gentechnisch veränderte Mäuse
Historie der Labormaus
Alle in der Wissenschaft eingesetzten Mäuse stammen von der Hausmaus ab. Diese stammt ursprünglich aus dem heutigen Iran und hat sich als Kulturfolger mit dem Menschen weltweit verbreitet. Seit ca. 100 Jahren werden Mäuse in Laboren gezüchtet und in der Forschung eingesetzt. 1929 erfolgte die Gründung des Jackson Laboratory in den USA zur Erforschung der Genetik der Säugetiere und von Krebserkrankungen. 1982 wurden die ersten gentechnisch veränderten Mäuse geboren; 2002 gelang die Sequenzierung des ersten Maus-Genoms. Heute werden Mäuse in allen Bereichen der biomedizinischen Forschung eingesetzt. Die genetische Vielfalt der Labormäuse ist weit geringer, als die ihrer Artgenossen in freier Wildbahn. So stammen die Gene der Labormäuse zu 90 Prozent von einer einzigen Spezies ab, der Westlichen Hausmaus ,,Mus musculus domesticus''. Die restlichen Gene gehen überwiegend auf die japanische Mausart ,,M. m. molossinus'' zurück. Mehr als 97 Prozent des Genoms klassischer Labormäuse lässt sich auf weniger als zehn Haplotypen zurückzuführen; ein Haplotyp meint eine Variante einer Nukleotidsequenz auf ein und demselben Chromosom im Genom eines Lebewesens. Labormausstämme weisen im Vergleich zu ihren wildlebenden Artgenossen variantenreichere Fellfarben auf und unterscheiden sich teils deutlich in Größe und Gewicht. Ihr Verhalten im Labor ist ähnlich, jedoch sind die Labortiere deutlich ruhiger und weniger aggressiv.
Standardisierte Labortiere
Im Labor spricht man von „Mauslinien“ oder „Mausstämmen“. Sie wurden ursprünglich durch verschiedene Zuchtverfahren erzeugt: Bei „Inzuchtstämmen“ sind alle Tiere einer Mauslinie genetisch nahezu identisch, was durch konsequente Geschwisterverpaarung erreicht wird. Diese Gleicherbigkeit erleichtert die Wiederholbarkeit von Versuchsergebnissen. Bei „Auszuchtstämmen“ wird Wert auf größtmögliche genetische Vielfalt gelegt. Hierzu werden nur nicht miteinander verwandte Tiere verpaart. Jeder Mausstamm weist somit eine individuelle Genetik und charakteristische Eigenschaften auf und bildet Humanpopulationen ab. Die meisten neuen Mauslinien werden heute durch gentechnische Verfahren erzeugt.
Deshalb wird die Maus von Forschenden so geschätzt:
- Ihre DNA und Genexpression sind der des Menschen sehr ähnlich.
- Ihr Reproduktions- und Nervensystem weist große Ähnlichkeiten mit dem des Menschen auf.
- Mäuse leiden unter ähnlichen Krankheiten wie Menschen (Krebs, Diabetes, Angstzustände).
- Ihre Gene lassen sich einfacher manipulieren als die der meisten anderen Labortiere.
- Mäuse nehmen wenig Raum ein und haben kurze Generationszeiten.
- Es gibt zahlreiche Inzuchtstämme, mit deren Hilfe Auswirkungen von genetischen Veränderungen sehr gut charakterisierbar sind
Erschwert wird die Laborarbeit nur durch geringe Größe von Mäusen, insbesondere bei komplexen Operationen. Aber vor allem aufgrund der einfachen Manipulierbarkeit der Gene und des gentechnischen Fortschritts ist die Maus zur meist genutzen Tierart in der Grundlagenforschung geworden.
Was ist eigentlich eine gentechnisch veränderte Maus?
Eine Maus, deren Erbgut durch gentechnische Eingriffe durch den Menschen verändert worden ist, ist ein GVO, ein gentechnisch veränderter Organismus. Das genetische Material wir in einer Weise verändert, wie sie unter natürliche Bedingungen durch Kreuzen oder natürliche Rekombination nicht vorkommt. Derartige GVO können über verschiedene Methoden erzeugt werden, z.B.:
- Einfügen von arteigenen oder artfremden Genen oder Gen-Abschnitten
- Herausschneiden von Genen oder Gen-Abschnitten, z.B. mit der Genschere CRISPR-Cas9
- Einfügen von gentechnisch veränderten Stammzellpopulationen in einen Organismus
Diese Veränderungen können zufällig im Genom herbeigeführt werden oder gezielt einzelne definierte Abschnitte oder Gene betreffen (gene targeting). Wenn die genetische Veränderung auch die Keimbahn der jeweiligen Maus betrifft (Spermien oder Eizellen), ist es möglich, durch Zucht und Selektion eine neue gentechnisch veränderte Mauslinie zu etablieren. Die erste gentechnisch veränderte Mauslinie wurden im Jahr 1982 gezüchtet.
Theoretisch lässt sich jedes Gen ausschalten (knock out), anschalten, hinzufügen (knock in) oder in seiner Aktivität beeinflussen. Einige Gene sind für den Organismus jedoch so wichtig, dass er ohne sie nicht überleben kann. Ein kompletter knock-out dieser Gene würde dann zum Absterben der Föten im Mutterlieb führen oder dazu, dass Jungtiere nicht lebensfähig sind und kurz nach der Geburt sterben. Viele gentechnisch veränderte Mauslinien zeigen keinerlei Beeinträchtigungen in der Entwicklung und sind optisch nicht von ihren genetisch nicht veränderten Geschwistern zu unterscheiden. Auch eine Beeinträchtigung des Wohlbefindens der Tiere ist normalerweise nicht erkennbar. Je nachdem, welche Gene von der Veränderung betroffen sind, finden sich z.B. Unterschiede im Blutdruck, bei der Immunreaktion auf Krankheitserreger oder Verhaltensunterschiede. Nur wenige gentechnische Veränderungen sind ohne genetische Untersuchung klar erkennbar. Die Zucht und Haltung von gentechnisch veränderten Tieren, die aufgrund dieser Veränderung Schmerzen, Leiden oder Schäden aufweisen können, stellt einen Tierversuch dar und muss bei der zuständigen Behörde als „Zucht genetisch belasteter Mauslinien“ beantragt werden.
