IAQ Pressemitteilung

Pressemitteilung vom 01.06.2022 Erhöhung des Mindestlohns und Ausweitung der Minijobregelung

Standpunkte aus dem IAQ zur Öffentlichen Bundestagsanhörung

Das Institut Arbeit und Qualifikation (IAQ) der Universität Duisburg-Essen (UDE) begrüßt ausdrücklich die geplante gesetzliche Anhebung des Mindestlohns auf 12 Euro ab Oktober 2022. Über 20 Prozent der Beschäftigten in Deutschland können davon profitieren. Die Ausweitung der Minijobs wird dagegen kritisiert: Die Regelung öffne weiter das Einfallstor für Mindestlohnverstöße, stelle bürokratischen Mehraufwand dar und verhindere die Förderung sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung. In der IAQ-Reihe Standpunkt sind jetzt die Stellungnahmen von Prof. Dr. Gerhard Bosch und Frederic Hüttenhoff aus der öffentlichen Anhörung des Bundestags-Ausschusses für Arbeit und Soziales (am 16. Mai 2022 in Berlin) veröffentlicht.

Die Erhöhung des Mindestlohns entspricht einer seit langem bestehenden Forderung der Gewerkschaften. Sie ist nach Auffassung von Professor Dr. Gerhard Bosch ein richtiger und fälliger zweiter Schritt, „nachdem im ersten Schritt der Mindestlohn niedrig angesetzt wurde“. Allerdings gebe es noch erhebliche Umsetzungsprobleme beim Mindestlohn, viele Anspruchsberechtigte bekommen den Mindestlohn noch nicht und die Compliance-Probleme sind keine Einzelfälle. Das Hauptproblem in der Zukunft sei aber, dass der aktuelle Anpassungszeitraum für den Mindestlohn von zwei Jahren angesichts hoher Inflationsraten nicht akzeptabel sei. „Da hängt man zu lange hinterher“, sagte Bosch und forderte eine Verkürzung auf ein Jahr.

Kritik an Ausweitung der Geringfügigkeitsgrenze

Die geplante Ausweitung der Geringfügigkeitsgrenze bei Minijobs auf 520 Euro und die Kopplung an die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns lehnte der Politikwissenschaftler Frederic Hüttenhoff ab. In der Praxis kämen bei Minijobs die eigentlich verpflichtenden arbeits- und tarifrechtlichen Regelungen, wie etwa die Entgeltfortzahlung, bezahlter Mindesturlaub oder Elternzeit „nicht oder nur begrenzt zur Anwendung“. Gesetzesverstöße seien „eher die Regel als die Ausnahme“.

Noch mehr Probleme wird laut Prof. Bosch allerdings die neue Rechtsnorm zum Umgang mit Überschreitungen der Geringfügigkeitsgrenze schaffen. Künftig soll die Grenze in zwei Monaten des Jahres auf das Doppelte angehoben werden können. „Damit wird de facto eine Anhebung der Geringfügigkeitsgrenze pro Jahr um 1040 € bzw. pro Monat um 86,67 € legalisiert. Die monatliche Geringfügigkeitsgrenze läge dann bei 606,97 €. „Die praktischen Auswirkungen werden verheerend sein, wenn in der Praxis die Grenze auf diesen Betrag steigt“! Zudem sei der Anteil der Minijobber, die von unten an die Geringfügigkeitsgrenze stoßen, stark angestiegen. 2013 verdienten nur 18,2% von ihnen zwischen 400 und 450 Euro, 2020 waren es schon 34,6%. Die Gruppe der Minijobber mit einem Überschreitungspotential ist also deutlich gewachsen. „Es ist dringend anzuraten, diese Regelung zu korrigieren!“ meint Prof. Bosch

Ein Kernproblem der Minijobs bleiben die „starken Klebeeffekte“, die für Beschäftigte systematisch Übergänge in sozialversicherungspflichtige Beschäftigung erschweren, sagt Hüttenhoff. Nach Einschätzung beider IAQ-Forscher kann der Gesetzesentwurf diese Probleme nicht lösen. Das Potenzial an rein technischen Lösungen sei mit der „Glättung der Sozialabgaben“ ausgeschöpft. Es bleibe dabei, dass das Arbeitsangebot künstlich begrenzt und damit die Finanzierung der Renten erschwert wird. Gleichzeitig verschärfe sich der Fachkräftemangel, da gut qualifizierte Frauen in kurzer Arbeitszeit und unterwertiger Beschäftigung festgehalten werden.

Die IAQ-Forscher halten eine Reformierung für dringend notwendig: eine Abschaffung oder zumindest Begrenzung der Minijobs in Bagatellgrenzen etwa für Schüler*innen, Studierende und Rentner*innen. Darüber hinaus seien auch grundlegende Reformen im Bereich des Steuer- und Sozialversicherungsrechts notwendig.

Weitere Informationen: https://www.uni-due.de/iaq/iaq-standpunkt.php

Redaktion:

Claudia Braczko

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Prof. Dr. Gerhard Bosch
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