Genderforschungspreis für Dr. Heike Mauer
Pressemitteilung - Land NRW
Das Ministerium für Kultur und Wissenschaft hat am Mittwoch, 15. Januar 2020, erstmalig den Wissenschaftspreis für Genderforschung verliehen. Zwei Wissenschaftlerinnen aus Nordrhein-Westfalen sind im Rahmen einer Veranstaltung in der Akademie der Wissenschaften und der Künste in Düsseldorf für ihre Arbeiten ausgezeichnet worden: Dr. Anna Sieben von der Ruhr-Universität Bochum erhält für ihre Arbeiten aus dem Bereich der Sozialpsychologie ein Preisgeld in Höhe von 50.000 Euro. Dr. Heike Mauer von der Universität Duisburg-Essen wird mit einem Preisgeld in Höhe von 25.000 Euro für ihre Arbeiten im Themenfeld der Politik- und Sozialwissenschaften ausgezeichnet. Für die Auswahlentscheidung maßgeblich waren die herausragende Qualität und Originalität der Forschungsarbeiten sowie das wissenschaftliche Potenzial der Preisträgerinnen. Die Preisgelder dienen der Fortführung der wissenschaftlichen Arbeiten.
EKfG-Mitglied Dr. Heike Mauer stellt sich vor
Dr. Heike Mauer ist seit 2016 wissenschaftliche Mitarbeiterin der Koordinations- und Forschungsstelle des Netzwerks Frauen- und Geschlechterforschung NRW, die seit 2017 unter der Leitung von Dr. Beate Kortendiek als eine zentrale Betriebseinheit der Universität Duisburg-Essen konstituiert wurde. Heike Mauer ist Mitglied im Essener Kolleg für Geschlechterforschung (EKfG) und seit 2016 eine der Sprecher*innen der Sektion ‚Politik und Geschlecht‘ der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft (DVPW).
Forschungsprofil und Forschungsschwerpunkte
Theorien der Intersektionalität und Diversität
Meine Dissertation „Intersektionalität und Gouvernementalität. Die Problematisierung der Prostitution in Luxemburg um 1900 bis zum Ende der Zwischenkriegszeit“, die ich 2015 mit „summa cum laude“ am Institut für Gender, Migration und Diversität an der Universität Luxemburg abgeschlossen habe, verbindet Perspektiven der Politischen und feministischen Theorie sowie der sozialwissenschaftlichen und historischen Geschlechterforschung. Zugleich leistet die Arbeit einen theoretischen Beitrag zum Verständnis von Intersektionalität. Mit Intersektionalität wird in der Geschlechterforschung das Zusammenwirken mehrerer Macht- und Ungleichheitsverhältnisse – unter anderem Geschlechterverhältnisse, Rassifizierungsprozesse und Klassenverhältnisse – verstanden. Die Forschungsarbeit ergänzt das Konzept der Intersektionalität um eine dezidiert machtanalytische und gouvernementalitätstheoretische Komponente. Zugleich wird diese Perspektive für eine empirische Untersuchung historischer Problematisierungen und Regierungsweisen von Prostitution genutzt. Empirisch kann gezeigt werden, wie Prostitution zu einem politischen Problem gemacht wird, dessen Anstieg mit gesellschaftlichen und politischen Transformationsprozessen verknüpft wird und wie die politische Regulierung von Prostitution unterschiedliche, intersektional konstituierte Bevölkerungsgruppen konstruiert und diese zum Gegenstand je spezifischer politischer Regierungsweisen macht, und diese in unterschiedlicher Weise disziplinarischen und juridischen Mechanismen unterwerfen bzw. an ihre moralische Selbstführung appellieren. Die Dissertation ist 2017 mit dem Titel „Intersektionalität und Gouvernementalität. Die Regierung von Prostitution in Luxemburg“ in der Reihe „Politik und Geschlecht“ im Verlag Barbara Budrich erschienen.
Politische Regulierung von Prostitution und geschlechtertheoretischer Perspektiven auf Sexarbeit
Prostitution und Sexarbeit sind nicht nur breite Forschungsfelder, sondern auch umstrittene Gegenstände der Geschlechterforschung. Mit meiner eigenen Forschung zeige ich auf, dass Prostitution und Sexarbeit als sozial, historisch und politisch situierte Phänomene begriffen werden müssen. Leitfrage für die Untersuchung stellt erstens eine Perspektive der Problematisierung dar, mit der herausgearbeitet werden kann, was jeweils überhaupt unter Prostitution oder Sexarbeit verstanden wird. Damit ist zweitens eine Reflexion der normativen Positionierung notwendig, mit der ergründet wird, wie Prostitution und Sexarbeit normativ bewertet wird und warum und was genau an Prostitution und Sexarbeit problematisiert wird. Dies eröffnet schließlich drittens einen machtanalytischen Zugang, der untersucht, mit welchem Ziel und mit welchen Regierungstechniken Prostitution und Sexarbeit politisch reguliert werden.
