Informationen zum Forschungsprojekt
Arbeitsmarkt und Einkommen in Deutschland
Ziel und Aufgabenstellung
Bis zur Wiedervereinigung war Deutschland für seine im internationalen Vergleich geringe Differenzierung von individuellen Löhnen und Haushaltseinkommen bekannt. Die Entlohnung wurde von starken Sozialpartnern auf der Branchenebene geregelt. Die wenigen Unternehmen, die nicht an Tarifverträge gebunden waren, nahmen diese meistens als Referenzrahmen. Wegen der Dominanz des Normalarbeitsverhältnisses und der starken vertikalen Integration von Wertschöpfungsketten konnten auch Beschäftigte mit geringer Verhandlungsmacht vom Tarifvertragssystem profitieren. Nach der Wiedervereinigung wurden die Wachstumsschwäche der deutschen Wirtschaft und die Lasten der Wiedervereinigung uminterpretiert als Folgen zu geringer Einkommensdifferenzierung und zu großzügiger Sozialleistungen. Dieser Paradigmenwechsel führte zusammen mit hoher Arbeitslosigkeit und der Verfügbarkeit billiger Arbeitskräfte durch die Öffnung von Grenzen innerhalb Deutschlands und in Europa zu einer grundlegenden Änderung der Machtverhältnisse im deutschen Arbeitsmarkt (Bosch/Kalina 2017).
Als Folge nahm die Ungleichheit sowohl der individuellen Löhne als auch der Haushaltseinkommen vor und nach staatlicher Umverteilung zu. Anders als in den angelsächsischen Ländern sind die Gewerkschaften in Kernbereichen der Wirtschaft aber immer noch stark, so dass Deutschland als Beispiel eines dualisierten Arbeitsmarktes gilt. Wir sehen die Erklärung für die zunehmende Ungleichheit der Haushaltseinkommen in der Differenzierung von Löhnen und Arbeitszeiten sowie in Strukturveränderungen des Arbeitsmarktes. So gibt es in Deutschland ein Überangebot an gering Qualifizierten und die Ausweitung der Beschäftigung von Frauen war in der Vergangenheit stark mit der Zunahme schlecht entlohnter Minijobs verbunden. Die Deregulierung von Leiharbeit und Minijobs trug zur Ausweitung des Niedriglohnsektors bei. Unternehmen lagerten zunehmend Dienstleistungstätigkeiten wie Reinigung, Catering, Call-Center u.a. aus, wodurch viele gut entlohnte Tätigkeiten in Großunternehmen des Verarbeitenden Gewerbes wegfielen und sich der Bereich schlecht entlohnter Dienstleistungstätigkeiten ausweitete.
Ziel des Projektes ist es, diesen Wandel im Arbeitsmarkt und die damit verbundenen Änderungen bei individuellen Löhnen und Einkommen zu untersuchen.
Vorgehen
In dem Projekt werden die bisherigen Forschungsarbeiten zu Niedrig- und Mindestlöhnen, gering Qualifizierten, der Erwerbstätigkeit Älterer, individuellen Löhnen und Haushaltseinkommen sowie Arbeitszeiten fortgeführt und vertieft. Ebenso werden neue Themen wie die Digitalisierung der Erwerbsarbeit oder die Hybridisierung von Arbeit behandelt. Dabei stehen die folgenden Aspekte im Fokus:
- Entwicklung von Individueller Entlohnung und Einkommen auf der Haushaltsebene. Ungleichheit von Löhnen und Einkommen. Umfang der einkommensbasierten Mittelschicht vor und nach staatlicher Umverteilung im Zeitverlauf.
- Beschäftigungsperspektiven gering Qualifizierter und Entwicklung der Beschäftigung in einfachen Tätigkeiten
- Einkommen und Löhne in Ost- und Westdeutschland. Lohn- und Gehaltskonvergenz zwischen Ost- und Westdeutschland.
