Informationen zum Forschungsprojekt
Personalmanagement - Call Center und Handel
Ziel und Aufgabenstellung
Im Mittelpunkt dieses vom Bundesministerium für Bildung und Forschung(BMBF) geförderten Forschungsprojektes stand die Frage, wie Unternehmenaus den Bereichen Call Center und Handel die besonderen Anforderungen an dasPersonalmanagement bewältigen, die einerseits aus stark schwankenden Kundenfrequenzenund andererseits aus den Besonderheiten der Arbeit an Kundenschnittstellen ("interaktiveDienstleistungsarbeit") resultieren. Dabei sollte u.a. analysiert werden,ob die Erbringung kundenorientierter Dienstleistungen zwingend mit einer starkenFlexibilisierung von Arbeitszeiten einhergeht und in wie weit alternative Konzepteentwickelt werden können bzw. bereits existieren. Weiterhin stellte sichdie Frage, unter welchen Rahmenbedingungen solche Konzepte umsetzbar sind undwelche Auswirkungen sie z.B. auf die Motivation und Arbeitszufriedenheit derBeschäftigten sowie auf die Servicequalität haben.
Vorgehen
Das Projekt wurde in Kooperationmit der Unternehmensberatung B+S in Bonndurchgeführt. Ausgangspunktund Kernelement des Projektes waren umfassende Betriebsfallstudien in 18 CallCentern, in deren Rahmen jeweils mehrere leitfadengestützte Gesprächeauf unterschiedlichen Ebenen (z.B. Management, Personalplanung, Teamleitung,Betriebsrat, Beschäftigte) durchgeführt wurden. Im Einzelhandel, derals Vergleichsfolie für den Call Center-Bereich herangezogen wurde, wurdenFallstudien in vier Unternehmen durchgeführt. Ergänzt wurden dieseInterviews durch die Auswertung von Materialien, die uns die Unternehmen zurVerfügung gestellt haben, sowie eine statistische Erhebung zur Beschäftigtenstrukturin den am Projekt beteiligten Call Centern.
Eine Besonderheit des Projektes bestand darin, dass sich die Call Center amgesamten Projektverlauf intensiv beteiligt haben. Hierzu wurde im Sommer 2000ein Unternehmensarbeitskreis gegründet, in dem wir mit Vertreterinnen undVertretern der am Projekt beteiligten Call Center bei insgesamt sechs TreffenZwischenergebnisse diskutiert und weitere Fragestellungen entwickelt haben.Auf Anregung des Unternehmensarbeitskreis hat unser Projektpartner B+S im Sommer2001 darüber hinaus zwei schriftliche Befragungen auf der Ebene der Teamleiterinnenund -leiter sowie auf der Ebene der Call Center-Agents durchgeführt.
Ergebnisse
Fließbandarbeit am Telefon, schlechter Verdienst und die Anforderung,immer ein "Lächeln in der Stimme" zu haben - so wird die Realitätder Arbeit in Call Centern häufig dargestellt. Unsere Ergebnisse zeigenjedoch, dass die Realität des Personalmanagements in beiden Bereichen sehrviel komplexer und vielschichtiger ist, als dies häufig unterstellt wird.Wir haben in den beteiligten Unternehmen weder die totale Flexibilisierung nochechte Formen einer Arbeitsorganisation vorgefunden, die sehr stark auf die Selbstorganisationdurch die Beschäftigten z.B. in Form teilautonomer Gruppen mit hohen Gestaltungsspielräumenbei Arbeit und Arbeitszeit ausgerichtet ist, sondern unterschiedliche Variantenzwischen diesen beiden Extremen.
Call Center erbringen ganz verschiedene Dienstleistungen, setzen unterschiedlicheSchwerpunkte bei ihrer strategischen Ausrichtung und wenden vielfältigeSysteme bei der Personalplanung und Arbeitszeitgestaltungan. Es gibt weder dastypische Call Center noch den typischen Beschäftigten noch die typischenArbeitsbedingungen, die man verallgemeinern könnte. Vielmehr gilt es, dieUnterschiedlichkeit der Realität stärker in den Blick zu nehmen. Indieser Perspektive wird dann auch deutlich, dass Call Center-Arbeit gestaltbarist und man sich keineswegs mit der pauschalen Feststellung abfinden muss, dasses sich hierbei tendenziell um schlechte Jobs für bestimmte Personengruppenmit einer begrenzten Beschäftigungsperspektive handelt.
Trotz der Vielfalt der Call Center besteht eine zentrale Gemeinsamkeitin fastdurchgängig relativ hohen Arbeitsbelastungen der Beschäftigten, dieaus der starken Konzentration auf die Bearbeitung telefonischer Kundenkontakteresultieren. In der Praxis haben wir zwei Ansätze vorgefunden, um die hohenArbeitsbelastungen zu reduzieren. Relativ weit verbreitet sind Konzepte, dieauf verstärkte Qualifizierung und Motivation der Beschäftigten zielen(z.B. durch einen mitarbeiterorientierten Führungsstil). Die andere Strategiesetzt demgegenüber auf eine Reduzierung der telefongebundenen Arbeitszeitdurch die Integration anderer Aufgaben, was tendenziell eine Rücknahmedes grundlegenden Organisationsprinzip von Call Centern bedeutet. Wenngleichdies bislang nur vereinzelt der Fall ist, stehen die künftigen Chancenfür eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen nicht schlecht: Währendeinfache Dienste zunehmend automatisiert werden, steigen bei den Call Centernmit komplexeren Dienstleistungen die Anforderungen an das Personal und die Kundenerwartungenan die Servicequalität, die ohne qualifizierte und motivierte Beschäftigtekaum zu erfüllen sind.