Rechtspopulismus und Antifeminismus als Krisenphänomene von Demokratie und Geschlechterordnung
Unter anderem im Rahmen eines zentralen Round-Table auf dem 27. Kongress der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft habe ich mich an der wissenschaftlichen Debatte um Identitätspolitik und soziale Ungleichheit als Motoren für den Erfolg rechtspopulistischer Parteien und Bewegungen beteiligt und zu dieser Frage geforscht. Dabei habe ich u. a. im gemeinsam mit Michel Dormal verfassten Beitrag „Das Politisierungsparadox“ für ein Schwerpunktheft der Zeitschrift Femina Politica herausgearbeitet, dass die Gegenüberstellung von ‚Identitätspolitik‘ und ‚sozialer Frage‘ auf einem falschen Gegensatz beruht, da er die Geschlechtergleichheit als ein konstitutives Element für die Verwirklichung von Partizipation und sozialer aber auch demokratischer Gleichheit ignoriert.
Gouvernementalität von Gleichstellung an der Hochschule (Habilitationsprojekt)
Im Rahmen meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin der Koordinations- und Forschungsstelle des Netzwerks Frauen- und Geschlechterforschung NRW befasse ich mich mit der Implementierung gesetzlicher Gleichstellungsvorgaben und der Gleichstellungspraxis an Hochschulen. Damit rücken einerseits die Veränderungen der Hochschulgovernance in den Blick, die mit der Einführung politischer Steuerungsinstrumente des New Public Managements die an Selbstverwaltung orientierte Universität Humboldt’scher Prägung transformieren. Andererseits stellt sich aus einer Perspektive der Gleichstellungsforschung die Frage, wie diese Transformationen zu bewerten sind: Befördern und stärken sie die Gleichstellungspolitik oder führen sie lediglich zu einer rhetorischen Modernisierung (Wetterer) und damit zur aporetischen Position der Non-Performativity (Amed)?
Das Projekt befindet sich derzeit in der Konzeptionsphase, indem der Forschungsrahmen für eine kumulative Habilitation sowie die Publikationsstrategie entwickelt wird. Empirisch wird das Habilitationsvorhaben an den Gender-Report 2016 (Kortendiek et al. 2016) sowie den Gender-Report 2019 (Kortendiek et al. 2019) anknüpfen.
Das Preisgeld soll dazu dienen, Forschung zu realisieren und mein Habilitationsprojekt ins Zentrum zu stellen.
Zusammenfassung der Dissertation
„Intersektionalität und Gouvernementalität. Die Problematisierung der Prostitution in Luxemburg um 1900 bis zum Ende der Zwischenkriegszeit“
Theoretischer Zugriff und Methode
Als Politische Theoretikerin und Geschlechterforscherin interessiert mich die Prostitutionsregulierung auch deshalb, weil ich Theorien überdenken und weiterentwickeln will – in Auseinandersetzung mit der Empirie. Intersektionalität ist ein Theorem, das von Kimberlé Crenshaw im Kontext der Schwarzen feministischen und antirassistischen Sozial- und Gesellschaftstheorie entwickelt wurde. Es drückt aus, dass Geschlechterverhältnisse nicht ‚isoliert‘ betrachtet werden können, sondern mit anderen Machtverhältnissen verwoben sind. In Bezug auf die Regulierung von Prostitution zeigt die Arbeit auf, wie Geschlechterverhältnisse mit Staatsbürgerschaft und Nation, aber auch mit Klassenverhältnissen, also mit der Organisation von Arbeit sowie dem sozialen Status verwoben sind. Die Arbeit diskutiert zunächst die deutschsprachige Rezeption des Intersektionalitätsbegriffs und arbeitet heraus, dass diese ein Machtdefizit aufweist und Machtverhältnisse zumeist mit sozialer Ungleichheit gleichgesetzt werden. Deshalb kann nicht mehr danach gefragt werden, wie Macht ausgeübt wird und welche Techniken dazu eingesetzt werden. Um erfassen zu können, welche Machtlogiken und Machttechniken zur Prostitutionsregulierung eingesetzt werden, führt die Arbeit den Begriff der Gouvernementalität ein, der von Michel Foucault stammt. Damit lassen sich drei Regulierungsformen von Prostitution unterscheiden, die auch für die aktuellen Debatten über Sexarbeit relevant sind: Die Prostitution kann strafrechtlich verboten werden, ordnungspolizeilich überwacht oder präventiv mit Hilfe von Sicherheits- und Selbstführungspolitiken regiert werden.
