Informationen zum Forschungsprojekt

Evaluation und wissenschaftliche Begleitung des Modellprojektes "Aufbau, Erprobung und Weiterentwicklung von Angebotsformen des Selbstvermittlungs-coachings im SGB II"

Ziel und Aufgabenstellung

Eine Kernaufgabe im Rahmen der arbeitsmarktpolitischen Dienstleistungen ist die Arbeitsvermittlung. Nur etwa jede zehnte Erwerbsintegration von Arbeitslosen im Rechtskreis SGB II geht jedoch auf die direkte Vermittlungstätigkeit der Grundsicherungsstellen zurück. Ein Hintergrund dafür ist unter anderem, dass Betriebe die Arbeitsverwaltung nur bei einem Teil ihrer offenen Stellen in die Personalsuche mit einbeziehen und Statistiken zufolge immer häufiger auf Initiativ-Bewerbungen oder Kontakte ihrer Beschäftigten zurückgreifen. Auf diese Weise gewinnt ein ‚verdeckter Arbeitsmarkt‘ an Bedeutung, der nicht über veröffentlichte Stellenannoncen erschlossen ist.
Hier setzte das Modellprojekt an, dessen wissenschaftliche Begleitung und Evaluation das IAQ übernommen hat. Im Projekt wurden zwei Methoden des ‚Selbstvermittlungscoachings‘ erprobt: Die Methode des ‚Vermittlungscoaching‘ (VC) sowie die Methode des ‚Life-Work-Planning‘ (LWP). Zentrales Merkmal beider Ansätze ist, dass sie auf die Erschließung des verdeckten Arbeitsmarktes zielen und Arbeitsuchende darin unterstützen und qualifizieren, selbst „ExpertInnen für ihre eigene Arbeitsmarktintegration” zu werden. Unter Leitung des zentralen Projektträgers, dem Paritätischen NRW, wurden an vier Standorten in Nordrhein-Westfalen (Remscheid, Unna, Witten und Ratingen) auf Basis dieser Methoden mehrmonatige Maßnahmen für ALG II-Beziehende konzipiert und in Kooperation mit den Jobcentern vor Ort durchgeführt. Neben der Vermittlung neuer Suchwege und -methoden war die Entwicklung einer eigenen beruflichen Zielvorstellung ein wichtiger Bestandteil der Maßnahmen. Ziele der Maßnahmen waren

  • erhöhte Integrationschancen von Langzeitarbeitslosen mit mehreren Vermittlungshemmnissen (Zielquote von 45%);
  • eine verbesserte Nachhaltigkeit der aufgenommenen Beschäftigungsverhältnisse;
  • sowie, im Falle einer nach Projektabschluss andauernden oder erneut eintretenden Arbeitslosigkeit, verbesserte Fähigkeiten zur eigenständigen Suche nach passenden Stellen.
  • Neben den auf die Teilnehmenden bezogenen Zielen diente das Projekt zudem der Erprobung und Weiterentwicklung der eingesetzten Methoden für den Anwendungsbereich des SGB II.

Vorgehen der Untersuchung und Datenbasis

Die wissenschaftliche Begleitung untersuchte die organisatorische Umsetzung der beiden Methoden an den vier Standorten und analysierte vergleichend die Erfolge und Wirkungen der beiden Methoden in Bezug auf die genannten Ziele. Zu diesem Zweck wurden quantitative und qualitative Erhebungsmethoden kombiniert. Die Perspektive der Teilnehmenden wurde durch eine standardisierte Teilnehmerbefragung erhoben, sowie durch eine begrenzte Anzahl von Einzel-Interviews während der Maßnahmeteilnahme sowie sechs Monate nach Maßnahmeende. Um die Perspektive von Trägern und Grundsicherungsstellen einzubeziehen, wurden Interviews mit Beraterinnen und Beratern der Projektträger, mit Fachkräften in den Grundsicherungsstellen und Trainerinnen und Trainern, sowie Gruppendiskussionen mit Projektbeteiligten durchgeführt. Zusätzlich wurde eine Vollerhebung zur soziodemographischen Zusammensetzung und Verbleib der Teilnehmenden ausgewertet.

Ergebnisse

Die Auswertungen des vorliegenden empirischen Materials lassen sich wie folgt zusammenfassen:

  • Die zu Beginn des Projekts angestrebte Zielquote von 45% stellte sich angesichts der Teilnehmerzusammensetzung schnell als zu ambitioniert heraus. Die Eingliederungsquote, also der Anteil sozialversicherungspflichtig Beschäftigter sechs Monate nach Abschluss der Maßnahme betrug14,1%.
  • Dabei unterscheiden sich die Ergebnisse an den einzelnen Standorten deutlich, was in erster Linie mit der unterschiedlichen soziodemographischen Zusammensetzung der Teilnehmenden zu erklären ist. Bei arbeitsmarktnäheren Teilnehmenden (gemessen an Alter, Dauer der Erwerbsunterbrechung etc.) waren die Eingliederungsquoten mit denen anderer vermittlungsorientierte Maßnahmen vergleichbar. Deutlich höhere Integrationsquoten wurden zwar nicht erzielt, trotz längerer Dauer der Maßnahmen als etwa im Falle kürzerer Bewerbungstrainings. Dennoch erscheint das Ergebnis insofern bemerkenswert, als die Methoden der Herausarbeitung individueller Wünsche und Zielvorstellungen der Teilnehmenden deutlich mehr Zeit und Raum widmeten als dies bei anderen vermittlungsorientierten Maßnahmen der Fall ist, und zudem auf klassische Elemente der Arbeitsvermittlung (Stellenakquise durch Träger) zugunsten der Eigenaktivitäten der Teilnehmenden weitgehend verzichtet wurde.
  • Der Anspruch, die Erwerbsintegration von Langzeitarbeitssuchenden mit mehreren ‚Vermittlungshemmnissen‘ (z.B. Alter, sehr lange Erwerbsunterbrechung) deutlich zu erhöhen, wurde im Projekt eher nicht erreicht. Zwar sind auch hier die Integrationsquoten mit denen anderer Maßnahmen mit ähnlicher Teilnehmer-Zusammensetzung vergleichbar. Unter den Bedingungen eines hohen Überangebots an Arbeitskräften haben sich die Arbeitsmarktchancen dieses Personenkreises aber nicht wesentlich durch die Nutzung innovativer Such- und Bewerbungstechniken verbessern lassen, zumindest nicht innerhalb des hier betrachteten (eher kurzen) Zeitraums nach Abschluss der Maßnahme.
  • Insgesamt scheinen die aufgenommenen Beschäftigungsverhältnisse aber relativ stabil zu sein, da 92% der Teilnehmenden, die unmittelbar nach ihrem Abgang aus der Maßnahme eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufgenommen hatten, auch sechs Monate nach Ende der Maßnahme weiterhin sozialversicherungspflichtig beschäftigt waren.
  • Die ungewohnten Verfahren der Erschließung des verdeckten Arbeitsmarktes erfüllten zudem positive sekundäre Zwecke, die von den Coaches und den Teilnehmenden selbst mehrfach zur Sprache gebracht wurden: Sie besaßen einen positiven Effekt auf Motivation, Selbstwertgefühl und Bewusstsein der eigenen Handlungsfähigkeit. Dazu trugen auch die präziseren beruflichen Vorstellungen bei, die sich zumindest ein Teil der Teilnehmenden im Laufe der Maßnahme erarbeiten konnten. Legt man die Einschätzungen der Coaches, der Teilnehmenden selbst und die Ergebnisse der Teilnehmerbefragung zugrunde, so haben die Maßnahmen im Rahmen des Modellprojekts auf dieser Wirkungsebene, also der Ebene von individuellen Fortschritten unterhalb der Integration in den Arbeitsmarkt, offenbar bei einer Mehrzahl der Teilnehmenden unterstützend gewirkt, einschließlich jener mit langjähriger Erwerbsunterbrechung und weiteren ‚Vermittlungshemmnissen‘.

Auf eine Kurzformel gebracht führten die Maßnahmen mithin zunächst ‚anders, nicht schneller oder häufiger‘ zur Integration. Darüberhinaus besaßen sie für einen größeren Teilnehmerkreis positive Wirkungen auf arbeitsmarktrelevante Einstellungen und Verhaltensweisen. Die bislang eingeschränkten Integrationserfolge könnten ein Ergebnis von zu Tage getretenen Schwierigkeiten bei der Vermittlung der Methoden an die Teilnehmenden sein. Dass aber auch Teilnehmer/innen erfolglos blieben, die sich die Methoden zumindest im Rahmen der mehrmonatigen Maßnahme sehr überzeugt angeeignet und sie vergleichsweise intensiv genutzt haben, spricht eher dafür, dass die Vorbehalte von Betrieben gegenüber arbeitsmarktfernen Bewerber/innen auch durch ein verändertes Such- und Bewerbungsverhalten allein nur schwer überwunden werden können. Eine Möglichkeit zur Verbesserung der Integrationschancen besteht daher aus Sicht der Evaluation darin, die hier erprobten innovativen Suchmethoden mit anderen Such- und Bewerbungsmethoden zu kombinieren und darüberhinaus Teilnehmende je nach individuellem Bedarf bei der Erschließung des ‚verdeckten‘ Arbeitsmarktes in höherem Maße zu begleiten und unterstützen, ggf. auch einschließlich Vermittlungs- und Akquisetätigkeiten der Coaches selbst.

Publikationen zum Projekt

Jaehrling, Karen / Mesaros, Leila , 2012: Evaluation des Modellprojekts „Aufbau, Erprobung und Weiterentwicklung von Angebotsformen des Selbstvermittlungscoachings im SGB II“. Endbericht. Duisburg: Inst. Arbeit und Qualifikation

Projektdaten

Laufzeit des Projektes
03.05.2010 - 28.02.2012

Forschungsabteilung
Flexibilität und Sicherheit

Leitung:
Dr. Karen Jaehrling

Bearbeitung:
Leila Mesaros

Finanzierung:
Der Paritätische NRW