Wahlen in der Côte d’Ivoire – Stabilität statt Demokratie
Christof Hartmann
19.3.2021
Weitgehend unbemerkt von der deutschen Öffentlichkeit ist im westafrikanischen Côte d’Ivoire Anfang März ein neues Parlament gewählt worden. Die Neubesetzung des politisch wenig bedeutsamen Parlaments folgte auf die Präsidentschaftswahl vom 31.Oktober 2020, bei der sich der bisherige Amtsinhaber Alassane Ouattara trotz des Boykotts der Opposition und zivilgesellschaftlicher Proteste für eine dritte Amtszeit hatte wählen lassen. Die gesellschaftliche Mobilisierung gegen die Präsidentschaftswahl war letztlich erfolglos gewesen. Sporadische Gewaltausbrüche führten zu 85 Todesopfern; auch konnte ein knappes Viertel der Wahllokale nicht geöffnet werden. Der Versuch der Oppositionsführer am Tag nach der Wahl eine Gegenregierung zu bilden, führte zu deren Inhaftierung, ohne dass wie erhofft die Armee oder die Bevölkerung auf die Straße gegangen wären. So endete der Fundamentalboykott und bei den Parlamentswahlen am 6. März 2021 schickten nun erstmals alle drei etablierten Parteien ihre Kandidatinnen und Kandidaten ins Rennen. In der Geschichte des Landes war dies erst zweimal geschehen, 1995 und 2010. Warum lohnt sich ein näherer Blick auf die Wahl und ihre Umstände?
Die Wahlen setzen die politische und wirtschaftliche Stabilisierung des Landes fort
Der Imperativ der Demokratisierung hatte in der Côte d’Ivoire zur Destabilisierung der vormals Jahrzehnte regierenden Einheitspartei PDCI geführt, die sich seit Mitte der 1990er Jahre im Wettbewerb mit der neugegründeten RDR und der langjährigen Oppositionspartei FPI befand. Im Unterschied zu den meisten anderen afrikanischen Staaten kam es in der Folgezeit weder zur Dominanz einer einzelnen Partei noch zur völligen Fragmentierung der Parteienlandschaft. Ein Parteiensystem mit drei relativ gleich großen Parteien entstand, von denen keine allein stark genug war, um den politischen Prozess zu dominieren. Zugleich ließ sich dieser politische Wettbewerb, anders als im benachbarten Ghana, offensichtlich nicht friedlich an den Wahlurnen entscheiden. Stattdessen ist die jüngere Geschichte der Côte d‘Ivoire geprägt von Militärputschen (2000), einer versuchten Sezession mit faktischer Teilung des Landes (2002-2010) und einer Präsidentschaftswahl, die in Gewalt und einer internationalen Militärintervention endete, mit der der Amtsinhaber zur Abdankung gezwungen wurde (2010-11).
Seit April 2011 regiert Alassane Ouattara das westafrikanische Land. Unter seiner Regierung ist nach den Jahren des Gewaltkonflikts eine politische und wirtschaftliche Stabilisierung erfolgt, belohnt von der westlichen Gebergemeinschaft mit Schuldenerlass und Krediten. Die deutsche Regierung erhob Côte d’Ivoire im Dezember 2017 als eines von drei afrikanischen Ländern offiziell in den Rang eines Reformpartners. Dadurch sollen in Staaten, die sich durch gute Regierungsführung, die Einhaltung menschenrechtlicher Standards sowie die Förderung der Privatwirtschaft auszeichnen, die Rahmenbedingungen für privatwirtschaftliches Engagement verbessert werden, um mehr Arbeitsplätze zu schaffen.
