Bauen im Bestand

Prüfverfahren zur Bestimmung der Eignung von Rissfüllstoffen


Allgemeines

Das Institut für Massivbau hier am Standort Essen ist seit 2001 anerkannt als Prüf- Zertifizierungs- und Überwachungsstelle nach §28 Abs. 1 der Landesbauordnung (BauO NRW) für Rissfüllstoffe mit besonderen Eigenschaften. Die Anerkennung führt auf eine langjährige Erfahrung auf diesem Gebiet zurück, denn seit mehr als 25 Jahren werden am hiesigen Institut Eignungsprüfungen für Rissfüllstoffe gemäß geltenden Regelwerken durchgeführt, und Prüfverfahren entsprechend den veränderten Anforderungen weiterentwickelt und fortgeschrieben. Für neuartige, unerforschte Rissfüllstoffe werden neue Prüfverfahren konzipiert.

PUR-Kleinprüfkörper - Zugversuch

Stahlbetonbalken - Risse mit PUR gefüllt

Zu den geltenden Regelwerken

Das Instandsetzen von Rissen in Betonbauteilen in Bezug auf Planung, Durchführung und Gütesicherung wird bislang für den Geschäftsbereich des Bundesministers für Verkehr (BMVI) "Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauwerke", die ZTV-ING, Teil 3, Abschnitt 5“Füllen von Rissen und Hohlräumen [1] geregelt. Für den allgemein bauaufsichtlichen Rechtsbereich gilt die "Richtlinie für Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen" Rili-SIB [2], in vier Teilen. In der europaweit harmonisierten DIN EN 1504-5 [3] werden für kraftschlüssige, dehnbare und quellfähige Rissfüllstoffe Leistungsmerkmale beschrieben und Anforderungen definiert, die Übereinstimmung eines geforderten Leistungsmerkmals berechtigt zu einer CE-Kennzeichnung des Produkts. Das reichte bislang national für die Verwendbarkeit in Stahlbetonbauteilen nicht aus, die Rissfüllstoffe mussten gemäß DIN V 18028 [4] Anforderungen eines erweiterten, und außerdem gesamten Prüfprogramms erfüllen. Bei Übereinstimmung mit den Vorgaben gemäß [4] erhielten die Rissfüllstoffe zusätzlich das Ü-Zeichen-Kennzeichen. Nach dem Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) C-100/13 ist dieses Vorgehen unzulässig, dementsprechend wird die bauaufsichtliche Einführung von [4] zurückgezogen. Allein aus technischer Sicht ermöglicht die DIN V 18028 für Rissfüllstoffe zum kraftschlüssigen und begrenzt dehnbaren Verbinden von Rissflanken nach wie vor einen Überblick über eine sinnvolle Zusammenstellung aller erforderlichen Leistungsmerkmale.

Rissfüllstoffe werden nach DIN EN 1504-5 entsprechend ihrer Leistungsmerkmale in drei Arten eingeteilt, sie dienen zum

  • kraftschlüssigen,
  • dehnfähigen,
  • quellfähigen

Füllen von Rissen, Hohlräumen und Fehlstellen. Damit hat man im Vergleich zu den nationalen Regelungen die Produktpalette um die quellfähigen Rissfüllstoffe erweitert.


Zu den Rissfüllstoffen

Die nach den nationalen Regelwerken definierten Füllziele "Schließen, Abdichten, kraftschlüssiges bzw. dehnbares Verbinden von Rissflanken" lassen sich mit bestimmten Füllgütern/Rissfüllstoffen erfüllen. Als Rissfüllstoffe stehen zur Verfügung:

  • Kunststoffe: Epoxidharz (EP) und Polyurethanharz (PUR),
  • zementgebundene Füllgüter: Zementleim (ZL) und Zementsuspension (ZS).


Epoxidharz

Epoxidharze sind kalthärtende, niedrigviskose Kunststoffe, die zweikomponentig in einer unverwechselbaren, aufeinander abgestimmten Verpackungsform zur Baustelle kommen. Epoxidharze härten zu hart-spröden Stoffen aus, sind wenig wasserverträglich und verbinden deshalb insbesondere trockene Rissflanken kraftschlüssig. Bei einem Wasserangebot im Riss sind vorab weiterführende Untersuchungen für diese Anwendung sinnvoll [5].


