Informationen zum Forschungsprojekt
Arbeit 4.0 – Arbeiten in und an der Industrie der Zukunft
Hintergrund und Zielsetzung
Das von der Hans-Böckler-Stiftung finanzierte Forschungsprojekt „Arbeit 4.0“ hatte zwei Ausgangspunkte. Den ersten Ausgangspunkt bildete die Debatte um die „Industrie 4.0. Industrie 4.0 war zwar zunächst wenig mehr als eine Vision und ein Leitbild für die Zukunft industrieller Produktion, die auf digitaler Vernetzung und der Entwicklung Cyber-Physischer-Systeme beruht. Doch die Vision des „neuen Maschinenzeitalters“ wurde untermalt mit Prognosen und Szenarien radikaler Beschäftigungsrückgänge, neuer Tätigkeits-, Qualifikations- und Flexibilitätsanforderungen oder auch digitaler Kontrollpotenziale der Arbeit. Damit wurde die Industrie 4.0 zu einem zentralen Thema auch der industriesoziologischen Debatte. Der zweite Ausgangspunkt waren neue Aktivitäten und Projekte der gewerkschaftlichen Interessenvertretungen zur Gestaltung der Digitalisierung, die parallel dazu entwickelt wurden. Für die Gewerkschaften stand und steht viel auf dem Spiel: die prognostizierten Beschäftigtenrückgänge bedrohten die Zukunft der Industriearbeit grundlegend, und die Industrie 4.0 schien an den Grundfesten der Produktionsfacharbeit zu rütteln, die nach wie vor das Herzstück der gewerkschaftlichen Organisationsmacht in den Industriebranchen bildet. Mit dem Projekt „Arbeit 2020 in NRW“ starteten die drei Industriegewerkschaften IG Metall, IG BCE und NGG ein gewerkschaftliches Projekt, das darauf abzielte, die technologischen Wandlungsprozesse nicht zu verhindern, sondern aktiv zu gestalten.
Das Forschungsprojekt „Arbeiten 4.0“ zielte darauf ab, das gewerkschaftliche Gestaltungsprojekt wissenschaftlich zu begleiten. Dazu wurde ein abteilungsübergreifendes Team mit Prof. Dr. Gerhard Bosch, Prof. Dr. Thomas Haipeter, Dr. Tabea Bromberg (die uns leider vor Ende der Projektlaufzeit verließ), Jutta Schmitz und Anne-Christin Spallek eingerichtet. Dieses Team verfolgte im Forschungsprozess drei übergeordnete Ziele: Die Auswertung der Informationen über den Stand der Digitalisierung, die Analyse und Bewertung der Instrumente des Projekts „Arbeit 2020“ wie die Projektworkshops, die Erstellung einer Betriebslandkarte und schließlich die Aushandlung von Zukunftsvereinbarungen mit den Unternehmensleitungen und drittens schließlich die Untersuchung der Auswirkungen des Projekts auf die Mitbestimmungspraxis der Betriebsräte.
Untersuchungsmethoden
Diese Fragen wurden mit einem neuartigen Feldzugang angegangen, in dessen Zentrum die Prozessbegleitung des Projekts stand. Auf diese Weise wurden 19 der rund 30 Fälle der ersten Projektphase von „Arbeit 2020“ – zur Zeit des Auslaufens unseres Projekts schloss sich dann noch eine zweite Phase an – erfasst. Die Form dieser Begleitung beruhte auf beobachtender Teilnahme resp. teilnehmender Beobachtung: Die Wissenschaftler waren zum einen Beobachter und Protokollanten der Prozesse und hielten Ablauf und Ergebnisse schriftlich fest; sie intervenierten zum anderen aber auch mit eigenen Fragen und eigenen Ideen und waren in dieser Rolle Teil des aktiven Beratungs- und Unterstützungsteams. Die teilnehmende Beobachtung wurde zudem um Expert_inneninterviews mit Betriebsräten, gewerkschaftlichen Projektsekretär_innen und Berater_innen ergänzt.
