Ambiguitäten schärfen. Ein Konzept und seine Nachbarschaften
Vom 22. bis 24. September 2021 fand an der Universität Duisburg-Essen die Tagung "Ambiguitäten schärfen. Ein Konzept und seine Nachbarschaften" statt. Ziel der Veranstaltung war es, das Konzept der Ambiguität, das in den Kulturwissenschaften gegenwärtig in recht unterschiedlichen Bedeutungsfacetten verwendet wird, zu schärfen, indem man es mit benachbarten Konzepten in Beziehung setzt.
Auf dieser Seite finden Sie das Tagungskonzept, die Aufzeichnungen einiger Vorträge der Tagung sowie Tagungsprogramm und -plakat.
Das Tagungskonzept
Ambiguitäten schärfen. Ein Konzept und seine Nachbarschaften
Tagung an der Universität Duisburg-Essen, 22. bis 24. September 2021
Innerhalb der Kulturwissenschaften (insbesondere der deutschsprachigen) hat sich ‚Ambiguität‘ zunehmend als produktives Forschungskonzept etabliert, um sowohl Gegenwartserfahrungen als auch Aspekte vormoderner Ordnungen des Sozialen zu beschreiben. Dabei wird an rhetorisch-linguistische wie auch an sozialwissenschaftlich-historische Theorietraditionen angeknüpft, ohne dass das Verhältnis von ‚Ambiguität‘ zu den Begriffswerkzeugen dieser Traditionen gänzlich geklärt wäre. Die Tagung „Ambiguitäten schärfen. Ein Konzept und seine Nachbarschaften“ beabsichtigt, zu dieser Klärung beizutragen, indem sie ‚Ambiguität‘ zu verschiedenen benachbarten Begriffen in Beziehung setzt.
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Ausgangspunkt ist dabei die Hypothese der Forschungsgruppe „Ambiguität und Unterscheidung. Historisch-kulturelle Dynamiken“, dass das Ambiguitätskonzept seine analytische Kraft vor allem dann entfaltet, wenn es mit dem Begriff der Unterscheidung zusammengedacht wird. In Anlehnung an den Unterscheidungsbegriff der Theorie sozialer Systeme wird ‚Unterscheidung‘ dabei nicht als Gegenbegriff zu Identität verstanden, sondern vielmehr als deren Möglichkeitsbedingung: Um eine Identität bilden zu können, muss ein Vorkommnis zunächst von etwas (oder von allem anderen) unterschieden werden. Dabei ist jede Unterscheidung an die Perspektivität eines Beobachters gebunden. Das bedeutet, dass das, was ein Beobachter als ambig beschreibt, für einen anderen durchaus eindeutig sein kann. Als Beobachter können Personen, Gruppen, Institutionen, aber z.B. auch Kunstwerke oder literarische Gattungen gefasst werden. Indem diese mithilfe der Unterscheidung beobachten, unterstellen sie deren Adäquanz, d.h. sie gehen davon aus, dass sich in der gegebenen Situation mit der Unterscheidung erfolgreich weiterarbeiten, d.h. Komplexität reduzieren lasse. Ambiguität kann dann beschrieben werden als die Erfahrung, dass diese Adäquanzunterstellung falsch war, weil sich die vom Beobachter präferierte Unterscheidung als nicht oder nur bedingt anwendbar auf bestimmte Phänomene erweist.
Auf diese Weise entstehen Situationen epistemischer Offenheit, in denen Unterscheidungen, die anzuwenden naheläge, nicht greifen und statt ihrer neue Lösungen – seien sie semantischer oder pragmatischer Art – gefunden werden müssen. Daher wohnt Ambiguitätssituationen ein Potential zu kreativen Lösungen inne, die sich dann entweder durchsetzen und so kulturelle Wandlungsprozesse auslösen können, oder aber ‚vergessen‘ werden und folgenlos bleiben.
Das von der Forschungsgruppe vorgeschlagene Ambiguitätskonzept begibt sich in enge Nachbarschaft zu verschiedenen anderen Begriffen, die sich z.T. bereits seit Langem in den Kulturwissenschaften etabliert haben. Auf der Tagung, die vom 22. bis 24. September 2021 an der Universität Duisburg-Essen stattfand, wurde der Versuch unternommen, das Ambiguitätskonzept zu schärfen, indem es in Relation zu diesen Begriffen gesetzt wird. Teilnehmer*innen waren u.a. Hanna Engelmeier (KWI Essen), Ulrike Kistner (Pretoria), Gesa Lindemann (Oldenburg), Tobias Schlechtriemen (Freiburg), Rudolf Stichweh (Bonn) und Barbara Stollberg-Rilinger (Berlin).
Im Zentrum standen dabei die Begriffsfelder der 1) Indifferenz, 2) Polyvalenz, Pluralität, Mehrdeutigkeit, 3) Mimesis und Mimikry und 4) der Figuren des Dritten.
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Wenn es zutrifft, dass Ambiguität aus der Unmöglichkeit resultiert, präferierte Unterscheidungsschemata anzuwenden, so teilt sie mit Indifferenz den Aspekt des Nicht-Unterscheidens. Kann man von Ambiguität als Unmöglichkeit und von Indifferenz als Unterlassung einer Unterscheidung sprechen? Ist Indifferenz eine (unter mehreren) Möglichkeiten, auf Ambiguitätserfahrungen zu reagieren? Oder macht gerade Ambiguität Indifferenz unmöglich?
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Polyvalenzen können als ein Wechsel des Beobachtungsschemas oder des Beobachters bestimmt werden, während sich Ambiguität dadurch auszeichnet, dass solche Wechsel nicht möglich oder stark erschwert sind. Lässt sich diese Abgrenzung aufrecht erhalten? Münden nicht alle Ambiguitäten letztlich dennoch in Mehrdeutigkeiten? Ist die Ambiguität, wie sie Kunstwerken häufig zugeschrieben wird, ein Weg, Unterscheidungen zu unterlaufen und unser übliches Unterscheidungsgebaren zu irritieren? Unterscheiden sich hierin verschiedene Kommunikationsformen, etwa künstlerische und wissenschaftliche Kommunikation?
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Die Begriffe der Mimesis und des Mimikry öffnen das Ambiguitätskonzept zum Problemfeld des Verhältnisses zwischen Abbild und Original, Täuschung und Authentizität. In welchen Bereichen der Kommunikation ergeben sich hier Ambiguitäten? Wie wird die Unterscheidung zwischen dem Echten und dem Abgebildeten stabilisiert? Was verwischt sie? Wie können die Konzepte der Ambiguität einerseits und von Mimesis bzw. Mimikry andererseits aneinander profiliert werden?
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Die Beobachtung von Ambiguität kann sich im weiteren sozialen Vollzug stabilisieren, d.h. in Anschlusskommunikation weiter verwendet und auf diese Weise zur Erwartbarkeit werden. Sind Figuren des Dritten als Formen aufzufassen, in denen sich eine solche Stabilisierung vollzieht? Unter welchen Bedingungen bilden sich angesichts von Ambiguitätsbeobachtungen Figuren des Dritten? Welche Funktionen erfüllen sie für die Ambiguitätsbeobachtung?
Elena Furlanetto (Mitglied der FOR)
I Am Uneasy: Restlessness as Site of Ambiguity and Difference in Letters by Native American Converts
Tobias Schlechtriemen (Freiburg)