Abteilung für Alte Geschichte
Aktuelle Forschungsprojekte
Prof. Dr. Wolfgang Blösel Oligarchien und Oligarchie-Theorie im klassischen und frühhellenistischen Griechenland
Dieses Projekt setzt sich zum Ziel, demokratische und oligarchische Verfassungen griechischer Stadtstaaten der klassischen und frühhellenistischen Zeit zu vergleichen und damit die Konstitutionsprozesse politischen (Selbst-) Bewußtseins im 5. und 4. Jh. v. Chr. nachzuzeichnen. Der zumindest formelle Ausschluß der Theten von den Ämtern rückt sogar das demokratische Athen in unserem Verständnis in die Nähe vieler sog. oligarchischer Verfassungen, die innerhalb ihrer Bürgerschaft den Ämterzugang nach Zensusgrenzen abstuften. Die allgemein-historische Relevanz des Projektes liegt in der Erkenntnis, daß die Etikettierung von Staatsordnungen in einem dichotomen Raster weit weniger durch den tatsächlichen Grad politischer Partizipation der Bürger geprägt ist als vielmehr durch die außenpolitische Zuordnung der jeweiligen Staaten im Freund-Feind-Schema der Hegemonialmächte (hier Athen, Sparta, Makedonien oder der Diadochen).
Dr. Daniel Emmelius Die vereidigte Polis. Eide in griechischen Gemeinwesen von der archaischen bis in hellenistisch-römische Zeit
In der altertumswissenschaftlichen Forschung wurden Eide im antiken Griechenland lange Zeit relativ wenig und fast ausschließlich aus rechtsgeschichtlicher Sicht beachtet, wobei den Griechen zudem ein eher leichtfertiger Umgang mit diesen attestiert wurde. In gängigen Nachschlagewerken findet sich noch die Auffassung, dass Eide lediglich in der archaischen Zeit noch von nennenswertem tatsächlichem Gewicht gewesen seien, jedoch bereits in der Klassik und erst recht in hellenistisch-römischer Zeit zu bloßen Formelhandlungen herabgesunken seien. Die jüngere Forschung neigt dagegen eher zur Gegenthese, wonach Eide nicht nur ein geradezu ubiquitäres Phänomen in der antiken griechischen Gesellschaft, sondern geradezu die zentrale Bindekraft („glue“) sozialer und politischer Ordnung gewesen seien. In ähnlichem Sinne hat im Athen des 4 Jh. v.Chr. bereits der Redner Lykurg den Eid als das, was die Demokratie zusammenhalte, bezeichnet (Leocr. 79). Diese sehr weitgehende, dabei eher idealistische, die ältere „Verfallsthese“ in ihr Gegenteil verkehrende Position bedarf jedoch einer systematischeren Überprüfung.
Dr. Daniel Emmelius Wüsten und Steppen im geographischen Wissen der Antike als Räume der Kontingenzbewältigung
Wüsten gelten für die Epoche der griechisch-römische Antike gemeinhin als Räume, über die auch gebildete Menschen jenseits ihres jeweiligen Nahbereichs wenig wussten. An die Stelle dieses Nichtwissens sei vielmehr eine Reihe weniger, extrem negativer Topoi getreten, die in einem deutlichen Spannungsverhältnis zu den Erfahrungen der handelnden Menschen in und am Rande von Wüstenregionen selbst gestanden habe.
Wohl gerade aufgrund dieser Annahmen wurde das geographische und umweltbezogene Wissen über Wüsten in der Antike allerdings bisher nicht systematisch bzw. nur für sehr begrenzte Zeiträume untersucht. Bei näherer Betrachtung drängt sich der Verdacht auf, dass die beschriebenen Annahmen auf einem zu einseitigen Bild vom antiken Wüstenwissen beruhen, das die konzeptuellen Unterschiede zwischen modernen und antiken Landschaftskonzepten nicht angemessen berücksichtigt und zudem auf einer allzu selektiven Quellenauswahl aufbaut.