Transgene, Knock-in und Knock-Out-Mäuse
Diese Begriffe definieren die Art der genetischen Veränderung näher.
Bei einer transgenen Maus wird dem Erbgut im Zellkern an einer/mehreren zufälligen Stelle/n fremdes Erbmaterial (DNA) zugefügt. Dieses kann von einer/einem anderen Tierart/Menschen oder einer anderen Maus stammen. Das transgene Tier gewinnt in der Regel eine Eigenschaft hinzu, z.B. die Fähigkeit, ein neues Protein zu produzieren.
Bei einer Knock-In-Maus wird ebenfalls fremdes Erbmaterial zugefügt oder vorhandenes Erbmaterial gezielt verändert, jedoch an einer spezifischen Stelle im Genom. Dadurch lassen sich Gene z.B. gezielt aktivieren oder inaktivieren.
Bei einer Knock-Out-Maus wird ein bestimmter Abschnitt im Erbgut so verändert, dass er funktionslos wird. In der Regel kann dadurch ein Protein nicht mehr gebildet werden und im Vergleich zu nicht veränderten Mäusen lässt sich erforschen, welche Funktion dieses Protein hat.
Bedeutung gentechnisch veränderter Mausmodelle in der Forschung
Genveränderte Mäuse ermöglichen, genetisch verursachte Humanerkrankungen sowie die Funktion von Genen und deren Regulation zu erforschen. Die Auswirkungen der Veränderungen eines einzelnen Gens lassen sich im gesamten Organismus beobachten. Aus der Grundlagenforschung sind gentechnisch veränderte Mauslinien nicht mehr wegzudenken und viele Forschungsansätze stützen sich auf sie als Tiermodell, z.B. für Erkrankungen wie Krebs, Morbus Crohn, Diabetes, Alzheimer, Depressionen, Tuberkulose oder Virusinfektionen. Durch den Vergleich mit Wildtyp-Mäusen (nicht gentechnisch veränderte Tiere) ist es möglich, Gene gezielt auf ihre Funktion hin zu untersuchen. Auch die Rolle humaner Genvarianten lässt sich im Tiermodell untersuchen. Je besser die Funktion und das Zusammenspiel der Gene und Proteine im Organismus verstanden werden, desto eher lassen sich Behandlungsansätze für Krankheiten finden, die durch fehlende oder falsch regulierte Gene verursacht werden. Für beinahe jede Erkrankung, bei der man eine genetische Ursache vermutet, gibt es ein Mausmodell. Um den Überblick nicht zu verlieren, gibt es Datenbanken mit existierenden gentechnisch veränderten Mauslinien. Viele etablierte Mauslinien können bei Züchtern in Form von eingefrorenen Spermien oder befruchteten Eizellen gekauft werden.
Fluch und Segen gentechnisch veränderten Mauslinien
In den vergangenen 20 Jahren verlief die Entwicklung neuer Methoden und Techniken der Gentechnik rasant. Genetische Veränderungen lassen sich immer genauer und mit größerer Effizienz am Zielort einfügen. Auf der einen Seite sinkt durch verbesserte Methoden die Zahl eingesetzer Versuchstiere. Auf der anderen Seite ermöglichen neue Techniken immer gezieltere Genveränderungen, sodass die Menge an Mauslinien wächst, die gezüchtet und gehalten werden müssen.
Größte Herausforderung aktuell: dass gentechnisch veränderten Mauslinien getötet werden müssen, wenn sie bezogen auf eine Forschungsfrage nicht den benötigten Genoytp oder nicht das passende Geschlecht haben. Einige Linien lassen sich zudem nicht homozygot züchten, da die gentechnische Veränderung sie infertil macht oder anderweitig beeinträchtigt. Manchmal sind auch nur die männlichen oder nur die weiblichen Tiere für die Beantwortung der Forschungsfrage nutzbar, z.B. bei Fragen zur Reproduktion oder zu hormonellen Abhängigkeiten. Vielfach werden darüber hinaus eher männliche Tiere genutzt, da der weibliche Zyklus einen unerwünschten Einfluss auf die Ergebnisse haben kann.
Herausfordernd kann auch ist die sogenannte Erhaltungszucht werden, bei der man sich dazu entscheidet, eine gentechnisch veränderte Mauslinie auch nach Studienende weiter zu züchten. Grund ist meist der große Aufwand, der anfangs betrieben wurde. Zudem kann eine solche Mauslinie i.d.R. nicht identisch reproduziert werden. Eine solche Erhaltungszucht benötigt jedoch Platz, Futter, Pflege sowie tierärztliche Betreuung. Im ungünstigsten Fall müssen die Tiere am Ende ungenutzt getötet werden, weil keine zur Mauslinie passende Studie rechtzeitig aufgelegt werden konnte. Durch das Einfrieren von Spermien oder befruchteten Eizellen (Kryokonservierung) solcher Mauslinien lässt sich die Zahl potenziell ungenutzter Erhaltungszuchten allerdings heutzutage erheblich reduzieren.