Ergebnisse
Die Befunde lassen sich entlang der angeführten Fragestellungen in drei Ergebnisclustern bündeln. Die in den Beratungsworkshops gesammelten Informationen zur Verbreitung der Digitalisierung legen nahe, die Digitalisierung in den Untersuchungsbetrieben als einen evolutionären Prozess zu deuten. Evolutionär heißt, dass neue Technologien an alten Technologiepfaden andocken, dass technologische Neuerungen schrittweise erfolgen und dass es in den Betrieben zumeist keine übergeordnete Digitalisierungsstrategie gibt, die Digitalisierung oder Industrie 4.0 als technologische Zielvision ausgeflaggt hätte. Anders ist dies bei der Ausstattung der Betriebe mit neuer Steuerungssoftware, der sogenannten ERP-Systeme. Diese Systeme sind in den Betrieben auf breiter Front eingeführt worden und mit ihnen verbunden viele neue – oder auch alte und daran angepasste – Systeme beispielsweise der Produktionsplanung oder der Konstruktion und Entwicklung.
Die Erhebung dieser Daten war zugleich der entscheidende Schritt auf dem Weg zur Betriebslandkarte, einem der zentralen Instrumente des gewerkschaftlichen Projekts „Arbeit 2020“. Die Betriebslandkarten sind ein grafisches Instrument, mit dessen Hilfe die Daten zur Entwicklung der Digitalisierung und der Arbeitsbedingungen entlang der jeweiligen Abteilungen oder Funktionsbereiche der Betriebe geordnet und grafisch aufbereitet werden können. Die Betriebslandkarte ist aber mehr als ein Informationsinstrument, sie ist zugleich auch Dialoginstrument für die Erhebung und die Verwendung der Daten. In den betrieblichen Zukunftsvereinbarungen wurden erweiterte Gestaltungsmöglichkeiten für die Betriebsräte mit den Unternehmensleitungen vereinbart. Im Ergebnis konnten bis zum Abschluss unseres Forschungsprojekts sieben Zukunftsvereinbarungen ausgehandelt werden, in denen vor allem Mitbestimmungsprozesse wie paritätisch besetzten Kommissionen geregelt werden. Die Zukunftsvereinbarungen formulieren damit einen über das Projekt „Arbeit 2020“ hinausgehenden Handlungsauftrag an die Betriebsräte.
Das Projekt „Arbeit 2020“ hat neue Impulse für die Mitbestimmung der Betriebsräte erzeugt. Für nicht wenige Gremien gab das Projekt den Anstoß, sich erstmals in ganztätigen Workshops mit der Entwicklung ihrer Betriebe auseinanderzusetzen und ihre Erfahrungen intensiv auszutauschen. Dabei haben die Gremien dann auch teilweise professionellere Strukturen entwickelt und ihre interne Arbeitsteilung mit Ausschüssen neu geordnet. Zweitens bedeuteten die im Projekt angelegten Beteiligungsprozesse für viele Betriebsräte Neuland. In zwei der Untersuchungsbetriebe wurde das Beteiligungsangebot auch erweitert durch Befragungen und Abteilungsversammlungen, die strategisch dazu genutzt wurden, Themen zu identifizieren und die Legitimation des Interessenvertretungshandelns zu stärken; in einem dritten Fall wurde von Beginn an der gewerkschaftliche Vertrauensleutekörper in das Projekt einbezogen. Insgesamt konnten damit die Betriebsräte ihr Kompetenzniveau deutlich steigern und, dort wo es zu Verhandlungen kam, mit den Unternehmensleitungen auf Augenhöhe verhandeln, und das zu einem Thema, von dem die meisten Betriebsräte vor dem Projekt nur ungefähre Eindrücke hatten.