Jasmin Hettinger, M.A. Praktiken und Paradigmen der Hochwasservorsorge im Römischen Reich
Im Dissertationsprojekt sollen vorbeugende und schützende Maßnahmen im Umgang mit Hochwasser im Römischen Reich untersucht werden. Schriftliche Hauptquellen sind Inschriften, Rechtstexte und das Corpus der römischen Feldmesser (Corpus Agrimensorum Romanorum). Während erstere über ansonsten unbekannte Flutereignisse, Wiederaufbau- und zusätzliche Schutzmaßnahmen informieren, beschäftigen sich die anderen beiden hauptsächlich mit Grenzstreitigkeiten, die nach Hochwasser auftreten, und legen verschiedene Optionen zu deren Beilegung dar. Zudem geben sie Auskunft über vorbeugende Maßnahmen, um es gar nicht erst zu Flutschäden kommen zu lassen. Die Reichweite dieser Maßnahmen soll ebenso erforscht werden wie die ihnen zugrundeliegenden Vorstellungen, ideologischen Vorprägungen und technischen Möglichkeiten.
Andrew van Ross, M.A. Kontingenzbewältigung und -toleranz in der politischen Kultur der römischen Republik (4. - 1. Jhd. v.Chr.)
Ein junger Aristokrat, der sich in der römischen Republik anschickte, eine politische Karriere zu beginnen, betrat einen – so scheint es – geraden und gut einsehbaren Weg: Wenn keine fatal verlaufende Schlacht oder schwere Krankheit dazwischen kam, konnte er sich auf einen erwartbaren Lebenslauf (J. Kirov) einstellen, der ihm zwar nur eingeschränkte Handlungskapazitäten (J. Martin) bot, aber dafür in Richtung der höchsten Ehrenämter führte und vielleicht sogar von einem Triumph gekrönt wurde.
Abweichend von und zugleich ergänzend zu diesem Bild sollen in diesem Projekt gerade die Unwägbarkeiten und Kontingenzen politischer Werdegänge nach 367 v.Chr. in Augenschein genommen werden. Vor allem geht es dabei um die Bereitschaft der Protagonisten – als militärische Führungskräfte und Redner vor Gericht ohnehin im Umgang mit unvorhersehbaren Wendungen geübt –, diese Kontingenzen nicht nur zu tolerieren, sondern sogar zu provozieren und zu verstärken. So führte manch ein risikobereiter Magistrat bewusst den Dissens mit dem Senat herbei und setzten wagemutige Volkstribune ihre weiteren Karrieren aufs Spiel, indem sie es auf Konflikte mit angesehenen Imperiumsträgern und mächtigen Senatoren ankommen ließen. Solche Situationen lassen sich nicht allein über die hinlänglich bekannte inneraristokratische Konkurrenz erklären. Sie sind ferner kein ausschließliches Krisenphänomen des ersten Jahrhunderts v.Chr., sondern bereits in der mittleren Republik Bestandteil der politischen Kultur.
Felix Schulte, M.A. „Das politische Leben in den Städten des Kaiserzeitlichen Italiens"
Im Rahmen des Dissertationsprojektes wird die städtische Verwaltung und ihr Einfluss auf das lokale politische Leben der Städte im Bereich der in elf Regionen unterteilten italischen Halbinsel betrachtet. Bei der Untersuchung werden vor allem die dauerhaft inschriftlich publizierten Beschlüsse der verschiedenen Dekurionenräte in den Blick genommen, die es ermöglichen, lokale Politik, ihre Entscheider und ihre Einflussbereiche zu greifen. Durch die Einbindung dieser umfänglich erhaltenen Dekrete in spezifische Kontexte – sowohl rechtlich als auch sofern möglich archäologisch – soll herausgearbeitet werden, wie städtische Verwaltung sich in der Öffenlichkeit unter wandelnden Rahmenbedingungen präsentierte.
Da eine dauerhafte Veröffentlichung der Beschlüsse durch epigraphische Dokumente juristisch nicht notwendig war, tritt die Frage nach der Genese dieser Zeugnisse als wichtiger Aspekt bei der Behandlung dieser besonderen Quellengattung hervor. Es stellt sich die Frage, wer ein Interesse an der kostspieligen Veröffentlichung und der damit einhergehenden Selbstdarstellung durch die Präsentation städtischer Beschlüsse im öffentlichen Raum hatte.
