Informationen zum Forschungsprojekt
Pilotstudie zur Entwicklung von Arbeitsgemeinschaften in JobCentern
Ziel und Aufgabenstellung
Mit dem Vierten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (HartzIV) wurden Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe zu einer neuen Leistung ArbeitslosengeldII zusammengeführt und sollten Job-Center als einheitliche Anlaufstellefür alle arbeitslosen Erwerbsfähigen eingerichtet werden. Im Laufedes monatelangen politischen Tauziehens um die endgültige Ausgestaltungdes Gesetzes verlagerte sich jedoch seit Ende 2003 der Schwerpunkt der institutionellenDiskussionen weg von den Job-Centern hin zu den so genannten Arbeitsgemeinschaften(ARGEn). Dabei handelt es sich quasi um Joint Venture von örtlicher Agenturfür Arbeit und Kommune bzw. Landkreis "in" den Job-Centern zurfachlichen und organisatorischen Umsetzung des SGB II. Parallel hatte die Bundesagenturfür Arbeit den Aspekt der Modernisierung ihrer Dienstleistungsorganisationin zehn Modellversuchen unter dem weniger vorbelasteten und gesetzlich nichtdefinierten Begriff "Kundenzentrum" vorangetrieben. Im Kern geht eshierbei um die Einführung eines Kundenstrommanagements, das eine ungestörteund zielgerichtete Kommunikation zwischen den Sachbearbeitern und den Arbeit-bzw. Ratsuchenden ermöglichen soll. Die positiven Ergebnisse der erstenWelle führten dazu, dass in 2004 21 weitere Agenturen für Arbeit aufdas Prinzip "Kundenzentrum" umgestellt wurden. Daraus ergibt sichnun die Formel "Job-Center = Kundenzentrum plus Arbeitsgemeinschaft",wobei es jeweils von der Vereinbarung zwischen Arbeitsagentur und kommunalenTrägern abhängt, welche Dienstleistungen in welcher Qualitätin die Job-Center integriert werden.
Vor diesem Hintergrund wurden im Rahmen des von der Hans-Böckler-Stiftunggeförderten Pilotprojektes erste Erfahrungen in Bezug auf die Vorbereitungund Umsetzung von ARGEn erhoben und analysiert. Im Mittelpunkt der Untersuchungstanden dabei mögliche Formen der Organisation, Auswirkungen auf die Arbeitsbedingungenund Beschäftigungsperspektiven des Personals, den angebotenen Dienst- undBetreuungsleistungen (insb. der aktiven Arbeitsförderung) sowie die Steuerungder ARGEn.
Die wichtigsten Ergebnisse unserer Untersuchung lassen sich wie folgt zusammenfassen:
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Die untersuchten ARGE-Fallstudien sind - im übrigen genauso wie alleanderen derzeit bestehenden ARGEn in Deutschland - in mehrfacher HinsichtProvisorien: sie müssen mit Rechtsunsicherheiten arbeitsrechtlicherund personalvertretungsrechtlicher Natur leben, die der Gesetzgeber kaumwird ausräumen können. Es gibt bundesweit einen bunten Teppichunterschiedlicher Rechtsformen, von denen die öffentlich-rechtliche"sui generis" am häufigsten gewählt wurde.
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Keine der drei ARGEn hatte zum Zeitpunkt der Befragung ihre personelleSollstärkeerreicht. Teilweise befanden sich die Beschäftigtenweder in einer gemeinsamen Arbeitsorganisation noch in einem gemeinsamenGebäude. Die ARGEn verfügen i. d. R. über kein eigenes, sondernnur über von den Partnern entsandtes Personal. Offen blieb, inwieweitzukünftige Arbeitsplatzwechsel freiwillig erfolgen würden undwie die Rekrutierung neuen, zumal externen Personals ausgestaltet werdenwürde. Offen blieb auch, wie das entsandte Personal bei teilweise odervölligem Scheitern der ARGEn in die Arbeitorganisation der entsendendenDienststellen reintegriert werden sollte.