Das Projekt „Arbeit 2020“ erschloss den Betriebsräten neue Ressourcen und Machtquellen, es stärkte ihre Legitimation, und es schärfte ihre Deutungen zu arbeitspolitischen Problemlagen. Es verbindet damit gewerkschaftliche Betriebs- und Industriepolitik und zeigt, dass die Zusammenarbeit von Betriebsräten und Gewerkschaften in den Betrieben immer wichtiger wird. Dies gilt vor allem für die kleineren Betrieben, deren Betriebsräte zumeist ein erhebliches Kompetenzgefälle im Vergleich zu den Betriebsräten der Großbetriebe aufweisen.
Publikationen zum Projekt
Haipeter, Thomas, 2020: Digitalisation, unions and participation: the German case of 'industry 4.0'. In: Industrial Relations Journal 51 (3), pp. 242-260 | DOI-Link
Bosch, Gerhard, 2018: Die Debatte um Industrie 4.0 und Arbeit 4.0 in Deutschland. In: Simon Fietze, Doris Holtmann und Florian Schramm: Zwischen Provinzen und Metropolen: Stationen einer sozioökonomischen Reise. Festschrift für Wenzel Matiaske, S. 233–241
Bosch, Gerhard, 2018: Zukunft der Arbeit – Industrie 4.0 – eine Herausforderung? In: Deutschland & Europa H. 76, S. 48–52 | Lesen
Haipeter, Thomas, 2018: Digitalisierung, Mitbestimmung und Beteiligung – auf dem Weg zur Mitbestimmung 4.0? In: Hartmut Hirsch-Kreinsen, Peter Ittermann und Jonathan Niehaus: Digitalisierung industrieller Arbeit: die Version Industrie 4.0 und ihre sozialen Herausforderungen. 2., aktual. und erw. Aufl., S. 303–321
Haipeter, Thomas / Korflür, Inger / Schilling, Gabi, 2018: Neue Koordinaten für eine proaktive Betriebspolitik. Erfahrungen aus dem Gewerkschaftsprojekt „Arbeit 2020 in NRW“. In: WSI-Mitteilungen 71 (3), S. 219–226| Info
Bosch, Gerhard / Bromberg, Tabea / Haipeter, Thomas / Schmitz, Jutta, 2017: Industrie und Arbeit 4.0. Befunde zu Digitalisierung und Mitbestimmung im Industriesektor auf Grundlage des Projekts „Arbeit 2020“. Duisburg: Inst. Arbeit und Qualifikation. IAQ-Report 2017-04 | DOI-Link| Info | Lesen
Vorträge zum Projekt
Prof. Dr. Gerhard Bosch, Prof. Dr. Thomas Haipeter, Dr. Jutta Schmitz-Kießler, Anne-Christin Spallek: Neue Mitbestimmungspraktiken in der digitalen Transformation der „Industrie 4.0“. Befunde aus dem gewerkschaftlichen Projekt Arbeit 2020 in NRW. Autorenkonferenz „Industrielle Beziehungen“, Universität Hamburg, 13.12.2018
Dr. Jutta Schmitz-Kießler: Beschäftigungsentwicklung 4.0 - (potenzielle) Auswirkungen der Digitalisierung? "Arbeit 4.0 - Qualifizierungsreihe für Betriebsräte", DGB Bildungswerk NRW / Arbeit 2020, Ascheberg, 10.07.2018 Weitere Informationen
Anne-Christin Spallek: Was macht Arbeit 4.0 mit den Beschäftigten. Arbeit 4.0 - Wie die Digitalisierung unsere Arbeitswelt verändert. Friedrich-Ebert-Stiftung, Kamen, 08.06.2018
Dr. Jutta Schmitz-Kießler: Digitalisierung: Stand und Herausforderungen für die Arbeit der Zukunft. Verdi Bezirk Münster, Organwahlen Fachbereich Finanzdienstleistungen, Münster, 18.04.2018
