Übersetzungskulturen der Frühen Neuzeit

Programmausschuss

Koordinatorin

Prof. Dr. Regina Toepfer, Institut für Germanistik, Technische Universität Braunschweig, Universitätsprofessorin für germanistische Mediävistik

Weitere Mitglieder

Prof. Dr. Peter Burschel, Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel, Direktor der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel und Universitätsprofessor für Geschichte der Frühen Neuzeit in Göttingen

Prof. Dr. Jörg Wesche, Universität Duisburg-Essen, Universitätsprofessor für Neuere deutsche Literaturwissenschaft

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1        Zusammenfassung

Wie relevant die Übersetzungsthematik für ein funktionierendes gesellschaftliches Zusammenleben, eine sprachen- und kulturübergreifende Kommunikation, den wissenschaftlichen Fortschritt, ökologische Zukunftsvisionen und ökonomische Handlungsbeziehungen ist, belegen die aktuellen europaweiten politischen Debatten etwa über die Integration von Geflüchteten, die Steuerung von Migrationsbewegungen und das Freihandelsabkommen TTIP. Das Schwerpunktprogramm setzt sich mit den Problemen, Chancen und Konsequenzen kulturellen Übersetzens auseinander und bietet gegenwärtigen Diskussionen somit einen historischen Bezugsrahmen sowie eine potentielle Vergleichsgröße. Mit der Frühen Neuzeit wird eine frühe Epoche der Globalisierung in den Blick genommen, als sich die ‚alte‘ Welt außereuropäischen Räumen und Kulturen öffnete; die seit dem 15. Jahrhundert ausgebildeten gesellschaftlichen Leitvorstellungen, Wahrnehmungsmuster und Kommunikationsformen sind bis in die Gegenwart von prägender Bedeutung. Diese Zusammenhänge, die in der angloamerikanischen Frühneuzeitforschung in jüngster Zeit mittels postkolonialer Ansätze reflektiert werden, will das Programm aufdecken, um das Bewusstsein für die gegenwärtige Übersetzungsproblematik zu schärfen und aus historischer Perspektive Lösungsstrategien interlingualer und interkultureller Verständigung zu reflektieren. Entsprechend leistet das Forschungsprogramm im Rückgriff auf den aktuellen translational turn auch eine Neuorientierung der Kulturwissenschaften.

Projektziel ist die interdisziplinäre Erschließung der epochalen Bedeutung von Konzepten und Praktiken des Übersetzens für die Frühe Neuzeit. Übersetzen wird in diesem praxeologischen Ansatz als zentrale und ubiquitäre Kulturtechnik der Frühen Neuzeit verstanden. Betrachtet man zunächst die europäischen Übersetzungskulturen, wurzeln diese stark im philologischen Selbstverständnis der Humanisten. Ihre Erschließung, Relektüre und Konstruktion eines altsprachlichen Kanons ist über die Rückkopplung an das humanistische imitatio-Denken von Anfang an mit Übersetzungsverfahren verbunden. Die Rezeption antiker Themen ist im Projekthorizont gleichwohl nur eine Facette, die im 16. Jahrhundert zentral erscheint, durch die Internationalisierung des Übersetzens im 17. Jahrhundert allerdings zunehmend hinter Übersetzungstätigkeiten auf anderen Feldern zurücktritt. Mediengeschichtlich ist im Untersuchungsrahmen der Buchdruck als dynamisierende Voraussetzung wichtig, der selbst eine große Übersetzungsbewegung auslöst, indem Wissensbestände der Handschriftenkultur in das neue Medium des Drucks überführt werden. Sprachliche und mediale Übersetzungsbewegung bedingen und verstärken sich gegenseitig und entfalten in ihrer permanenten Wechselseitigkeit eine kulturelle Dynamik. In der Folge wachsender Handelsbeziehungen kommt es zu einer europaweiten Intensivierung und Professionalisierung des Übersetzens. Diese wird gerade durch die potenzierte Mehrsprachigkeit und Territorialität im europäischen Raum beflügelt, strahlt über die kolonialen Wechselströme der Frühen Neuzeit weltweit aus und tritt dort in Interaktion zu eigenständigen Übersetzungskulturen, was zu globalen Rückkopplungen innerhalb Europas führt.

Teilprojekt "Verstechniken in Übersetzung"

Teilprojekt "Verstechniken in Übersetzung. Die Internationalisierung der deutschsprachigen Poetik und Gelegenheitspoesie des 17. und 18. Jahrhunderts" im Rahmen des Schwerpunktprogramms "Übersetzungskulturen der Frühen Neuzeit".

I. Dr. Julia Amslinger: „Die Welt ist ein gebundener Gedanke“ – Verstechniken in Übersetzung

Das Teilprojekt rekonstruiert die Rolle der „gebundenen Rede“ für die Etablierung einer deutschen Dichtungs- und Literatursprache im Zeitabschnitt 1600 bis 1800.