Empirischer Zugriff
Um 1900 befand sich die Gesellschaft in Luxemburg in einem Transformationsprozess. In diesem Zusammenhang beklagten Öffentlichkeit und Politik eine Zunahme von Prostitution und Unmoral. Dies wurde mit der Industrialisierung, Migration (u. a. aus Deutschland) und Urbanisierung in Verbindung gebracht.
Besonders deutsche Migrantinnen, und hier vor allem Kellnerinnen sowie in „wilder Ehe“, d. h. unverheiratet zusammenlebende Frauen, aber auch Dienstmädchen, Näherinnen oder andere in prekären Verhältnissen arbeitenden Frauen gerieten unter Prostitutionsverdacht und wurden deshalb ausgewiesen.
Die Dissertation zeichnet nach, dass die Behörden hierbei Sicherheitstechniken anwandten und mittels einer „Logik des Verdachts“ agierten: Das Strafrecht versagte bei der Prostitutionsregulierung. Deshalb interessierten sich die Behörden stark für die Lebensführung von Frauen: Wer wohnt wo und mit wem? Wer verdient wieviel und entspricht dies dem sichtbaren Lebensstil? Vor allem Ausländerinnen, die in zweifelhaften Cafés arbeiteten und sich ‚zu teuer‘ kleideten, gerieten in den Fokus der Behörden und wurden wegen Prostitution ausgewiesen – auch ohne strafrechtlichen Grund. Die Ausweisung erfolgte somit in einer rechtlichen Grauzone.
Umgekehrt entspannte sich eine Sorge um luxemburgische Dienstmädchen im Ausland. Die großen Tageszeitungen warnten vor der Migration der Luxemburgerinnen und den „Gefahren der Stadt“, die ihnen demnach in Paris oder Brüssel drohten.
Während jedoch das Handeln der ausländischen Kellnerinnen als intentional und kriminell dargestellt wurde, erschienen die Luxemburgerinnen als Opfer von Verführungen, Unwissenheit oder ökonomischen Zwängen. Deshalb setzten sich katholische Frauenvereine für den Mädchenschutz ein. Haushaltungs- und Kochschulen dienten der Frauenbildung. Dabei ging es auch um die Durchsetzung bürgerlicher Geschlechterverhältnisse in der Arbeiterklasse. Gute Hausfrauen waren demzufolge in der Lage, den Mann ‚moralisch zu heben‘.
Ergebnis der Analyse
Theoretisch erweitert die Arbeit das Verständnis von Intersektionalität um eine machtanalytische Perspektive, die zugleich für die empirische Analyse produktiv gemacht wird: Mit der Forschungsarbeit kann gezeigt werden, dass die ‚Regierung von Prostitution‘ intersektional erfolgte. Bereits die Problematisierung von Prostitution verwebt Geschlechterverhältnisse mit Migration und Staatsbürgerschaft, aber auch mit Klassenverhältnissen. Zugleich ist sie in einem heteronormativen Setting konfiguriert.
Prostitutionsverdächtigen Migrantinnen wurde mit Repression und mit Ausweisung begegnet. Es handelt sich um eine juridisch-disziplinarische Machttechnik, mittels derer die Prostitution zugleich externalisiert und als ausländisch markiert wurde.
An Luxemburgische Frauen und insbesondere an Frauen aus der Arbeiterklasse hingegen wurde appelliert, ihren Ehemännern ein „Heim“ zu bereiten, so „daß er die gesunden Familienfreuden schätzen lernt und sie den wüsten Gelagen im Wirtshaus vorzieht“. Damit wurde den Frauen zugeschrieben, sich besser selbst moralisch gut regieren zu können. Letztlich zielte diese gute ‚Regierung des Selbst‘ aber nicht auf die eigene Autonomie ab, sondern sie wurde in den Dienst der Nation zur ‚Hebung‘ des männlichen Selbst gestellt. Wie die Arbeit herausstellt, führt dies zu einer Moralisierung von Armut, da das Umsichgreifen von Alkoholismus und Prostitution als Folge mangelnder Haushaltsführung und ‚schlechten Hausfrauen‘ erscheint.
Zugleich kann dieser Befund der Forschungsarbeit, dass verschiedene Bevölkerungsgruppen mit Hilfe jeweils spezifischer, intersektional operierender Politiken und Machttechniken regiert wurden, auch für die gegenwärtige Analysen politischer Regulierung produktiv gemacht werden.