Dr. Jutta Schmitz-Kießler: Arbeit 4.0 zum Thema machen: Betriebliche Mitbestimmung gestalten. Digitalisierung und Arbeit 4.0 - Auswirkungen auf die betriebliche Mitbestimmung. Münster, DGB Bildungswerk NRW, 21.02.2018 Weitere Informationen
Dr. Tabea Bromberg: Was macht Arbeit 4.0 mit den Beschäftigten? Arbeit 4.0 - Wie die Digitalisierung unsere Arbeitswelt verändert. Friedrich-Ebert-Stiftung, Goch, 28.01.2018
Dr. Jutta Schmitz-Kießler: Chancen und Risiken der Digitalisierung für Frauen. Sitzung des Facharbeitskreis Gleichstellung der Region NiederRhein. Wesel, Regionalagentur Niederrhein, 12.12.2017
Dr. Jutta Schmitz-Kießler: Die "Her-Story" - Arbeit 4.0 und die Frauen. KFD-Jahrestagung des ständigen Ausschusses Frauen und Erwerbsarbeit. Mainz, Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands, 25.11.2017
Dr. Tabea Bromberg: Arbeit 4.0. Im Dialog: Arbeit und Gesellschaft 4.0 - Wie gelingen die Herausforderungen der Digitalisierung?. Unna, Volkshochschule Unna Fröndenberg Holzwickede, 24.11.2017
Dr. Jutta Schmitz-Kießler: Arbeit 4.0 - Hintergrund, Entwicklungen, Fragen. KFD-Jahrestagung des ständigen Ausschusses Frauen und Erwerbsarbeit. Mainz, Katholische Frauengemeinschaft Deutschlands, 24.11.2017
Dr. Tabea Bromberg: Industrie und Arbeit 4.0. Befunde zu Digitalisierung und Mitbestimmung im Industriesektor. Zukunftsprojekt Arbeitswelt 4.0. Stuttgart, Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Wohnungsbau Baden-Württemberg, 04.10.2017
Dr. Tabea Bromberg: Zwischenstand im Projekt Arbeit 4.0. Dialogkreis Moderne Betriebsratsarbeit. Düsseldorf, Hans-Böckler-Stiftung, 28.09.2017
Dr. Tabea Bromberg: Was macht Arbeit 4.0 mit den Beschäftigten? Arbeit 4.0 - Wie die Digitalisierung unsere Arbeitswelt verändert. Goch, Friedrich Ebert Stiftung Landesbüro NRW, 01.09.2017
Dr. Tabea Bromberg: Arbeit der Zukunft gestalten. Arbeit der Zukunft mitgestalten. Herausforderungen für die Betriebs- und Personalrätearbeit. Gelsenkirchen, DGB-Region Emscher-Lippe, 23.06.2017
Dr. Jutta Schmitz-Kießler: Digitalisierung und Arbeit 4.0 - Auswirkungen auf die Dienstleistungsbranche? Ver.Di Müsnter After-Work Reihe. Münster, Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft Bezirk Münsterland, 17.05.2017
Dr. Tabea Bromberg: Zukunft der Industriearbeit - Alte Wahrheiten, neue Herausforderungen. Workshop "Neue" Arbeitszeitdebatte. Hannover, Hamburg, NGG, 16.02.2017
Dr. Tabea Bromberg, Prof. Dr. Thomas Haipeter: Arbeit 4.0: Chancen stärken – Risiken minimieren . Schaufenster – Arbeit 2020 in NRW. Lüdenscheid, Düsseldorf, IG Metall, 17.01.2017
Dr. Tabea Bromberg: Arbeit 4.0. Jobcenter 2025 - Arbeitsmarkt 4.0. Hannover, gfa publik, Berlin, 14.09.2016
Dr. Jutta Schmitz-Kießler: Arbeit 4.0. Arbeitsmarktkonferenz 2016. Münster, Stadt Münster/Jobcenter Münster, 08.09.2016