Informationen zum Forschungsprojekt
The Changing Role of Employment Assistance in Germany and Great Britain
Ziel und Aufgabenstellung
Sowohl in Großbritannien als auch in Deutschland erfährt der Wohlfahrtsstaat einen Paradigmenwechsel. Die Rechte und Pflichten der arbeitslosen Bezieherinnen und Bezieher von Sozialleistungen werden neu austariert. Der traditionelle Ansatz der "Umverteilung", bei dem es vor allem um das Niveau der Unterstützung geht, wird abgelöst von der Betonung der "Aktivierung", wonach jene, die keine Erwerbsarbeit haben, sowohl Unterstützung erhalten als auch verpflichtet werden sollen, sich am Arbeitsmarkt zu beteiligen ("Fördern und Fordern", "Arbeit vor Leistung"). Auf diese Weise sollen in beiden Ländern "aktivierende" Leistungssysteme implementiert werden, die die Beschäftigungsfähigkeit verbessern, Anreize zur Aufnahme einer Erwerbstätigkeit setzen und die Kosten sowohl der sozialen Ausgrenzung als auch der so genannten Transferabhängigkeit reduzieren.
In Deutschland und in Großbritannien haben die Regierungen den Übergang zu diesen neuen Leistungssystemen mit grundlegenden Veränderungen der jeweiligen Arbeits und Sozialverwaltungen verbunden. Diese sollen in einen wachsenden Wettbewerb mit privat-kommerziellen wie gemeinnützigen Dienstleistern treten, indem sie Arbeitsförderungsprogramme umsetzen und versuchen, Menschen in Arbeit zu bringen. Von den Beschäftigten der Arbeits und Sozialverwaltungen wird erwartet, dass sie als Schnitt und Schaltstellen zu diesen Dienstleistern bei der Aktivierung der Leistungsempfänger zur Arbeitssuche fungieren.
Das von der Deutsch-Britischen Stiftung für das Studium der Industriegesellschaft geförderte Projekt, das das Institut Arbeit und Technik zusammen mit dem Center for Economic and Social Inclusion (CESI, London) und der Universität Portsmouth durchgeführt hat, hatte zum Ziel, die Wirksamkeit der Reformen der öffentlichen und privaten Arbeitsförderungssysteme in Großbritannien und Deutschland zu untersuchen. Das Projekt war darauf angelegt, den politischen Erfahrungsaustausch anzuregen und Möglichkeiten des Transfers von Erfahrungen zwischen beiden Systemen erkennbar zu machen.
Dabei war der Stand der Umsetzungsprozesse in beiden Ländern unterschiedlich. In Deutschland fand die Untersuchung statt, während in parlamentarischen Vermittlungsverfahren um die Umsetzung der Vorschläge der Hartz-Kommission zum organisatorischen Umbau der Bundesanstalt für Arbeit (heute: Bundesagentur für Arbeit) und ihrer Zusammenarbeit mit Trägern der Sozialhilfe auf lokaler Ebene gerungen wurde. Deshalb konzentrierte sich die Untersuchung in Deutschland auf Modelle der Zusammenarbeit von Arbeits und Sozialämtern in Job-Centern, die u.a. im Rahmen des Modellprojekts MoZArT gefördert worden waren.
Dagegen war die Entwicklung in Großbritannien mit der Zusammenlegung der zentralstaatlich organisierten Arbeits- und Sozialverwaltungsagenturen zu "Jobcentre Plus" weiter vorangeschritten. Hier hatte man bereits 2002 damit begonnen, 90.000 Beschäftigte in mehr als 1.000 Niederlassungen zu integrieren, und ist mittlerweile schon wieder dabei, im Zuge einer Organisationsanpassung Beschäftigte abzubauen und das Einrichtungsnetz umzustrukturieren. In den Dienststellen von Jobcentre Plus werden Arbeitslose zur Arbeitssuche verpflichtet, aber auch darin unterstützt. Mit BezieherInnen von Sozialhilfe und Arbeitsunfähigkeitsunterstützung werden "arbeitszentrierte Beratungsgespräche" durchgeführt, um auch diese Gruppen wieder an den Arbeitsmarkt heranzuführen. Mit "New Deal" (zu deutsch etwa "Neuanfang") reformierte die britische Regierung die aktive Arbeitsförderung für spezielle Zielgruppen der Arbeitsmarktpolitik, anteilig vor allem Jugendliche und Langzeitarbeitslose.