Quellenbestand sind die deutschsprachigen Dichtungslehren und das größtenteils anonym veröffentlichte Massenphänomen „Gelegenheitsdichtung“. Dazu gehören zunächst die heute für die Barockforschung kanonischen Verspoetiken aus dem Kontext der Sprachgesellschaften und Dichterzirkel. Mit dem Fokus auf zwei regionale Zentren, Breslau und Zürich wird gefragt, welche Vorstellungen von „deutscher Dichtung“ sich aus dem disparaten Quellenbestand der Gelegenheitsdichtung erschließen lassen. Breslau und Zürich bieten sich aufgrund ihrer unterschiedlichen gesellschaftlichen Organisation (konfessionell, institutionell, sprachgeschichtlich) für diesen Vergleich an. Beide Städte sind Orte des interkulturellen Austauschs in der Frühen Neuzeit: Breslau ist als Zentrum der Schlesischen Dichterschule die kulturelle Mitte Schlesiens im 17. Jahrhundert unter Habsburger Verwaltung, Zürich ist ein kultureller Knotenpunkt der literarischen Aufklärung in Europa. Erweitert wird diese Perspektive durch das Heranziehen von Dichtungslehren, die zu Beginn des 18. Jahrhunderts für didaktische Zwecke im Schulkontext verfasst wurden, wie etwa Johann Georg Hofmanns Lehr-mässige Anweisung zu der Teutschen Verß- und Ticht-Kunst, Georg Ludwigs Teutsche Poesie dieser Zeit oder Gottfried Bürgels Die ersten Anfangs-Gründe der Dichtkunst, die bisher kaum zur Kenntnis genommen worden sind.

Mit dieser doppelten Perspektive auf den Gelehrtendiskurs in Dichterpoetiken und didaktischen Anleitungen für den Schulunterricht einerseits und auf die gedruckten und handschriftlichen Zeugnisse volkssprachlicher Gelegenheitsdichtung andererseits wird nachvollzogen, wie sich das deutsche Dichtungsidioms etablierte. Es ist oft bemerkt worden, dass das Buch von der deutschen Poeterey nicht allein auf Horaz’ ars poetica Bezug nimmt, sondern sich größtenteils aus den von Martin Opitz selbst genannten französischen und lateinischen Werken Ronsards und Scaligers sowie aus Anleihen bei Du Bellay, Du Bartas oder Philip Sidney, um nur einige zu nennen speist: So ist das Buch von der deutschen Poeterey eigentlich ein Buch der europäischen Dichtungspraxis. Dieser Befund lässt sich in unterschiedlicher Weise auf alle deutschsprachigen Poetiken ausdehnen. Der Beitrag der fremdsprachigen Dichtungslehren im Prozess der Etablierung einer deutschen Dichtungssprache ist bis heute allerdings nie nachgewiesen werden.

Auch für die poetische Praxis ist die Bedeutung von Übersetzungen immsens. Georg Philipp Harsdörffer beispielsweise schildert in diesem Verständnis die Rezeptions-, Übersetzungs- und Aneignungsleistung als Veredelung und stellt die literarische Tätigkeit auf eine Vergleichseben mit der Schneiderzunft, wo „die Schueler aus ihrer Lehrmeister Maentel Kleider machen / und so statlich mit Silber und Gold ueberbremen / daß sie nicht erkaentlich sind.“ Gelungen ist die Gedicht-Übersetzung für Harsdörffer, „wan es so wol klingt / daß man nichteinmal abmerken kann / daß es in einer andern Sprache urspruenglich geschrieben worden.“ (Harsdörffer, Nürnberg 1650, 102/103) Nicht eine zu bewahrende Alterität, sondern Identität wird hier als Übersetzungsideal ausgestellt. Um dies zu erreichen, muss die Zielsprache Deutsch zum „Klingen“ gebracht werden.

Auf welchen unterschiedlichen gesellschaftlichen Ebenen dieser (Wohl-)Klang erzeugt, wie dieser bewertet wird und in welchen Kontexten der Spielraum der deutschen Dichtungssprache im 17. Jahrhundert ausgebaut wird, ist meine grundlegende Frage, das die Rolle von Wissenstransfer und Übersetzung in Hinblick auf poetische Theorie und dichterische Praxis untersuchen wird.

Mit Blick auf die historisierenden poetologischen Beiträge des 18. Jahrhunderts verschiebt sich die Perspektive: Sie basieren auf Quellentexten, die aus anderen anthropologischen Wissensdiskursen importiert werden. Hierzu gehören prominent die Reiseberichte von Neuseeland-, Amerika- oder Afrikareisenden. August Wilhelm Schlegel beispielsweise bindet nicht nur „Blumensträuße italienischer, spanischer und portugiesischer Poesie“ (Schlegel 1804), sondern gibt auch „Proben von Poesie, welche ein Weltumsegler aus der Südsee zurückgebracht“ (Schlegel 1796), die zu ganz neuen metrischen Überlegungen Anlass geben.

Durch eine solche Perspektive wird die Paradoxie des Prozesses erkennbar: Am Ende des 18. Jahrhunderts wird die im deutschsprachigen Gebiet relativ spät in Übersetzung der französischen Theorie systematisierte Gattung ,Lyrik‘ nicht nur als origo aller Künste angesehen, sondern als „im Anfang ganz volksartig d.i. leicht, einfach, aus Gegenständen und in der Sprache der Menge“ (Herder, 1990). Eine in hohem Maße normierte, schriftlich verfasste Kunstgattung wird mit erheblichem Aufwand als mündlicher Ausdruck der nationalen Natur inszeniert. Die vielfältigen Übersetzungsprozesse, die zu diesem Ergebnis geführt hatten, wurden in diesem Dichtungskonzept unsichtbar.

 

Repertorium internationaler Quellenbezüge der deutschsprachigen Poetiken und Dichtungsmanuale (1624–1800)

Geplanter Output: Veröffentlichung des Repertoriums

Erstellung eines Findbuchs, das diejenigen fremdsprachigen Texte aufführt, die Eingang in die Diskussion um die deutsche Dichtungssprache gefunden haben.

Laufzeit des Teilprojekts an der UDE: 1. Oktober 2018 – September 2021

Leitung: Prof. Dr. Jörg Wesche

PostDoc: Dr. Julia Amslinger