Unterirdische Nagetiere
Forschungsbereich Biologie unterirdisch lebender Nagetiere
Weltweit, auf allen Kontinenten außer Australien und der Antarktis, haben sich mindestens 250 Nagetierarten an ein Leben in selbstgebauten Tunnelsystemen angepasst. Der unterirdische Lebensraum ist dunkel, klimatisch stabil, sauerstoffarm und kohlendioxidreich.
Die Tunnel bieten Schutz vor Beutegreifern und extremen Temperaturen, aber das Graben ist energetisch kostspielig, und der Ertrag bei Nahrungssuche ist relativ gering.Wir haben uns in der Forschung auf verschiedene Aspekte der Biologie afrikanischer Graumulle (Familie Sandgräber) fokussiert, von denen im Folgenden drei näher beleuchtet werden.
1. Sinnesbiologische Anpassungen: Das Sehen spielt kaum eine Rolle und die Augen sind stark reduziert. Graumulle können aber zumindest hell und dunkel unterscheiden und nehmen auch verschiedene Farben wahr. Das Hören ist auf ungewöhnlich tiefe Frequenzen bis maximal 4 kHz beschränkt. Entgegen der kürzlich aufgestellten Behauptung, dass Graumullen ein cochleärer Verstärker fehlen würde, konnten wir zeigen, dass die Tiere otoakustische Emissionen im Innenohr produzieren. Da die Orientierung ohne optische oder akustische Landmarken unter der Erde schwierig ist, kam bereits früh die Idee auf, dass unterirdisch lebende Tiere das Erdmagnetfeld für die räumliche Orientierung benutzen. Graumulle waren die ersten Säugetiere für die ein Magnetsinn unter Laborbedingungen nachgewiesen werden konnte, wobei sich die Suche nach den Magnetrezeptoren als schwierig erweist, da die magnetischen Felder alle Gewebe durchdringen können. Wir konnten zeigen, dass die Augen sehr wahrscheinlich die Magnetrezeptoren beherbergen.
2. Alterung: Grau- und Nacktmulle können extrem alt werden. Das maximale Alter von Nacktmullen wurde in der Literatur mit 38 Jahren angegeben; der Rekord für den Riesengraumull liegt in unserer Tierhaltung bei rund 26 Jahren. Reproduktive Tiere werden dabei normalerweise deutlich älter als nicht-reproduktive Tiere. An dieser Stelle ist auch das interessante Sozialsystem der Tiere zu erwähnen: die Tiere leben im Familienverband, wobei sich nur die Eltern fortpflanzen und die Nachkommen auf die eigene Fortpflanzung verzichten. Die Inzestvermeidung beruht auf der individuellen Erkennung der Familienmitglieder untereinander basierend auf dem Körpergeruch. Nicht-reproduktive Tiere, die als (Halb-)Waisen oder sogar allein leben, werden ähnlich alt wie reproduktive Tiere und deutlich älter als solche Nachkommen, die ihr gesamtes Leben im Familienverbund verbringen, in dem beide Eltern vorhanden sind. Mittels Cortisolanalysen konnten wir zeigen, dass die (Halb-)Waisen signifikant geringere Cortisollevel (und damit wahrscheinlich weniger Stress) aufweisen als die nicht-reproduktiven Tiere aus vollständigen Familien.
3. Krebsresistenz: Grau- und Nacktmulle weisen eine natürliche Krebsresistenz auf und das Krebssterberisiko liegt bei nur 0.0002 %. In Kooperation mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum haben wir versucht, bei den Tieren Hautkrebs zu induzieren, indem wir zunächst ein Mutagen auf die Haut aufgetragen haben und dann die Haut für mehrere Wochen mit einem Tumorpromotor, der die Zellteilung anregen soll, behandelt. Während alle Tiere einer Vergleichsgruppe aus Mäusen spätestens nach 12 Behandlungswochen Tumore entwickeln, konnten wir die Behandlung bei den Grau- und Nacktmullen bis zu einem halben Jahr fortsetzen, ohne dass sich äußerliche Veränderungen gezeigt haben. Bei den Nacktmullen scheint ein erhöhter Umsatz mit anschließender Differenzierung von Zellen in der untersten Schicht der Epidermis dafür zu sorgen, dass die Tiere die mutierten Zellen wieder loswerden. Die Mechanismen bei den Graumullen werden von uns derzeit intensiv weiter erforscht.
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