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Während der Feldphase wurde deutlich, dass für den Bereich desFallmanagementsund des Persönlichen Ansprechpartners (PAP)noch keine einheitlichen Richtlinien bestanden. Die Herausbildung einesprofessionellen Fallmanagements war in der kommunalen "Hilfe zur Arbeit"eine bedeutsame Triebkraft zur Kooperation von Arbeits und Sozialämtern.Fallmanagement versprach eine nachhaltig wirksame Hilfe für beschäftigungsferneKundengruppen. Entsprechende Hoffnungen wurden genährt durch die zentraleBedeutung des Fallmanagements im Konzept der Hartz-Kommission und in derGesetzesbegründung zum Vierten Gesetz für Moderne Dienstleistungenam Arbeitsmarkt. Im Gesetz selbst findet sich dagegen statt des Begriffsdes Fallmanagers nur der "Persönliche Ansprechpartner" fürjeden Arbeitslosen. Aus diesem Grunde stießen die Kommunen bei denARGE-Verhandlungen auf große Schwierigkeiten, die Rolle, organisatorischeAusgestaltung und personelle Besetzung des Fallmanagement mit den Arbeitsagenturenverbindlich zu klären.
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Gesteuertwerden alle ARGEn über eine Geschäftsführungnebst Stellvertretung, eine Gesellschafterversammlung/ einen Lenkungsausschussund einen Beirat. Dort, wo eine GmbH gegründet wurde, gibt es zusätzlichnoch einen Aufsichtrat. Inwieweit die Sozialpartner über die BeiräteGestaltungsmöglichkeiten im Rahmen einer lokalen Arbeitsmarktpolitikfür SGB II-Kunden haben werden, konnte in der Feldphase noch nichtermittelt werden und wird sich erst im Laufe der Zeit zeigen. Von Bedeutungwar in jedem Fall die Definition der Position des ersten Geschäftsführersder jeweiligen ARGE. In allen drei Fällen war das Gestaltungsvermögen,die Machtfülle und die Bestellung des ersten GeschäftsführersDiskussions- und Aushandlungsgegenstand.
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Zum Abschluss der Feldphase zeigte sich in allen drei Fallstudien deutlich,dass die pünktliche Auszahlung von Arbeitslosengeld II zum 1.1.2005höchste Priorität genoss, wodurch die Gestaltung von Maßnahmenaktiver Arbeitsförderungin den Hintergrund geriet. Diese würdenim Laufe des Jahres 2005 erst mit zeitlichem Verzug wieder verstärktumgesetzt werden. Von großer Wichtigkeit in der aktiven Arbeitsförderungwerden in jedem Fallstudienbezirk gemeinnützige Arbeitsgelegenheitenmit Mehraufwandsentschädigung in Höhe von 1 bis 2 Euro pro Stundespielen, die insbesondere in einer Fallstudie auf starke Nachfrage der Arbeitssuchendenstießen. Von Bedeutung wird sein, inwieweit beim Einsatz dieses Instrumentsin Zukunft auf Dauer Qualitätsansprüchen und individuellen Wünschengerecht werden kann.
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Besondere Dienstleistungender Kommunen u.a. im psycho-sozialenBereich waren keine eigenen Angebote der ARGEn, sondern wurden von Drittenerbracht, an die sie teilweise schon in der Vergangenheit ausgelagert wurden.Teilweise wurden diese Dienstleistungen jedoch auch bei den Agenturen fürArbeit (z.B. medizinischer Dienst) oder den Kommunen eingekauft.
Vorgehen
Grundlage des Projektes waren telefonische Befragungen von 25 Arbeitsagenturensowie Fallstudien bei drei Arbeitsgemeinschaften im Prozess ihrer Gründung.Aus einem früheren, von der Deutsch-Britischen Stiftung gefördertenProjekt über Job-Center in den beiden Ländern konnten Informationenüber die Zusammenarbeit von Arbeits und Sozialämtern "vor Hartz"vergleichend genutzt werden.