Zementleim (ZL) und Zementsuspension (ZS)

Seit Jahren haben auch zementgebundene Rissfüllstoffe als begrenzt kraftschlüssige, starre Verbindung an Bedeutung gewonnen [6]. Modifizierte Zementleime (ZL) und Zementsuspensionen (ZS) werden zwei- oder dreikomponentig angeboten. Die Pulverkomponenten müssen fein dispers in der Flüssigkeit verteilt werden und dürfen sich nicht zu Agglomeraten zusammenschließen, das erfordert eine hohe Mischenergie und ausreichend lange Mischdauer. Die Misch- und Aufbereitungsprinzipien können recht unterschiedlich sein, verwendet werden Dispergierscheibe, Kolloidalmischer oder normales Rührwerk in Kombination mit Umwälzvorgängen. Wichtig ist die optimale Abstimmung zwischen Rührwerktyp, Mischgeschwindigkeit und Misch- bzw. Umwälzdauer und Volumenmenge der aufzubereitenden Gebindeeinheiten.

Aufgrund ihres Verformungsverhaltens und ihrer Festigkeitseigenschaften werden die zementgebundenen Rissfüllstoffe bevorzugt zum Verfestigen hohlraumreicher Betone oder poröser Mörtelgefüge in ausgelaugten Bauteilen von Altbauten, z. B. Brückenunterkonstruktionen, eingesetzt [7].


Polyurethane

Aus der breitgefächerten Palette der Polyurethane interessieren hier die weich-elastischen Harze [8], [9] zum Schließen, Abdichten und begrenzt dehnfähigen Verbinden von Rissflanken.

Die Leistungsfähigkeit von Polyurethanen ist alleine am Verbundkörper – ein mit PUR injizierter Riss im Beton – zu ermitteln. Reine Materialprüfungen, z. B. Zugversuche am Schulterstab, simulieren nicht das Materialverhalten im Riss unter behinderter Querdehnung und auch nicht das Zusammenspiel zwischen der Adhäsion von PUR am Betongefüge, den Teilablösungen und dem Kohäsionsverhalten von PUR. Die Dehnfähigkeit von PUR wird im zentrischen Zugversuch geprüft, die dehnungsabhängigen Dichtheit am Stahlbetonbalken.

Für bestimmte Abdichtungsmaßnahmen bei unter Druck wasserführenden Rissen kann es unumgänglich werden, schnellschäumende Polyurethane (SPUR) in Teilbereiche der Risse vorzuinjizieren. Diese Harzformulierungen haben einen hohen Isocyanatüberschuss und gehen in kurzer Zeit mit Wasser eine chemische Reaktion ein. Da diese Produkte durch die Alkalität des Betons rasch verspröden, ist vor allem bei Bauteilen mit zu erwartenden Rissbreitenänderungen mit erneutem Wasserdurchtritt zu rechnen. Die SPUR-Füllmenge ist daher auf das notwendige Maß zu begrenzen, damit das restliche Rissvolumen mit dem dauerhafteren, dehnfähigeren PUR gefüllt werden kann. SPUR und PUR sind über separate Packer zu injizieren. SPUR gilt im Sinne der aktuellen Regelwerke nur als Hilfsstoff zur Druckminderung des Wasserandrangs.


Acrylatgele

Spätestens mit Inkrafttreten der DIN EN 1504-5 öffnet sich für Acrylatgele als Rissfüllstoff auch in Deutschland der Markt. Aus heutiger Sicht handelt es sich dabei um noch unzureichend erforschte polymergebundene Produkte, sehr niedrig viskos, fähig, Wasser physikalisch zu binden und somit ihr Volumen zu vervielfachen, wodurch eine abdichtende Wirkung bei ständigem Wasserangebot entsteht. Der Einsatz von Acrylatgelen in Stahlbetonbauwerken wird vor allem in Deutschland, im Gegensatz zu einigen Nachbarländern, kontrovers diskutiert. Die Reaktivität wird i. d. R. durch "Startersalze" initiiert und beschleunigt, ihre Zugabemenge und die Art der chemischen Abläufe sind entscheidend für die Auswirkungen auf das Korrosionsverhalten von Beton- und Spannstahlbewehrung bei Gelkontakt. Die Acrylatgele sind mehrkomponentig und werden vom Verarbeiter auf der Baustelle angemischt. Ein sorgloser Umgang bei der Zugabemenge der Startersalze kann dabei zu beschleunigt ablaufender, abtragender Korrosion führen, wie durch Laborversuche an Stahlbetonbalken belegt wurde [10], [11]. In der europäischen Normung ist eine Prüfung zur Beurteilung der Verträglichkeit mit Stahl vorgesehen, die Art der Prüfung ist noch nicht festgelegt. Eine nationale Regelung für die Rissinjektion in Stahlbetonbauwerken steht noch aus. Die Anwendungsgebiete für Acrylatgele sind bislang Abdichtungen im Mauerwerksbau oder "Schleierinjektionen" hinter dem zu schützenden Bauwerk. Die Deutsche Bahn hat für ihren Geschäftsbereich für den letzteren Anwendungsfall Hinweise für die Planung und Durchführung von Vergelungsmaßnahmen gegeben [12].