Die Wahlen 2020-21 als Zäsur: Warum die ivorische Demokratie verloren hat
Umso unerfreulicher waren dann die Ereignisse der letzten Jahre. Zunächst boxte der amtierende Präsident, gestützt auf die Kontrolle des Parlaments diverse Verfassungsänderungen im Alleingang durch, dann weigerte er sich einer inklusiveren Reform der Wahlorganisation zuzustimmen, entschied sich nach dem plötzlichen Tod des von ihm bestimmten Nachfolgers, entgegen aller vorangegangener Ankündigungen, selbst doch für eine dritte Amtszeit zu kandidieren, und schließlich disqualifizierte das Verfassungsgericht 40 seiner 43 Mitbewerber, und machte die Präsidentschaftswahl im Oktober 2020 zu einer bedeutungslosen Pflichtübung. Es gibt sicherlich ganz unterschiedliche Gründe für die politische Zuspitzung und die damit verbundenen enttäuschten Hoffnungen auf ein regionales Vorbild der demokratische Regierungsführung. Hinter dem Wettbewerb der drei Parteien FPI, PDCI und RHDP (vormals RDR) steht auch das Ringen von drei inzwischen recht alten Männern (Henri K. Bedié, Laurent Gbagbo, Alassane Ouattara) um die Macht im Land, die alle schon einmal Staatspräsident waren, und aus dieser Zeit sowohl über eine solide Machtbasis im Land, als auch vielfältige Allianzen im afrikanischen und internationalen Umfeld verfügen, aber von der vorwiegend jungen Bevölkerung des Landes dennoch wenig überraschend nicht mehr als glaubhafte Repräsentanten für einen politischen Aufbruch gesehen werden. Eine vordergründige Interpretation reduziert den politischen Wettbewerb auf das Ringen dreier ethno-regionaler Blöcke um die Macht im Staat, und tatsächlich verfügen alle drei Parteien über solide regionale Bastionen, wie sich auch bei den jüngsten Parlamentswahlen wieder zeigte.
Tatsächlich spiegelt sich im Ringen der drei Kontrahenten und ihrer Parteien aber viel mehr als ethnische Arithmetik, sondern ein Konflikt unterschiedlicher politischer Strategien, die zwar in gewisser Weise auch die Interessen der jeweiligen ethnischen Klientele spiegeln, aber dennoch darüber hinausweisen, und, jenseits des Falls Côte d’Ivoire, auch mögliche Pfade politischer Reformen in Afrika abbilden.
Zwischen Klientelismus, Nationalismus und technokratischem Entwicklungsstaat
Bediés PDCI stützt sich auf das klientelistische Erbe des Parteigründers Felix Houphouët-Boigny, der seine eigene ethnische Gruppe protegierte (und deren wirtschaftlichen Interessen im Kakaoanbau), aber beim Regieren auf die Einbindung aller wichtigen ethno-regionalen Interessen achtete. Bedié ist entsprechend in den letzten 25 Jahren auch zur Koalition mit Gbagbos FPI oder Ouattaras RDR bereit gewesen. Gbagbo begegnete in seiner Präsidentschaft der strukturellen Minderheitsposition seiner Partei auf andere Art: Er deutete Zugehörigkeit zur politischen Gemeinschaft um, zunächst durch konsequente Ausgrenzung von Migrant:innen, in einem zweiten Schritt aber auch aller aus dem Norden des Landes stammenden Bevölkerungsgruppen. Diese Form des exklusiven Nationalismus, die sich rhetorisch auch gegen den Einfluss Frankreichs richtete, sollte politische und wirtschaftliche Rechte den ‚wirklichen‘ Ivorern vorbehalten, aber auch den Elitenwettbewerb neu strukturieren. Bleibendes Erbe dieser Mobilisierung ist die im Süden des Landes verbreitete Ansicht, Präsident Ouattara sei ein Ausländer, der sich die Macht nur mit Unterstützung ausländischer Interessen angeeignet hatte. Die Regierung Ouattaras schließlich, so sehr sie sich auch nach außen zu einem liberalen Projekt der guten Regierungsführung bekennt, scheint das Problem ihrer fehlenden strukturellen Mehrheit unter Eliten und Bevölkerung durch Rekurs auf das Modell des Entwicklungsstaates lösen zu wollen. Eine technokratische Elite, die mit Unterstützung der westlichen Gemeinschaft seit zehn Jahren den im Bürgerkrieg angewachsenen Entwicklungsrückstand aufholt, massiv in Infrastruktur finanziert, in Kooperation mit Ghana ihre strategische Position auf dem Kakaoweltmarkt zunehmend besser nutzt, den jihadistischen Bedrohungen aus dem Sahel bisher Einhalt gebietet und darauf hofft, dass aus diesen Entwicklungserfolgen auch eine breitere Legitimität erwachsen wird. Zugleich gibt es in diesem Modell kein Interesse an einer Demokratisierung oder Wahlen als Instrument der Rechenschaftspflicht. Wie z.B. auch in Senegal werden Oppositionskandidaten durch juristische Sanktionen politisch in Schach gehalten. Der deutliche Sieg der RHDP bei den Wahlen im März 2020 kann daher als Manifestation einer langsamen Abkehr vom Dreiparteiensystem und des Aufbaus einer strukturellen Dominanz gelesen werden.
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Prof. Dr. Christof Hartmann
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