Informationen zum Forschungsprojekt
Individuelle Einkommensverläufe unter besonderer Berücksichtigung gesundheitlicher Veränderungen in der späten Erwerbsphase
Projektziel
Das übergreifende Untersuchungsziel ist, die Auswirkungen eines sich verändernden Gesundheitszustandes auf die Entwicklung des individuellen Erwerbseinkommens sowie den Erwerbsstatus in der späten Erwerbsphase zu untersuchen. Nachdem die gesetzlichen Möglichkeiten für einen vorzeitigen Übergang vom Erwerbsleben in den Ruhestand als Antwort auf den demografischen Wandel seit Mitte der 1990er Jahre schrittweise abgeschafft wurden, erweisen sich gesundheitliche Einschränkungen als die entscheidende Ursache für einen vorzeitigen Erwerbsausstieg von älteren Beschäftigten. Denn während gesundheitlich eingeschränkte Personen vor 2001 aufgrund eines umfassenden Berufsschutzes und relativ niedriger Anspruchsvoraussetzungen aus dem Erwerbsleben in eine vorzeitige Berufs- bzw. Erwerbsminderungsrente wechseln konnten, ist dieser institutionelle Weg seit Einführung der Erwerbsminderungsrente, bei der nur noch die Befähigung, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein zu können die Entscheidungsgrundlage darstellt, für einen nennenswerten Teil der gesundheitlich beeinträchtigten Individuen weitgehend verschlossen. Stattdessen müssen sie den Umfang ihrer Erwerbstätigkeit reduzieren, ihren Beruf wechseln oder ihre Erwerbstätigkeit ohne finanzielle Kompensation durch eine Erwerbsminderungsrente ganz beenden. Dies ist aus mindestens zwei Gründen problematisch. Zum einen wird die individuelle Altersvorsorge der Betroffenen bedroht, da sie nicht wie bisher aufgebaut werden kann oder unter Umständen schon vorzeitig in Anspruch genommen werden muss. Zum anderen resultieren aus dieser Gemengelage subjektiv empfundene Bedrohungen für die jüngeren Beschäftigten in Hinblick auf ein gelingendes Arbeitsleben.
Forschungsfragen
Der Fokus des Projektes liegt zunächst auf den Folgen einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes für die individuelle Erwerbsteilhabe und das realisierte Erwerbseinkommen in der späten Erwerbsphase. Konkret wird gefragt, inwieweit eine Verschlechterung des individuellen Gesundheitszustandes in der späten Erwerbsphase zu Veränderungen beim realisierten Erwerbseinkommen führt (Forschungsfrage 1). Aufgrund des Längsschnittcharakters der Daten ergibt sich zudem die Möglichkeit, eine Aussage dahingehend zu treffen, ob die beobachtbaren Auswirkungen auf das Erwerbseinkommen von langfristiger oder sogar dauerhafter Natur sind, oder ob sich das Erwerbseinkommen nach einem gewissen Regenerationszeitraum wieder dem Ursprungsniveau annähert (Forschungsfrage 2). Eine mögliche Verbesserung des Gesundheitszustandes wird also explizit berücksichtigt. Über den Zusammenhang zwischen Gesundheit und Erwerbseinkommensdynamik hinaus soll ferner untersucht werden, welche Anpassungsreaktionen der betroffenen Arbeitnehmer/-innen zu den beobachtbaren Veränderungen beim individuellen Erwerbseinkommen führen (Forschungsfrage 3). Dabei werden auf das jeweilige Beschäftigungsverhältnis bezogene Anpassungsreaktionen wie die Veränderung der wöchentlichen Arbeitszeit, die Reduzierung von bezahlten Überstunden und die Veränderung des konkreten Tätigkeitsfeldes betrachtet.