Einen Instandsetzung mit Rissfüllstoffen kann auch einen Beitrag zur Denkmalpflege beitragen, so kann die Lebensdauer von Schleusenwänden aus  Stampfbeton mit vorgesetztem Klinkermauerwerk durch das Füllen der Hohlräume mit polymeren und zementgebundenen Rissfüllstoffen verlängert werden [13].

Das Forschungsthema wird dem folgenden Profilschwerpunkt der Fakultät für Ingenieurwissenschaften zugeordnet:
Tailored Materials


Literatur

1  

ZTV-ING "Zusätzliche Technische Vertragsbedingungen und Richtlinien für Ingenieurbauten". Teil 3: Massivbau, Abschnitt 5: Füllen von Rissen und Hohlräumen in Betonbauteilen, Bundesanstalt für Straßenwesen, Stand 2013/12

2 DAfStb-Richtlinie "Schutz und Instandsetzung von Betonbauteilen (Instand-setzungsrichtlinie)". Teil 1: Allgemeine Regelungen und Planungsgrundsätze, Teil 2: Produkte und Anwendung, Teil 3: Anforderung an die Betriebe und Überwachung der Ausführung, Teil 4: Prüfung. Deutscher Ausschuss für Stahlbeton. Beuth Verlag GmbH, Berlin, Oktober 2001
3 DIN EN 1504-5 "Produkte und Systeme für den Schutz und die Instandsetzung von Betonbauteilen – Definitionen, Anforderungen, Qualitätsüberwachung – Teil 5: Injektion von Betonbauteilen". Entwurf 01.2002
4 DIN V 18028: Rissfüllstoffe nach DIN EN 1504-5:2005-03 mit besonderen Eigenschaften, Ausgabe 06.2006
5 Gamze, C.: Das Verbundverhalten von Epoxidharz mit Beton bei variierenden Feuchtezuständen während der Rissinjektion, Master-Thesis, Universität Duisburg-Essen, 2017
6 Iványi, G.; Rosa, W.: Füllen von Rissen und Hohlräumen im Konstruktionsbeton mit Zementsuspension. Beton- und Stahlbetonbau (1992) H. 9, S. 224-229
7 Rosa, W.: Instandsetzung der Autobahnbrücke bei Pirk im Zuge der A 72, Hof - Plauen. Tiefbau, Ingenieurbau, Straßenbau 33 (1991) H. 10, S. 759-762
8 Eßer, A.: Polyurethan – ein Füllgut zum Füllen von Rissen in Betonbauteilen. In: Betonbau in Forschung und Praxis. Festschrift zum 60. Geburtstag von György Iványi. S. 401-405. Verlag Bau und Technik 1999, Düsseldorf
9 Eßer, A.: Füllen von Rissen und Hohlräumen. Dissertation, Universität Essen, 2000
Veröffentlichung: DAfStb Heft 527
10 Steller, Veronika.: Korrosionsverhalten von Betonstahl bei Kontakt mit Acrylatgelen -
zeitraffende und praxisnahe Prüfverfahren im Vergleich. Diplomarbeit, Universität Duisburg-Essen, 2011
11 Eßer, A.; Schnellenbach-Held, M.: Acrylatgele als Rissfüllstoff in Stahlbetonbauteilen – Untersuchungen zur Eignung gemäß DIN EN 1504-5, Bericht zum FE 15.0459/2008/DBR im Auftrag des BMVBS, September 2013
12 Meinzinger, M.: Neue Grundlagen für die Bauerhaltung von Eisenbahnbrücken und sonstigen Ingenieurbauwerken durch Vergelungstechnologie. Bauingenieur 75 (2000) H. 6, S. 261-268
13 Eßer, A.: Probeinjektionen in einem Teilbereich der Schleusenkammerwände der Schleuse Hüntel, Abschlussbericht FuE Injektionen Vorsatzschale im Auftrag der Bundesanstalt für Wasserbau, Dezember 2016