- Änderung von tatsächlichen und vertraglichen Arbeitszeiten im Zeitverlauf. Wie passen die Arbeitszeitwünsche der Beschäftigten mit ihren tatsächlichen Arbeitszeiten zusammen?
- Wirkung des allgemeinen gesetzlichen Mindestlohs sowie branchenspezifischer Mindestlöhne auf die Entlohnung und Beschäftigung.
- Entwicklung der Niedriglohnbeschäftigung in Deutschland
- Zusammenhang zwischen der Einführung oder Änderung eines Mindestlohns und dem Gender Pay Gap
- Erwerbsbeteiligung und Erwerbsformen Älterer beim Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand
- Kombination von abhängiger und selbständiger Tätigkeit nebeneinander oder in wechselnden Erwerbsphasen im Lebensverlauf (Hybridisierung von Erwerbsarbeit)
- Auswirkungen der Digitalisierung von Erwerbsarbeit. Sind vor allem Beschäftigte mittleren Qualifikationsniveaus von Digitalisierung betroffen und kommt es hierdurch zu einer Polarisierung der Qualifikationsstruktur oder fallen vor allem einfache Tätigkeiten weg? Welche Unterschiede zeigen sich nach Branchen.
- Wie sind Männer und Frauen von der Digitalisierung der Erwerbsarbeit betroffen? Wie hängt eine möglicherweise unterschiedliche Betroffenheit mit Branchenzugehörigkeit, Tätigkeitsmerkmalen, Qualifikationsniveau oder Erwerbs- und Arbeitszeitformen zusammen?
Bei allen Auswertungen ist für uns eine Differenzierung der Analysen nach individuellen Personenmerkmalen wie Qualifikation, Alter, Geschlecht, Arbeitszeitform oder Beruf sowie nach Unternehmensmerkmalen wie Branche und Betriebsgröße relevant, um Zusammenhänge zwischen Strukturveränderungen des Arbeitsmarktes und Verschiebungen im Lohn- und Einkommensgefüge erklären zu können.
Methoden
Zunächst werden die genannten Themen und Fragen auf der Basis von Literaturauswertungen konkretisiert. Daran schließen sich Auswertungen mit Datensätzen wie dem Sozio-ökonomischen Panel des DIW und ggf. weiterer Datensätze an.
Das Projekt basiert auf einem Mix unterschiedlicher Methoden. Neben theoretische Analysen und Literaturauswertungen zu Veränderungen des Arbeitsmarktes sind eigene deskriptive Auswertungen sowie lineare und logistische Regressionsanalyen vorgesehen. Diese erfolgen sowohl im Querschnitt als auch unter Nutzung der Panelstruktur von Datensätzen wie dem Sozio-ökonomischen Panel.
Publikationen zum Projekt
Bosch, Gerhard / Kalina, Thorsten, 2017: Wachsende Ungleichheit in der Prosperität. Einkommensentwicklung 1984 bis 2015 in Deutschland. Duisburg: Inst. Arbeit und Qualifikation. IAQ-Forschung 2017-03 | DOI-Link| Info | Lesen
Bosch, Gerhard / Kalina, Thorsten, 2016: Einkommensentstehung als Verteilungsfaktor. Wachsende Ungleichheit in der Primärverteilung gefährdet Mittelschicht. In: Wirtschaftsdienst 96 (13), Sonderheft 2016 "Einkommens- und Vermögensungleichheit in einem wohlhabenden Staat", S. 24-31 | Lesen
Kalina, Thorsten / Weinkopf, Claudia, 2016: Arbeitsmarktchancen von gering Qualifizierten. Duisburg: Inst. Arbeit und Qualifikation. IAQ-Report 2016-03 | DOI-Link| Info | Lesen
Kalina, Thorsten / Weinkopf, Claudia, 2015: Niedriglohnbeschäftigung 2013: Stagnation auf hohem Niveau. Duisburg: Inst. Arbeit und Qualifikation. IAQ-Report 2015-03 | DOI-Link| Info | Lesen