Publikationen zum Projekt
Bittner, Susanne / Schietinger, Marc / Schroth, Jochen / Weinkopf, Claudia, 2002: Call centres in Germany: employment, training and job design. In: Ursula Holtgrewe, Christian Kerst und Karen Shire: Re-organising service work: call centres in Germany and Britain, pp. 63–85
Bittner, Susanne / Schietinger, Marc / Weinkopf, Claudia / Eberle, Christa (Mitarb.) / Schroth, Jochen (Mitarb.), 2002: Zwischen Kosteneffizienz und Servicequalität: Personalmanagement in Call Centern und im Handel. München: Hampp. Arbeit und Technik 22, ISBN: 3-87988-700-4
Brasse, Claudia / Engelbach, Wolf / Schietinger, Marc / Schmitz, Eva, 2002: AKL-Typologie: ein empirischer Ansatz zur Typologisierung von Call Centern. Dortmund: Selbstverl. der Ges. für Arbeitsschutz und Humanisierungsforschung
Schietinger, Marc, 2002: Personalmanagement in Call Centern: wie wird Personal und Arbeit an der Kundendienstschnittstelle organisiert? In: Edelgard Kutzner und Klaus Kock: Dienstleistung am Draht: Ergebnisse und Perspektiven der Call Center Forschung, S. 157–168 | Lesen
Schietinger, Marc, 2002: Personalmanagement in Call Centern: eine Typologie. Gelsenkirchen: Inst. Arbeit und Technik. Forschungsprojekt FREQUENZ: Personalmanagement - Call Center und Handel: Arbeitspapier Nr. 01/2002
Weinkopf, Claudia, 2002: Fließbandarbeit am Telefon? Call Center oft besser als ihr Ruf. Gelsenkirchen: Inst. Arbeit und Technik. IAT-Report Nr. 2002-08
Weinkopf, Claudia, 2002: Arbeit in Call Centern. In: Wissenschaftszentrum Nordrhein-Westfalen: Das Magazin 13 (2), S. 30
Weinkopf, Claudia, 2002: Fließbandarbeit am Telefon? Call Center besser als ihr Ruf. In: Projektträger "Arbeitsgestaltung und Dienstleistungen": Arbeitsgestaltung in Call Centern: Organisationsentwicklung – Partizipation – Kundenorientierung, S. 12–18
Schietinger, Marc / Schroth, Jochen, 2001: Auswertung der Beschäftigtenstruktur in Call Centern. Gelsenkirchen: Inst. Arbeit und Technik. Forschungsprojekt FREQUENZ: Personalmanagement - Call Center und Handel: Arbeitspapier Nr. 02/2001
Schietinger, Marc / Schroth, Jochen, 2001: Qualifikation und Qualifizierung von Call Center-Agents: erste Ergebnisse aus der Basiserhebung. Gelsenkirchen: Inst. Arbeit und Qualifikation. Forschungsprojekt FREQUENZ: Personalmanagement - Call Center und Handel: Arbeitspapier Nr. 02/2001
Schietinger, Marc / Schroth, Jochen, 2001: Auswertung der Entlohnungssituation in Call Centern. Gelsenkirchen: Inst. Arbeit und Technik. Forschungsprojekt FREQUENZ: Personalmanagement - Call Center und Handel: Arbeitspapier Nr. 03/2001
Schietinger, Marc / Schroth, Jochen, 2001: Auswertung zu Arbeits- und Betriebszeiten in Call Centern. Gelsenkirchen: Inst. Arbeit und Technik. Forschungsprojekt FREQUENZ: Personalmanagement - Call Center und Handel: Arbeitspapier Nr. 04/2001
Bittner, Susanne / Schietinger, Marc / Schroth, Jochen / Weinkopf, Claudia, 2000: Call Center - Entwicklungsstand und Perspektiven. Gelsenkirchen: Inst. Arbeit und Technik. Projektbericht des Instituts Arbeit und Technik Nr. 01/2000
Bittner, Susanne / Schietinger, Marc / Schroth, Jochen / Weinkopf, Claudia, 2000: Call Center: neue Taylorisierung oder innovative Dienstleistungsorganisation? In: Institut Arbeit und Technik: Jahrbuch 1999/2000, S. 46–60
Lehndorff, Steffen, 1999: Improvisation statt Personalplanung. In: Mitbestimmung 45 (3), S. 33-34
Weinkopf, Claudia, 1998: Möglichkeiten zur Beschäftigungsförderung im Dienstleistungssektor: das Beispiel haushaltsbezogener Dienstleistungen. In: Gerhard Bosch: Zukunft der Erwerbsarbeit: Strategien für Arbeit und Umwelt, S. 458–482