Die wichtigsten Ergebnisse unserer vergleichenden Untersuchung lassen sich wie folgt zusammenfassen:
- Eine Fusion und ein organisatorischer Wandel im Maßstab von Jobcentre Plus oder Zusammenarbeit von Arbeitsagenturen und Sozialämtern verlangen einen klaren und verständlichen Umsetzungsweg und einen realistischen Zeitplan von mehreren Jahren. Ein Wandel dieses Ausmaßes innerhalb einer "juristischen Sekunde" überfordert alle Beteiligten. Diesbezüglich stach das britische Beispiel positiv hervor.
- Die Reform eines Arbeitsförderungsregimes kann nur erfolgreich sein, wenn die Beschäftigten, die dieses tragen sollen, für die Umsetzung gewonnen werden können. Diskussionen über Stellenabbau bei gleichzeitiger Intensivierung der Kundeninteraktion wirken verstörend und demotivierend auf die Beschäftigten. Dieses ist ein Problem in Großbritannien.
- Fusionen beinhalten immer die Gefahr, dass es nicht zum Zusammenschluss auf Augenhöhe kommt, sondern dass "übernommen wurde", was wiederum zu Frust und Demotivation der Beschäftigten führt. In Großbritannien ist durch geschickte Rhetorik und ausgewogenem Mix bei der Besetzung von Führungspositionen dieser Eindruck vermieden worden. Mittlerweile droht jedoch durch operative Schwerpunktverlagerung von der Leistungsbearbeitung zur Arbeitsvermittlung ein Riss in der Organisationskultur von Jobcentre Plus, der die gesamte Reform der Arbeitsförderung gefährden könnte. Dieser Konflikt der Kulturen von BA und Kommune steht in Deutschland noch aus, muss aber befürchtet werden, wenn man den aktuellen Umsetzungsgrad und die Schwierigkeiten beachtet, unter denen die Implementierung der Arbeitsgemeinschaften abläuft. Die von einigen Kommunen gewählte Option zur selbständigen Umsetzung von Hartz IV wird dafür sorgen, dass nach Ablauf der Experimentierphase weiterer Reformbedarf der lokalen Beschäftigungsförderung in Deutschland bestehen wird.
- "Fördern und Fordern" im Rahmen einer aktivierenden Arbeitsförderung macht nur Sinn, wenn dem Kunden eines derartigen Systems Möglichkeiten des "Neuanfangs" auch wirklich gegeben werden und Sanktionen bei offensichtlichen Verstößen gegen das Regime (d.h. bei Verweigerung) auch wirklich angewendet werden. In Deutschland werden die Früchte des neuen Systems für bis zu 1,5 Millionen Menschen zuallererst in Form von verringerten Transferleistungen zu spüren sein.
Vorgehen
Die gesetzlichen Grundlagen und institutionellen Gegebenheiten der neuen Arbeitsförderungssysteme wurden in einem Vergleichsrahmen analysiert und die Entwicklung der öffentlichen Arbeitsverwaltungen beider Länder skizziert. Hierzu diente die Aufarbeitung der einschlägigen Literatur und Interviews mit Schlüsselakteuren in beiden Ländern, darunter Repräsentanten der zuständigen Ministerien, der Arbeitsverwaltungen, der Sozialpartner und privater Arbeitsvermittler.
Der Kern der empirischen Arbeit bestand aus Fallstudien der Arbeitsförderung von Arbeits und Sozialverwaltungen in je zwei Großstädten mit vergleichbaren sozio-ökonomischen Randbedingungen. An mindestens einer Fallstudie in jedem Land nahm das Team des jeweils anderen Landes aktiv teil (Cross-Country-Ansatz).
In jeder Stadt wurden Verantwortliche der Öffentlichen Ämter, aus dem Netzwerk der Dienstleister und aus dem Bereich der Sozialpartner befragt. Es wurden außerdem Arbeitsberater und Arbeitsvermittler aus dem öffentlichen und privaten Bereich befragt. Ergänzt wurden die Interviews durch die Beobachtung der Abläufe im jeweiligen Amt. Durch die Interviews wurde erfasst, welches Bild die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor Ort von den Ursachen der Arbeitslosigkeit hatten und wie sie die neuen Regeln, Programme und Leistungsziele interpretierten, die sie umsetzen sollten. Mit diesem qualitativen Ansatz wurde geklärt, wie und ob die neuen Regeln Brücken in Beschäftigung schufen und Prozesse der sozialen Ausgrenzung abmilderten oder auch verschärften.
