Drei Fragen an...
Achim Truger | Jakob Kapeller | Miriam Rehm | Paul Marx | Till van Treeck
Till, was sind aus Deiner Sicht die großen Herausforderungen für die gesamtwirtschaftliche Analyse?
Till van Treeck: Eine zentrale Frage, mit der ich mich in meiner Forschung beschäftige, lautet: Welche Auswirkungen haben Veränderungen in der Einkommensverteilung auf gesamtwirtschaftliche Nachfrage und ökonomische Stabilität? Seit den frühen 1980er Jahren erleben wir in den meisten reichen Ländern einen Anstieg der Ungleichheit. Wenn aber die Einkommen der normalen Leute nicht mit der wirtschaftlichen Entwicklung Schritt halten, wer fragt dann die immer größer werdende Produktion der Unternehmen nach? Vieles spricht dafür, dass die steigende Ungleichheit gesamtwirtschaftliche Instabilität produziert hat.
Warum arbeiten die Menschen in
reichen Ländern nicht längst viel
weniger und wie hängt dies mit
der Verteilung zusammen?
Eine weitere zentrale Herausforderung sehe ich darin, die Voraussetzungen für kürzere Arbeitszeiten und somit weniger umweltschädliches Wirtschaftswachstum zu schaffen. Während in der Klimadebatte häufig vor allem auf technische Innovationen für eine saubere Produktion gesetzt wird, interessiert mich die Frage, warum die Menschen in den reichen Ländern nicht längst viel weniger arbeiten und mehr Freizeit genießen. Auch hier gilt es aus meiner Sicht, die Verteilungsfrage zu stellen, weil vieles darauf hindeutet, dass eine hohe Ungleichheit Anreize für längere Arbeitszeiten schafft.
Was bedeutet ein sozioökonomischer Ansatz für Dich und Deine Schwerpunkte?
Ich versuche einmal, entlang der drei Prinzipien zu antworten, denen sich unser Institut für Sozioökonomie verpflichtet sieht:
Anwendungsorientierung: Forschungsfragen sind stets nach der gesellschaftlichen Relevanz zu wählen, und nicht in erster Linie danach, welche Methoden oder Datenquellen womöglich gerade in Mode sind oder den Publikationserfolg erhöhen.
Pluralismus: Wie können wir konkurrierende Hypothesen aus verschiedenen Theorien oder Paradigmen ableiten? Nehmen wir zum Beispiel den Zusammenhang zwischen Einkommensungleichheit und gesamtwirtschaftlicher Nachfrage: Die traditionelle keynesianische Konsumtheorie geht davon aus, dass höhere Ungleichheit den Konsum schwächt, weil die unteren Einkommensgruppen mit hohen Konsumquoten dann weniger Geld in der Tasche haben. Die relative Einkommenshypothese in der Tradition von James Duesenberry hingegen kann erklären, warum steigende Ungleichheit den Konsum zumindest kurzfristig erhöhen kann, weil die unteren Einkommensgruppen versuchen, mit den wohlhabenderen Haushalten mitzuhalten – um den Preis geringerer Ersparnis, längerer Arbeitszeiten oder höherer Verschuldung.
Am Institut für Sozioökonomie fühlen
wir uns drei Prinzipien verpflichtet:
Anwendungsorientierung, Pluralismus
und Interdisziplinarität
Interdisziplinarität: Ökonomische Prozesse sind immer eingebettet in einen historischen und gesellschaftlichen Kontext, weswegen die wenigsten Theorien unabhängig von Raum und Zeit Gültigkeit haben. Ein gutes Beispiel für eine anwendungsorientierte, plurale und interdisziplinäre Forschungslinie ist die von Lucio Baccaro und Jonas Pontusson angestoßene „growth model perspective“, in der Ansätze aus der Vergleichenden Politischen Ökonomie und der postkeynesianischen Makroökonomie kombiniert werden. Es geht darum zu verstehen, warum sich in Reaktion auf den Anstieg der Ungleichheit seit den 1980er Jahren unterschiedliche Wachstumsmodelle – etwa das schuldengetriebene Modell der USA oder das exportgetriebene deutsche Modell – herausgebildet haben. Diese Modelle sind sehr instabil, wie die globale Finanzkrise ab 2008 gezeigt hat. Aber aus ökonomischen und politischen Gründen ist es schwierig, stabilere, weniger ungleiche und ökologisch nachhaltige Modelle zu entwickeln.
Was ist Dir in der Lehre wichtig?
Die politische Ökonomin Joan Robinson hat einmal gesagt, dass der Sinn und Zweck, Ökonomie zu studieren, nicht darin besteht, fertige Antworten auf ökonomische Fragen zu erhalten, sondern darin zu lernen, sich von – ideologisch motivierten – Ökonom*innen nicht hinters Licht führen zu lassen.
Studierende sollten immer skeptisch werden,
wenn jemand die Alternativlosigkeit von Politik-
maßnahmen mit vermeintlich allgemeingültigen
ökonomischen Gesetzen begründet
In diesem Sinne hat die Lehre für mich zunächst einmal ein emanzipatorisches Ziel: Die Studierenden sollten immer skeptisch werden, wenn jemand die vermeintliche Alternativlosigkeit bestimmter Politikmaßnahmen mit angeblich allgemeingültigen ökonomischen Gesetzen begründet.