IAQ Pressemitteilung
IAQ-Forscher zieht Bilanz aus zwölf Jahren Hartz-Reformen
Trotz des „deutschen Beschäftigungswunders” sind auf dem Arbeitsmarkt keineswegs rosige Zeiten angebrochen. Statt mehr Flexibilität sei Erstarrung eingetreten; „es erscheint nötig und sinnvoll, eine neue Diskussion über die zukunftsfähige Gestaltung des Arbeitsmarktes jetzt zu beginnen und nicht erst auf dem Tiefpunkt des nächsten Abschwungs.” Zu diesem Schluss kommt Prof. Dr. Matthias Knuth vom Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen (UDE) in einer aktuellen Expertise für die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES).
Zwölf Jahre, nachdem im August 2002 die Hartz-Kommission ihren Abschlussbericht an Bundeskanzler Schröder übergab, zieht Knuth Bilanz: Was bleibt von den Arbeitsmarktreformen? Trotz offensichtlicher Erholung des Patienten sei der deutsche Arbeitsmarkt durch die Hartz-Reformen im Kern nicht „gesünder” geworden. „Aber nicht alle seine Gebrechen sind auch Folgen der Reformen.” So seien stagnierenden Löhne, zunehmende Ungleichheit und der wachsende Niedriglohnsektor vor allem auf die Schwächung des Tarifvertragssystems zurückzuführen.
Die Strukturreformen haben offenbar für schnellere Übergänge aus Arbeitslosigkeit in Erwerbstätigkeit gesorgt. Die Chancen der Langzeitarbeitslosen haben sich dabei jedoch nicht verbessert. Der Beschleunigungseffekt beschränkt sich vielmehr auf diejenigen, die kurzzeitig ohne Job sind, noch Arbeitslosengeld beziehen und den Abstieg in die bedürftigkeitsgeprüfte Grundsicherung vermeiden wollen.
„Aus dem gleichen Grund hat die Angst der Beschäftigten vor Arbeitslosigkeit zugenommen, weshalb sie, um ihren Arbeitsplatz zu erhalten, als Gegenleistung zu größeren Opfern bereit sind als zuvor”, erklärt Knuth. „Diese Anpassungsbereitschaft der Arbeitnehmer hat 2008/2009 zur Krisenbewältigung beigetragen. Zugleich verringert jedoch ihre Angst auch ihre Risikobereitschaft.”
Die Wirtschaft wächst, mehr Menschen stehen in Lohn und Brot, und doch ist die Fluktuation von Arbeitskräften insgesamt gesunken, stellt Knuth fest; dagegen hat die durchschnittliche Dauer, in der jemand in einem Beschäftigungsverhältnis bleibt, zugenommen, obwohl es mehr und mehr flexible Beschäftigungsformen gibt.
Die Funktionsfähigkeit des deutschen Arbeitsmarktes hat sich folglich verschlechtert. Ursächlich dürfte hierbei nicht nur sein, dass die Hartz-Reformen die Arbeitnehmer einschüchtern. Auch wurden in neu begonnenen Beschäftigungsverhältnissen niedrigere Einstiegslöhne gezahlt, während die angebotenen Bedingungen für bereits Beschäftigte unattraktiv waren: Arbeitgeberwechsel lohnten sich demnach nicht. „Eine einseitige Flexibilisierung des Arbeitsmarktes in der Form, dass nur die Arbeitgeber mehr Optionen haben, macht ihn nicht flüssiger”, so Prof. Knuth, „sondern führt gerade zu der Erstarrung, die mit den Reformen bekämpft werden sollte.