Die Fallstudien der in Gründung befindlichen ARGEn repräsentierten4 der 5 Hauptstrategietypen der Klassifikation von Bezirken der Bundesagenturfür Arbeit. In der regionalen Verteilung handelte es sich dabei um einengroßstädtisch und einen mittelstädtisch geprägten Bezirkin Westdeutschland, einen mittelstädtisch geprägten Bezirk in Ostdeutschlandund einen ländlich geprägten Bezirk mit einem Landkreis im ehemaligenZonenrandgebiet. In allen Fallstudien lagen unterschiedliche Erfahrungen inder Organisation kommunaler Arbeitsförderung vor. Um die bisherigen Erfahrungenin der Kooperation sowie hinsichtlich Betrieb und Aufbau einer ARGE und zu denKonsequenzen für die Beschäftigten zu erheben, wurden Expertengesprächemit den Verantwortlichen von Agentur für Arbeit und Kommune bzw. Landkreisund mit den jeweiligen Personalvertretungen geführt.
Die Pilotstudie wurde in enger Kooperation mit der Gewerkschaft ver.di durchgeführt.Am 9. Dezember 2004 fand in Kassel ein Abschlussworkshop statt, der zusammenmit der Hans-Böckler-Stiftung konzipiert worden war.
Publikationen zum Projekt
Czommer, Lars / Knuth, Matthias / Schweer, Oliver, 2005: Job-Center in Deutschland und Großbritannien. In: Heinz Burghardt und Ruth Enggruber: Soziale Dienstleistungen am Arbeitsmarkt: soziale Arbeit zwischen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, S. 155–174
Czommer, Lars / Knuth, Matthias / Schweer, Oliver, 2005: ARGE - moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt: eine Baustelle der Bundesrepublik Deutschland. Düsseldorf: Hans-Böckler-Stiftung. Arbeitspapier 104 | Lesen
Czommer, Lars / Schweer, Oliver, 2005: Moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt in ARGEn – oder im Argen? In: Institut Arbeit und Technik: Jahrbuch 2005, S. 117–132
Knuth, Matthias, 2005: Reflexionen zum deutschen Reformpfad vor dem Hintergrund der Erfahrungen westeuropäischer Nachbarn. In: Heinz Burghardt und Ruth Enggruber: Soziale Dienstleistungen am Arbeitsmarkt: soziale Arbeit zwischen Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik, S. 175–192
Knuth, Matthias / Finn, Dan, 2004: Hartz oder Harrods? Reformen der Arbeitsförderung im Vereinigten Königreich. Gelsenkirchen: Inst. Arbeit und Technik. IAT-Report Nr. 2004-04
Knuth, Matthias / Schweer, Oliver, 2004: Jobcentre Plus: Aktivierende Arbeitsförderung in Großbritannien. In: Forum Arbeit H. 1, S. 5-8
Czommer, Lars / Weinkopf, Claudia, 2002: Modellprojekte zur Erprobung des § 18 Absatz 5 BSHG in Nordrhein-Westfalen. In: Sabine Dann, Andrea Kirchmann, Alexander Spermann und Jürgen Volkert: Kombi-Einkommen – ein Weg aus der Sozialhilfe?, S. 87–105
Knuth, Matthias, 2002: Frühintervention zur Vermeidung von Langzeitarbeitslosigkeit: Anstöße für einen Paradigmenwechsel der Arbeitsförderung. Berlin: BBJ-Verl.. Arbeitsmarktpolitische Schriftenreihe der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Arbeit und Frauen 50, ISBN: 3-930411-29-6
Knuth, Matthias, 2002: Wie modern ist die bundesdeutsche Arbeitsmarktpolitik? Reformbedarf des SGB III und aktuelle Reformansätze. In: Europäischer Sozialfonds: Innovative Ansätze mit dem Europäischen Sozialfonds in den ostdeutschen Bundesländern. Dokumentation der ESF-Jahrestagung 2001 am 15. November 2001, S. 26–43