Zur quantitativen Unterstützung dieser Vorgehensweise wurde ein Vergleich des britischen Labour Force Survey mit dem deutschen Mikrozensus in Bezug auf gemeinsame Fragestellungen aus der Europäischen Arbeitskräftestichprobe durchgeführt. Es wurden die Angaben der Arbeitslosen und der übrigen Arbeitssuchenden unter den Antwortenden hinsichtlich ihres Arbeitssuchverhaltens und ihrer Nutzung unterschiedlicher öffentlicher und privater Arbeitsvermittlungsdienste von 1992 bis 2002 verfolgt.
Externe Projektpartner CESI
Prof. Dan Finn (Projektleiter) Tel.: +44/23/92-842192 E-Mail: Dan.Finn@port.ac.uk
Abena Dadze-Arthur (Bearbeiterin) Tel.: +44/20/7840-0 E-Mail: abena.dadze-arthur@cesi.org.uk
Will Somerville (Bearbeiter) Tel.: +44/20/7840-8348 E-Mail: will.somerville@cesi.org.uk
Externe Veröffentlichungen
Finn, Dan, 2001: The employment service and public private partnerships. In:Joseph, E. / Robinson, P. (eds.): Right up your street: partnerships for localpolicy-making and delivery. London: Inst. of Public Policy Research, pp. 58-80
Publikationen zum Projekt
Czommer, Lars / Knuth, Matthias / Schweer, Oliver, 2005: Job-Center in Deutschland und Großbritannien. In: Heinz Burghardt und Ruth Enggruber: Soziale Dienstleistungen am Arbeitsmarkt: soziale Arbeit zwischen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, S. 155–174
Knuth, Matthias, 2005: Reflexionen zum deutschen Reformpfad vor dem Hintergrund der Erfahrungen westeuropäischer Nachbarn. In: Heinz Burghardt und Ruth Enggruber: Soziale Dienstleistungen am Arbeitsmarkt: soziale Arbeit zwischen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, S. 175–192
Finn, Dan / Knuth, Matthias / Schweer, Oliver / Somerville, Will, 2004: Reinventing the public employment service: the changing role of employment assistance in Britain and Germany. London: Anglo-German Foundation
Knuth, Matthias / Finn, Dan, 2004: Hartz oder Harrods? Reformen der Arbeitsförderung im Vereinigten Königreich. Gelsenkirchen: Inst. Arbeit und Technik. IAT-Report Nr. 2004-04
Knuth, Matthias / Schweer, Oliver, 2004: Jobcentre Plus: Aktivierende Arbeitsförderung in Großbritannien. In: Forum Arbeit H. 1, S. 5-8
Knuth, Matthias / Schweer, Oliver / Siemes, Sabine, 2004: Drei Menüs - und kein Rezept? Dienstleistungen am Arbeitsmarkt in Großbritannien, in den Niederlanden und in Dänemark. Bonn: Friedrich-Ebert-Stiftung Abt. Arbeit und Sozialpolitik. Gesprächskreis Arbeit und Soziales, ISBN: 3-89892-205-7 | Lesen
Knuth, Matthias, 2003: Hartz-Konzept: Auftrag schon vergessen? In: Horizonte. Magazin für sozialdemokratische Politik in Mecklenburg-Vorpommern H. 2, S. 15-17
Knuth, Matthias, 2002: Frühintervention zur Vermeidung von Langzeitarbeitslosigkeit: Anstöße für einen Paradigmenwechsel der Arbeitsförderung. Berlin: BBJ-Verl.. Arbeitsmarktpolitische Schriftenreihe der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen 50, ISBN: 3-930411-29-6
Knuth, Matthias, 2002: Das Orakel der "Dreizehn Module": die Hartz-Vorschläge wollen Arbeitsmarktprobleme von morgen mit industriegesellschaftlichen Leitbildern von gestern lösen. In: Axel Gerntke, Jürgen Klute, Axel Troost und Achim Trube: Hart(z) am Rande der Seriosität? Die Hartz-Kommission als neues Modell der Politikberatung und -gestaltung? Kommentare und Kritiken, S. 117–121