Es ist nicht davon auszugehen, dass sich eine Veränderung des Gesundheitszustandes bei allen untersuchten Individuen in gleicher Art und Weise auf das Erwerbseinkommen und den Erwerbsstatus auswirkt, sondern durch verschiedene innerhalb und außerhalb des betroffenen Individuums liegende Faktoren beeinflusst wird. Daher wird in Ergänzung zu den bisher formulierten Fragestellungen der Frage nachgegangen, inwieweit die im Rahmen der ersten drei Forschungsfragen identifizierten Zusammenhänge durch weitere individuelle, betriebliche sowie tätigkeitsbezogene Merkmale der betroffenen Arbeitnehmer/-innen abgeschwächt oder verstärkt werden (Forschungsfrage 4). Darüber hinaus wird auch die Haushaltsebene in der Analyse berücksichtigt, indem wir untersuchen, inwieweit die ggf. mit einem sich verschlechternden Gesundheitszustand einhergehenden Einbußen beim Erwerbseinkommen des einen Partners, durch den anderen Partner kompensiert werden (Forschungsfrage 5). Vorstellbar wäre hier bspw. der (Wieder)Eintritt ins Erwerbsleben des Partners / der Partnerin oder eine Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit.
Daten und Methoden
Die skizzierten Forschungsfragen sollen auf Basis der SHARE-RV- und der SOEP-Daten beantwortet werden. Beide Datensätze ermöglichen aufgrund ihrer Panelstruktur sowie ihres Merkmalsspektrums, dass die aufgeworfenen Forschungsfragen in ihrer Gesamtheit mit der notwendigen Detailliertheit und Differenziertheit beantwortet werden können. Der Vorteil von Paneldatensätzen ist vor allem darin zu sehen, dass durch den Vergleich von identischen Befragungspersonen über die Zeit sowohl das Problem unbeobachteter Heterogenität als auch die Selektivitätsproblematik deutlich geringer ist, als dies bei einem Vergleich unterschiedlicher Befragungspersonen über die Zeit der Fall ist. Für die Typisierung von Einkommensprofilen im Erwerbsverlauf verwenden wir Sequenzdatenanalysen, mit deren Hilfe die Abfolge von Zuständen betrachtet werden kann. Dadurch ist es möglich, die Verknüpfung einzelner Statuszustände sowie die zeitliche Abfolge von Status zu untersuchen und abzubilden. Für die Typisierung gesundheitlicher Einschränkungen nutzen wir die Analyse latenter Klassen (LCA, Latent Class Analysis). Ähnlich der Clusteranalyse ist die LCA ein Verfahren zur Klassifikation von Beobachtungswerten, das in der sozialwissenschaftlichen Forschung in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen hat. Ein entscheidender Unterschied zur Clusteranalyse besteht darin, dass im Rahmen der LCA die Verteilungsannahmen bzgl. der Klassifikationsmerkmale innerhalb jeder einzelnen latenten Klasse empirisch bestimmt werden. Dadurch sind zur Identifikation der Zahl der latenten Klassen statistisch besser abgesicherte Maßzahlen als bei der Clusteranalyse verfügbar.
Für die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen gesundheitlichen Einschränkungen und Erwerbseinkommen bietet sich aufgrund der Panelstruktur der Daten die Anwendung der Fixed Effects Regression (FE-Regression) an. Der große Vorteil der FE-Regression gegenüber anderen regressionsanalytischen Verfahren zur Analyse von Paneldaten ist darin zu sehen, dass im Rahmen der FE-Regression ausschließlich auf intraindividuelle Zusammenhänge zur Konstruktion der Schätzer abgestellt wird. Dadurch kann die für Regressionsmodelle grundlegende Exogenitätsannahme weniger strikt formuliert werden, weil auch dann keine Annahmeverletzung vorliegt, wenn relevante konstante Personen- oder Haushaltsmerkmale unbeobachtet bleiben. Entsprechend sind fixed effects-Schätzer im Vergleich zu OLS- oder random effects-Regressionsschätzern eher geeignet, Aussagen über kausale Zusammenhänge empirisch abzusichern.
Vorträge zum Projekt
Prof. Dr. Martin Brussig, Tom Heilmann, Dr. Andreas Jansen: Individuelle Einkommensverläufe unter besonderer Berücksichtigung gesundheitlicher Veränderungen in der späten Erwerbsphase. Forschungsnetzwerk Alterssicherung. FNA-Fachgespräch, virtuell, 05.10.2021