäten nicht verwässert sehen und lehnt daher diese wie auch alle anderen Vorschläge für Namensänderungen ab.
Bild: Sprachverwirrung in Duisburg: Flyer für die Universitätstage an der Gesamthochschule (1974)
Düsseldorf21. Dezember – Der Weg zum Integrierten Studium
Die Erprobung neuer, durchlässiger Studienmodelle zählt zu den Kernaufträgen der Gesamthochschulen.
Ende Dezember erhalten die Rektorate in Duisburg und Essen einen Erlass vom Wissenschaftsministerium, welcher die Form dieser neuen integrierten Studiengänge vorgibt. Der sogenannte "Weihnachtserlass" beschreibt ein "Y-Modell", welches ein Studium von der Fachhochschulreife bis zur Promotion ermöglichen soll.
Bild: Von der Fachhochschulreife zur Promotion: Schematische Darstellung eines integrierten Studiengangs nach Y-Modell (1974)
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Quellenverzeichnis

Publikation
Die hier veröffentlichten Beiträge sind 2023 in die Publikation Die Wurzeln der Universität: Duisburg: Die Gründung der Gesamthochschulen vor 50 Jahren eingeflossen.
Die Veröffentlichung ist über die Publikationsplattform DuEPublico frei zugänglich.