Durch eine solche Untersuchung, die mit der Anlage eines Kataloges der relevanten Inschriften einhergeht, wird es ermöglicht, die Stellung der kleinsten politischen Selbstverwaltungseinheit im Kaiserzeitlichen Italien genauer zu fassen und die weiterhin aktuellen Wechselbeziehungen zwischen städtischer Elite und Verwaltung klarer zu untersuchen.
Isidor Brodersen, M.Ed. Das Spiel mit der Vergangenheit in der Zweiten Sophistik
„Füge zu jedem Thema Marathon und Kynegeiros hinzu, ohne die überhaupt nichts geht. Auch soll jedes Mal der Athos durchsegelt, der Hellespont zu Fuß überschritten werden, die Sonne sich wegen der Medergeschosse verfinstern, Xerxes fliehen und Leonidas bewundert werden, […] und auf Salamis, Artemision, Plataiai musst du oft und in dichter Abfolge anspielen.“ (Luc. Rh.Pr. 18.)
Diesen Ratschlag an einen angehenden Rhetor präsentiert im 2. Jahrhundert nach Christus der Satiriker Lukian, nach Kurt Tucholsky ein „frecher Hund“. Daran zeigt sich beispielhaft der hohe Stellenwert der klassischen Vergangenheit für die griechischsprachigen pepaideumenoi im Imperium Romanum des 1.–3. Jahrhunderts n.Chr. Gleichzeitig wird bei genauerer Betrachtung deutlich, dass eben diese Kanonisierung und der Umgang mit ihr nicht in jedem literarischen Kontext gleich interpretiert werden können: Das klassische Griechenland als lieu de mémoire kann gerade im intellektuellen Umfeld der „Zweiten Sophistik“ auch in scherzhafter, ironischer oder anderweitig gebrochener Weise genutzt werden.
Es darf also nicht nur nach dem Stellenwert gefragt werden, den der bis heute wirkmächtige Kanon an klassischen Themen, Personen und Ereignissen für die Konstruktion und Aufrechterhaltung der eigenen griechischen Identität im Imperium Romanum innehatte, etwa in Abgrenzung zu römischen Eliten oder der lokalen Bevölkerung. Vielmehr soll im Rahmen des Projekts untersucht werden, welche literarischen, rhetorischen oder narrativen Strategien eingesetzt werden, um eben diese Identitätsbildung humorvoll und spielerisch zu begleiten, zu kommentieren und zu hinterfragen. Somit soll gezeigt werden, dass gerade unernste Texte einen wesentlichen Beitrag zur Verhandlung der Identität eines pepaideumenos leisten können.
David Deters, M.A. Optimates: politische Gruppierung, Schlagwort oder Karrierestrategie in der späten Republik?
Dieses Dissertationsprojekt nimmt die Verhaltensmuster all derjenigen spätrepublikanischen Politiker seit den Gracchen in den Blick, für welche die Quellen Aussagen über mindestens einige Jahre zulassen. Die Grundfrage richtete sich darauf, inwieweit ihr jeweiliges politisches Agieren gegenüber der Senatsmehrheit und deren Gegenspielern im weiten Spannungsfeld zwischen gruppenorientierter Beharrung einerseits und tagespolitischen Opportunitätserwägungen andererseits zu verorten ist. In klarer Abgrenzung zu der in der Forschung noch verbreiteten, wenig differenzierenden Gegenüberstellung von „Optimaten“ und „Popularen“ soll auf diese Weise das Fehlen ideologischer Programmatik, die durchgängige Gegenstandsabhängigkeit und Teilbarkeit römischer Politik (vgl. Chr. Meier, Res publica amissa. Eine Studie zu Verfassung und Geschichte der späten Republik, Frankfurt/Main ²1980) im Einzelfall bis zum endgültigen Untergang der Republik nachgewiesen werden.