Forschungsprojekte am Promotionskolleg
Der Einfluss von Wachstumsmodellen auf die Finanzpolitik
Seit den 1980er Jahren steigt die Einkommens- und Vermögensungleichheit wieder an, begünstigt durch die Praxis der Steuervermeidung von multinationalen Unternehmen. Während den öffentlichen Kassen weltweit dadurch mehrere Milliarden an US-Dollar fehlen, profitieren vor allem amerikanische Plattformunternehmen. Da die internationalen Verhandlungen zur Reform des Steuerwettbewerbs stocken, setzen einige Staaten wie Österreich und Frankreich auf nationale Lösungen, während andere Staaten wie Deutschland weiterhin auf einer internationalen Einigung beharren. Entscheidend für die Divergenz in den nationalen Strategien ist – so die These meines Forschungsprojektes – die Varianz in den nationalen Wachstumsmodellen. Spezifische Wirtschaftssektoren, die von den jeweiligen Wachstumsmodellen profitieren, prägen die nationale Steuerpolitik im Sinne ihrer Interessen. Anhand einer qualitativen Untersuchung der Beziehungen dieser privilegierten Sektoren zur politischen Elite und ihren Strategien zur Beeinflussung des öffentlichen Diskurses zielt das Forschungsprojekt auf eine Analyse der strukturellen und instrumentellen Macht von sektorspezifischen Interessengruppen auf die staatliche Finanzpolitik.
Im Zuge des Forschungsprojektes sollen die folgenden zentralen Fragestellungen beantwortet werden: Warum lehnt die Regierung in Deutschland die Einführung einer nationalen Digitalsteuer ab, obwohl sowohl materielle Anreize als auch eine Mehrheit der Bevölkerung dafürsprechen? Mit welchen Frames ist der nationale Diskurs über Steuervermeidung versehen? Wie und an welchen Stellen nehmen sektorale Interessengruppen Einfluss auf den Prozess der Präferenzbildung von Regierungen in Bezug auf die nationale Steuerstrategie? Welche Allianzen lassen sich innerhalb einzelner Wirtschaftssektoren, aber auch mit Parteien erkennen? Wie nehmen die Akteur*innen ihre Macht hinsichtlich der Gestaltung der Steuerpolitik wahr?
Die Beantwortung dieser Fragen soll mittels einer Prozessanalyse zur Erklärung spezifischer Outcomes erfolgen. Die Fallauswahl orientiert sich im Sinne der Diverse-Cases-Methode an einer extrem niedrigen, einer durchschnittlichen und einer extrem hohen Ausprägung des Outcomes, welches in diesem Forschungsvorhaben die Unterstützung von Policy-Instrumenten zur Eindämmung der Steuervermeidung von Seiten der Regierung darstellt. Die Ausprägung misst sich an der allgemeinen Ablehnung (niedrig), einer Unterstützung auf europäischer Ebene (durchschnittlich) und einer Einführung auf nationaler Ebene (hoch) des Policy-Instruments. Am Beispiel zur Digitalsteuer eignen sich dahingehend die Untersuchung der französischen Regierungsposition, die eine nationale Digitalsteuer einführte, die deutsche Regierungsposition, die eine europäische Digitalsteuer spätestens 2021 befürwortet, und die irische Regierungsposition, die eine Digitalsteuer generell ablehnt. Der Fallvergleich soll diesbezüglich Erkenntnisse darüber liefern, inwiefern die Ideen einzelner nationaler Wachstumsmodelle und die damit verbundenen Normen Macht über die Interessen nationaler Akteur*innen im Präferenzbildungsprozess ausübt. Dafür werden in erster Linie semi-strukturierte Interviews geführt, in denen die Akteur*innen die Werte der ‚Solidarität‘ und des ‚Wettbewerbs‘ zueinander in spezifischen Kontexten in Beziehung stellen sollen. Darüber hinaus sollen mit Hilfe der Interviews die Beziehungen zwischen wirtschaftlichen und politischen Eliten analysiert werden.