Drei Fragen an...
Achim Truger | Jakob Kapeller | Miriam Rehm | Paul Marx | Till van Treeck
Miriam, was sind aus Deiner Sicht die großen Herausforderungen für die empirische Ungleichheitsforschung?
Miriam Rehm: Die Verteilungsforschung hat in den letzten Jahren große Sprünge gemacht, was die Empirie angeht. Nach den Größen Simon Kuznets und Anthony Atkinson haben Thomas Piketty, Emanuel Saez, Gabriel Zucman und andere in der Ökonomie beinahe eine kleine Revolution ausgelöst. Während sie in den anderen Sozialwissenschaften seit jeher im Zentrum der Forschung standen, ist die Ökonomie da jetzt nachgezogen.
Die empirische Verteilungsforschung
hat in den letzten Jahren große Sprünge
gemacht - es fehlt an Verbindung zur
bereits weit entwickelten Theorie
Was meiner Meinung nach aber zum Teil noch untererforscht ist, ist die Verbindung von Theorie und Empirie, zum Beispiel in der Frage, ob und wie stark die Vermögensungleichheit mittelfristig noch weiter steigen wird. Die Post-Keynesianische Theorie etwa ist seit Jahrzehnten darauf spezialisiert, makroökonomische Modelle zu entwickeln, denen Verteilungsfragen ganz zentral zugrunde liegen. In der Tradition von Politökonom*innen wie John Maynard Keynes, Michal Kalecki, und Joan Robinson wurde hier wirklich viel Erkenntnisarbeit geleistet.
Meiner Ansicht nach gibt es aber eine große Lücke, die fortgeschrittene Empirie mit der weit entwickelten Theorie zu verbinden. Daran arbeite ich unter anderem gerade.
Was bedeutet ein sozioökonomischer Ansatz für Dich und Deine Schwerpunkte?
Für mich ist es eine wichtige Herausforderung Erkenntnisse beispielsweise aus Ökonomie, Soziologie, Politologie, Psychologie oder auch Anthropologie zu verbinden. Gerade bei meinen Themen, wie Fragen von Klassen und Schichten in der Vermögensverteilung oder Fragen zum Zusammenhang zwischen politischer Macht und Vermögensakkumulation, kann nur eine interdisziplinäre Sichtweise wirklich fundierte und für die reale Welt relevante Ergebnisse liefern.
Es ist eine wichtige Herausforderung,
Ökonomie, Soziologie, Politologie,
Psychologie oder auch Anthropologie
zu verbinden
Allerdings habe ich keine Illusionen, wie schwierig und für alle Seiten oft sogar mühselig interdisziplinäres Arbeiten im Konkreten sein kann. Dennoch wäre es absurd, die Erkenntnisse, die die verschiedenen Sozialwissenschaften bereits seit Jahrzehnten entwickeln, nicht zu nutzen und zu verbinden! Außerdem ist es bereichernd, den unterschiedlichen Fokus und verschiedene Fragestellungen im täglichen Forschen hautnah zu erleben. Seit ich mit Soziolog*innen und Jurist*innen zusammenarbeite, habe ich einen breiteren Blick auf Fragen. Und ich finde es auch einfach spannend zu sehen, wie unterschiedliche Disziplinen funktionieren.
Was ist Dir in der Lehre wichtig?
Die Lehre ist mir sehr wichtig. So zentral Forschung ist, die meisten wissenschaftlichen Artikel werden nur von einer Handvoll Leute gelesen. Neben dem Bemühen darum, wissenschaftliche Befunde auch in die Öffentlichkeit zu kommunizieren ist das Unterrichten damit unsere beste Chance, so etwas wie Breitenwirkung zu entfalten.
Ich habe in der Lehre zwei Hauptziele: Erstens will ich den Studierenden eine solide inhaltliche Ausbildung mitgeben. Also ein gutes Grundverständnis von theoretischen Konzepten – mit einem pluralen Verständnis, aus der Sicht unterschiedlicher Paradigmen – und einen guten Überblick über den Stand empirischer Forschung. Zweitens ist mir wichtig, dass ich die Studierenden in die Lage versetze, sich eine eigenständige Meinung zu sozioökonomischen und wirtschaftspolitischen Fragen zu bilden, und diese auch aktiv und selbstbewusst zu vertreten. Auch und vor allem auch außerhalb der Uni.
Studierende sollen auch lernen, sich eine
eigenständige Meinung zu bilden und diese
selbstbewusst und aktiv zu vertreten
In der Ökonomie sind Frauen ja oft in der Unterzahl. Das stimmt leider sogar für Studierende. Meine Erfahrung ist, dass sich Frauen im Kurs oft seltener zu Wort melden, obwohl sie dann gute Arbeiten und Klausuren abliefern. Deswegen versuche ich, sensible Frauenförderung in meine Kurse einzubauen, die manche vielleicht nicht einmal als solche erkennen würden. Ich mache zum Beispiel Murmelrunden, in denen Studierende ihre Überlegungen zuerst mit anderen diskutieren können, bevor wir im Plenum darüber sprechen. Ich habe mit solchen kleinen Veränderungen gute Erfahrung gemacht, was die Diskussionsfreudigkeit von allen Teilnehmer*innen in meinen Kursen angeht.
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